Indigene Menschen kämpfen in Ecuador auf den Straßen gegen die neoliberale Sparpolitik
Die Proteste der indigenen Menschen in Ecuador bringen Tausende auf die Straße, um gegen die Austerität zu demonstrieren. Am Montag gab es einen ersten kleinen Erfolg.
Am 13. Juni rief die indigene Bewegung Ecuadors, vor allem die CONAIE (Konföderation der indigenen Nationalitäten Ecuadors), soziale Organisationen, Bauernorganisationen, Studierende und Teile der Arbeiter:innenbewegung zu massiven Protesten gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise auf. Die indigenen Gemeinschaften sind mit den Folgen einer extraktivistischen Politik konfrontiert, die ihre Gebiete über Bergbauverträge an Unternehmen abgibt, welche zugleich die Kraftstoffpreise in einem Öl produzierenden Land erhöhen.
Seit 15 Tagen sind in ganz Ecuador die Straßen verbarrikadiert und massive Proteste haben die Wirtschaft zum Stillstand gebracht. Die Hauptverkehrsstraßen in die Hauptstadt Quito wurden blockiert und das Land steht nun vor einer Lebensmittel- und Treibstoffknappheit.
Die Demonstrierenden fordern von Präsident Guillermo Lasso: den Benzinpreis einzufrieren; ein Moratorium für die Bankschulden von Kleinbauern zu verhängen; die Arbeitsrechte zu stärken, um die Arbeitsplatzunsicherheit zu verringern; die Privatisierung des öffentlichen Sektors zu stoppen und die Ausdehnung des Öl- und Bergbaus auf indigenem Land zu begrenzen.
Zunächst versuchte die Regierung unter Lasso, sich als „demokratisch“ darzustellen und ein „offenes Ohr“ für die Forderungen der Bevölkerung zu zeigen. Lasso hat jedoch nicht nachgegeben und verweigert den Dialog mit den Demonstrierenden.
Er hat die indigene Bewegung beschuldigt, das Land destabilisieren zu wollen und „terroristische Handlungen“ zu begehen. Daraufhin wurde der anführende Leonidas Iza verhaftet und in einem nicht identifizierten Auto abgeführt. Es dauerte mehrere Stunden, bis seine Verlegung in eine andere Stadt bekannt gegeben wurde – all dies in dem Versuch, die Bewegung zu unterdrücken. Iza wurde in den frühen Morgenstunden des Mittwochs freigelassen, aber die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Verfahren gegen ihn, das am 4. Juli vor Gericht verhandelt werden soll.
Lasso rief den Ausnahmezustand in sechs Provinzen aus, einschließlich einer nächtlichen Ausgangssperre in Quito. Am Sonntag übernahm die Polizei ein indigenes Kulturzentrum in Quito, um es als Basis für die Unterdrückung der Proteste zu nutzen – ein Schlag ins Gesicht der indigenen Demonstrierenden.
Die Kontinuität der Politik von Lenin Moreno und ein latenter Oktober
Die Unruhen in Ecuador sind nicht vorübergehend – sie stellen nicht nur die Regierung, sondern auch die gesamte politische und wirtschaftliche Macht des Landes in Frage. Sie folgen auf den massiven Aufstand im Oktober 2019, der den ehemaligen Präsidenten Lenin Moreno in die Schranken wies und die Sparpläne des IWF einschränkte. Lasso erklärte, er werde nicht zulassen, dass dieser Streik die Dimension eines neuen sozialen Ausbruchs annimmt, aber die Lebensbedingungen der ecuadorianischen Bevölkerung sind katastrophal und finden ihren Ausdruck auf der Straße.
Nach zwei Jahren der Pandemie wurde Morenos Impfkampagne als eine der „erfolgreichsten“ in Lateinamerika angepriesen, aber die tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme blieben bestehen. Der:die durchschnittliche Arbeiter:in in Ecuador verdient einen Mindestlohn von nur 425 Dollar pro Monat. Lasso hatte eine Erhöhung der Löhne um 100 Dollar nach der Pandemie versprochen, aber er versäumte es, klarzustellen, dass er sie in Raten während seiner Amtszeit aufteilen würde, so dass die Erhöhung in diesem Jahr nur 25 Dollar betrug.
Während der Pandemie waren die Arbeitnehmer:innen einem Arbeitsregime unterworfen, in dem ihre Rechte offen angegriffen wurden. Mit dem von der Regierung unter Moreno geförderten Gesetz zur humanitären Unterstützung konnten die Arbeitgeber:innen die Arbeitszeit erhöhen, die Gehälter kürzen, die Zahlung von Rentenbeiträgen einstellen und die Arbeitnehmer:innen ungehindert entlassen. Lassos Initiative in dieser Angelegenheit bestand darin, eine Art „Copy-Paste“ dieses Gesetzes zu machen und es an die Welt nach der Pandemie, unter dem euphemistisch benannten Projekt „Chancen schaffen“, anzupassen. In diesem Projekt schlägt er im Grunde ein alternatives Arbeitsregime vor, in dem die Parteien in „gegenseitigem Einvernehmen“ die Arbeitsbedingungen ändern können (als ob die Beziehung zwischen Arbeitgeber:in und Arbeitnehmer:in eine zwischen Gleichgestellten wäre).
