„In Deutschland gibt es breite Mehrheiten gegen Waffenexporte, Aufrüstung und Krieg“
Anselm Schindler ist Klima- und Antikriegsaktivist und unter anderem beim Münchner Solidaritätsbündnis für Kurdistan aktiv. Wir haben mit ihm über die Proteste gegen die sogenannte Sicherheitskonferenz in München und die Rolle der Polizei gesprochen.
Was war am Wochenende in München los?
Am Wochenende sind hier in München mehrere tausend Menschen gegen die sogenannte Sicherheitskonferenz auf die Straße gegangen. Denn diese Konferenz bringt weder Sicherheit noch Frieden. Wir wollen nicht, dass sich in unserer Stadt Vertreter*innen von Waffenfirmen und Militär treffen, wir wollen nicht, dass sich hier Leute treffen, die völkerrechtswidrige Kriege unterstützen, wie zum Beispiel der türkische Außenminister Çavuşoğlu oder US-Außenminister Pompeo. Wenn sie von Sicherheit reden, dann meinen sie Absicherung ihrer Macht, Absicherung der Märkte und der Profite für Konzerne und die Reichen, und das eben auch mittels Waffenexporten und Krieg. Ihre Sicherheit bedeutet für die meisten Menschen in den betreffenden Ländern Unsicherheit und Angst.
Was war das Ziel der Demonstrationen am Freitag und Samstag?
Es geht uns darum zu zeigen, dass viele Menschen nicht damit einverstanden sind, dass von Deutschland aus Kriege geführt werden, dass der deutsche Imperialismus Kriege wie den von Erdoğan in Kurdistan und Syrien, oder den von Saudi-Arabien im Jemen unterstützt. In Deutschland gibt es breite Mehrheiten gegen Waffenexporte, Aufrüstung und Krieg. Die meisten Menschen wollen, dass in Dinge wie Renten, Schulen und den Klimaschutz investiert wird und nicht jedes Jahr mehr Milliarden ins Militär gesteckt werden, das schon jetzt den zweitgrößten Haushaltsposten ausmacht. Unser Ziel ist es, diese Mehrheiten gegen Krieg und Aufrüstung langfristig auf der Straße, in den Unis, Schulen und Betrieben sichtbar zu machen. Denn erst wenn sie sichtbar werden und wir uns alle zusammen gegen den Krieg wehren, können wir wirklich etwas für eine friedlichere Welt tun. Uns ist es dabei auch wichtig, klar zu machen, dass Aufrüstung und Krieg Probleme sind, die mit anderen gesellschaftlichen Unterdrückungsformen zu tun haben: vor allem mit dem Patriarchat, also männlicher Dominanz und Gewalt – es sind vor allem Männer, die Krieg führen, und Frauen, die mit am meisten unter Kriegen leiden. Und auch mit ökologischer Zerstörung, denn die Militärapparate stoßen Unmengen Treibhausgase aus – allein das US-Militär so viel wie ganz Portugal. Krieg zerstört immer auch die ökologischen Lebensgrundlagen der Leute. München ist für die wachsende neue antimilitaristische Bewegung ein wichtiger Ort, um Protest und Widerstand zu entwickeln, nicht nur wegen der Sicherheitskonferenz, sondern auch, weil große deutsche Rüstungskonzerne wie Krauss-Maffei Wegmann hier ihren Sitz haben.
Die Konferenz wurde von einem Großaufgebot der Polizei begleitet und bei den Demos kam es auch zu Repression. Was war der Zweck des Polizeieinsatzes?
Natürlich sehen die Krawattenträger im Bayerischen Hof, wo die sogenannte Sicherheitskonferenz stattgefunden hat, es nicht gerne, dass jemand ihnen widerspricht. Und Leute, die Krieg führen und Waffen verkaufen, ziehen natürlich auch den Hass vieler Menschen auf sich, ohne Bodyguards und tausende Polizist*innen könnten sie sich sicherlich nicht ungestört treffen. Die Polizei hat leider auch in diesem Jahr an vielen Stellen wieder über die Stränge geschlagen, es gab einige Festnahmen, teilweise aus absurden Gründen. Beispielsweise wurde unser Genosse Kerem Schamberger festgenommen, weil er auf der Demo die Fahne der kurdischen Frauenverteidigungseinheiten YPG zeigte, die in Syrien an vorderster Front gegen islamistische Milizen und die türkische Armee kämpfen. Dabei ist die Fahne in der Bundesrepublik noch nicht einmal verboten. Das ist ein klarer Schlag gegen die Meinungsfreiheit und die Polizei macht sich hier, ob gewollt oder nicht, zum verlängerten Arm des Erdoğan-Regimes. Ich selbst wurde beim Flyer verteilen am Rand der Demo ebenfalls angehalten, umstellt und durchsucht, einen vernünftigen Grund für die Maßnahme könnten mir die Beamten nicht nennen, es war reine Schikane. Aber verwundert bin ich darüber nicht: Je mehr Regierungen und Konzerne auf Widerstand stoßen, desto repressiver reagieren sie.
Die Polizei ist besonders mit den letzten Gesetzen fast unantastbar geworden. Welche Lehren würdest du aus den breiten Mobilisierungen gegen das neue Bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) ziehen?
Es ist wie beim Thema Aufrüstung und Krieg: Wir haben als linke Bewegung die Mehrheit der Menschen in diesem Land auch in der Frage nach verschärfter Überwachung und Repression hinter uns. Niemand will unter Generalverdacht gestellt werden und die wenigsten Menschen wollen eine Militarisierung der Polizei, allein schon wegen der deutschen Geschichte. Und zeitweise ist es uns auch gelungen, einen Teil der Bevölkerung gegen die Verschärfung von Polizeigesetzen auf die Straße zu bringen: Bei den Protesten gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz waren wir im Mai 2018 rund 40.000 Menschen. Wir haben es als linke Bewegung damals geschafft, gemeinsam mit sozialdemokratischen und liberalen Akteuren eine gemeinsame Front gegen das Gesetz zu bilden. Liberale und sozialdemokratische Kräfte sind dabei natürlich keine wirklichen Verbündeten, denn da, wo sie an der Macht sind, tun sie selbst ähnliche Dinge wie die CSU-Regierung in Bayern.
Trotzdem hat der Protest gezeigt, dass es in einer Situation des Rollbacks und zunehmender Faschisierung auch heute Sinn machen kann, linke Forderungen durch taktische Bündnisse auf breitere Beine zu stellen. Wichtig bleibt es dabei, die eigenen Forderungen und Analysen trotz der Breite der Bündnisse nicht zu verwässern – keine leichte Aufgabe. Wir müssen als Linke einerseits zeigen, dass wir bereit sind, gemeinsam mit reformistischen und bürgerlichen Kräften gegen eine Verschlechterung der gesellschaftlichen Zustände einzutreten; andererseits müssen wir uns auch klar abgrenzen und zeigen, dass wir die einzige konsequente Kraft sind, die für einen wirklich solidarische und freie Gesellschaft kämpft. Es ist unsere Aufgabe zu zeigen, dass diese Gesellschaft mit Reformen nicht erreicht werden kann, sondern nur wenn wir mit den patriarchalen und kapitalistischen Zuständen brechen.
Ähnlich wie bei den Protesten gegen die Polizeigesetze verhält sich das bei antimilitaristischen Mobilisierungen: 2002 gab es die letzten wirklich großen Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz. Zehntausende Menschen gingen trotz Demo-Verbot in München auf die Straße, um gegen den Irakkrieg, der dann 2003 traurige Realität wurde, zu protestieren. Das waren bei weitem nicht nur Linke, sondern auch Leute von der SPD oder den Grünen. Parteien, die selbst in der Regierung schon Kriege geführt, und die Aufrüstung mit vorangetrieben haben. Trotzdem gab es damals diese Dynamik und das Kabinett Schröder hat sich gegen diesen in Deutschland sehr unpopulären Krieg ausgesprochen.