Auf diese Weise wird die Prekarität der Arbeit als „Vollbeschäftigung“ getarnt, und das in einem Land, in dem die Arbeitsbedingungen, der Angriff auf die Löhne und der Verlust der Arbeitnehmer:innen-Rechte zu den zentralen Bedenken jedes Tages gehören.
Lasso versprach, die Armut in Kleinstunternehmen umzuwandeln, mit Krediten, Verschuldung und dem klassischen neoliberalen Appell an die individuelle Anstrengung. Aber nicht nur die Armut bleibt bestehen, sondern auch Lassos Image als „Selfmade“-Banker wurde weiter diskreditiert, nachdem der Skandal um die Pandora-Papiere seine Nutzung von Steuerparadiesen aufdeckte.
Entlassungen im Gesundheitswesen, Sparmaßnahmen im Bildungswesen, ein Privatisierungsplan für Energieressourcen, die Unterdrückung der Frauenbewegung inmitten des 8M, der Widerstand gegen die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bei Vergewaltigung (!), der Anstieg der Lebenshaltungskosten und eine enorme Krise im Strafvollzug – wo Überbelegung, menschenunwürdige Bedingungen und Gewalt innerhalb eines Jahres mehr als 300 Häftlinge das Leben gekostet haben – trugen zum Entstehen von Gruppen bei, die mit Auftragsmorden in den wichtigsten Städten des Landes in Verbindung stehen. Diese Gruppen haben die Regierung dabei unterstützt, eine Politik der Militarisierung zu betreiben, Ausnahmezustände zu schaffen und Proteste zu kriminalisieren. Sie sind einer der Gründe dafür, dass Lassos Zustimmungsrate auf nur noch 31 Prozent gesunken ist, aber das ist nicht nur eine Frage seiner Regierung.
Infragestellung des IWF-Landes
Die Rebellion von 2019 stellte das Wirtschaftsmodell des Landes grundlegend in Frage, was zur Folge hatte, dass die Sparmaßnahmen des IWF nicht ohne Widersprüche umgesetzt werden konnten. Trotz einer Verlangsamung während der Pandemie bleibt jedoch dieses tiefe Unbehagen bestehen.
Die UNES (Union für die Hoffnung), ein Block, der sich im Wesentlichen aus der Bewegung des Demokratischen Zentrums und der Bewegung der Bürger:innen-Revolution des ehemaligen Präsidenten Rafael Correa zusammensetzt, präsentiert sich als die größte Oppositionskraft. In Wirklichkeit garantiert er jedoch die Regierungsfähigkeit von Lassos Mitte-Rechts-Partei, indem er Bündnisse in der verfassungsgebenden Versammlung eingeht, in der die Regierung eine kleine Minderheit hat. Die UNES hat nichts unternommen, um der Sparpolitik des IWF entgegenzutreten, die von einer Regierung unterstützt wird, die sich selbst als Vertreterin des Bankensystems und in Kontinuität mit dem Morenismo darstellt. Dies zeigt, dass die UNES keine Alternative ist.
Um die Mobilisierung zu verdoppeln und die indigene Bewegung, die Arbeiter:innen-Organisationen und die Studierenden zusammenzubringen, müssen wir uns in Versammlungen organisieren, in denen wir einen Kampfplan zum Stopp der Lasso-Kürzungspläne und für die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen diskutieren können.
Am Montag trafen sich die Führungen der indigenen Bewegung CONAIE mit der Regierung zu ersten Verhandlungen. Dort konnte die Bewegung einen ersten Erfolg erringen: Ein Dekret zur Förderung der Extraktion von Kohlenwasserstoff konnte vorerst verhindert werden. Die Verhandlungen gingen am Dienstag weiter. Weitere zentrale Forderungen sind die Reduzierung der Spritpreise sowie ein Verbot des Bergbaus in Wasserschutzgebieten. Die Regierung hat zwar angekündigt, die Spritpreise um 10 Cent zu senken. Die Forderung der CONAIE ist jedoch 40 Cent Preissenkung. Sie kündigen an, den Streik solange aufrechtzuerhalten, bis diese Forderungen erfüllt sind. Zugleich kündigte die CONAIE-Führung Kompromissbereitschaft an.
Die Arbeiter:innen und die Volkssektoren sollten sich unabhängig organisieren und ein Programm aufstellen, das ihre Forderungen gegen die IWF-Anpassung, die Zollerhöhungen, die Prekarisierung der Arbeit und den Extraktivismus vereint. Ein solches Programm, das die Frage des Eigentums an strategischen Ressourcen in den Mittelpunkt stellt, könnte die strukturellen Probleme Ecuadors grundlegend angehen und zur Durchsetzung aller Forderungen des Volkes führen.
Aktualisierte Übersetzung eines ursprünglich am 16. Juni in La Izquierda Diario veröffentlichten Artikels.