Was sind in diesem Zusammenhang die Aufgaben der Gewerkschaften?
Die Gewerkschaften müssen sich sowohl außen- als auch innenpolitisch gegen Krieg, Aufrüstung und die damit einhergehende Repression stellen. Gewerkschaften sollten nicht nur einzelne Belegschaften repräsentieren, sondern für die Interessen der ganzen lohnabhängigen Klasse eintreten. Und Krieg richtet sich fast immer gegen diese Interessen. Es sind immer die Arbeiter*innen, die in den Schützengräben sterben und nie die Reichen, die Kapitalisten oder Politiker*innen. Allein schon deshalb müssen die Gewerkschaften als Vertreterin unserer Klasse gegen Krieg und Aufrüstung aufstehen. Ähnliches gilt in Sachen Sicherheitspolitik: Strengere Gesetze und Repression treffen am härtesten die Besitzlosen und die, die ohnehin kaum Rechte haben. Mit den neuen Polizeigesetzen werden beispielsweise immer auch die Rechte von Migrant*innen und Menschen, die vor Verarmung und Krieg fliehen, beschnitten. Menschen, die nichts getan haben, außer nach einem erträglicheren Leben zu suchen, werden in Gefängnisse gesperrt, ihnen werden Anwält*innen verwehrt, sie haben schlechte medizinische Versorgung – kurz gesagt werden ihnen grundlegende Menschenrechte verwehrt. Es wäre die Aufgabe der Gewerkschaften viel stärker gegen diese rassistischen Maßnahmen und gegen autoritäre Polizeigesetze anzukämpfen und durch Streiks und Kampagnen in den Betrieben Druck auf die herrschende Politik und die Polizei aufzubauen.
Innerhalb des DGB steht man dabei aber natürlich vor dem Problem, dass der Gewerkschaftsverband mit der GDP auch eine Polizeigewerkschaft vertritt. Dadurch wird eine kritische Haltung zur Polizei in Deutschland oftmals verstellt. An dieser Stelle würde dem DGB eine klassenkämpferische Position gut tun. Denn Polizeibeamte sind zwar auch lohnabhängige Beschäftigte, sie stehen aber gleichzeitig objektiv oft auf Seiten der Kapitalist*innenklasse, weil sie das Recht der Stärkeren, also der Konzerne und der Reichen durchsetzen: Sie verteidigen eine falsche Eigentumsordnung. Deutlich wird das da, wo beispielsweise ganze Dörfer für die Profitinteressen der Kohleindustrie enteignet werden. Wer sich dagegen wehrt wird von der Polizei weggeräumt. Und auch in den Städten treten die Klassenwidersprüche immer deutlicher auf, und damit auch die Stellung der Polizei in der Klassengesellschaft. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn ein Obdachloser in eine leerstehende Wohnung einbricht, ist das auf den ersten Blick eine gute Sache: Die Wohnung erfüllt ihren eigentlichen Zweck, nämlich bewohnt zu werden. Und die Person, die einbricht, hat ein Dach über dem Kopf. Weil wir in einer irrationalen Gesellschaftsordnung leben begeht aber nicht die Person, die die Wohnung leer stehen lässt, während auf der Straße Menschen frieren, eine Straftat, sondern der Obdachlose, der ein Dach über dem Kopf will. In der kapitalistischen Gesellschaft ist es neben richtigen Dingen, die die Polizei tut, auch die Aufgabe der Beamt*innen, eine ungerechte Ordnung zu verteidigen. Und dagegen sollte sich auch der DGB stellen. Nicht gegen die einzelnen Beamten, aber gegen eine Polizei die mit immer mehr Befugnissen in unser Leben eingreift. Und natürlich gegen eine Gesellschaft, in der die Polizei für die Interessen des Kapitals instrumentalisiert wird.