„Importierter Antisemitismus“ – Rassistische “Expertise” der TU Berlin

11.05.2023, Lesezeit 10 Min.
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Antideutsche Demo 2014, auf der Suche nach “nicht weiß-Europäer:innen”, um sie zu beleidigen, unteranderem auch den Fotografen dieses Bildes. (Montecruz Foto/CC BY-SA 2.0)

Eine neue “Expertise” des "Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin" setzt sich mit dem angeblichen Antisemitismus bei Muslim:innen und Menschen mit Migrationshintergrund auseinander. Damit spielt sie der Idee eines “importierten” Antisemitismus in die Hände, während es doch der deutsche Staat selbst ist, auf dessen Nährboden faschistisches Gedankengut gedeiht.

“Demonstrationen zum Thema Nahostkonflikt, Übergriffe von Geflüchteten auf Jüdinnen und Juden, Israelhass – immer wieder kommt es zu Situationen und Debatten, in deren Mittelpunkt die Frage steht: Ist Antisemitismus unter Muslim*innen und/oder unter Menschen mit Migrationshintergrund besonders stark verbreitet?“ Schon mit dem ersten Satz stellt die sogenannte “Expertise” klar, worum es geht: Antisemitische Angriffe auf Jüd:innen, die es selbstverständlich zu bekämpfen gilt, werden vermengt mit Hass auf, sowie den Demonstrationen gegen einen Apartheidstaat. Auftrag der “Expertise” ist es, mithilfe einer Meta-Auswertung einer Vielzahl von Studien Journalist:innen über antisemitische Haltung bei “Menschen mit Migrationshintergrund” und Muslim:innen zu infomieren und ihnen Handlungsempfehlungen in der Berichterstattung über antisemitische Vorfälle zu geben. Die “Expertise” wurde vom Mediendienst Integration in Auftrag gegeben. Dieser ist eine Informations-Plattform für Journalist:innen zu den Themen Flucht, Migration und Diskriminierung. Sie wird u.a. von Beauftragten der Bundesregierung, dem Rat für Migration, sowie der Amadeu Antonio Stiftung finanziert. Letztere ist dafür bekannt, unter dem Deckmantel des “Prozionismus” antimuslimische Ressentiments und Inhalte der israelischen Rechten zu verbreiten.

Für die Untersuchung wertete Sina Arnold, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU, vergangene Studien der letzten zehn Jahre aus. Für die Klassifizierung antisemitischer Einstellung wurde der “klassische Antisemitismus”, also rassistische Haltungen gegenüber Jüd:innen, “sekundärer Antisemitismus”, die Relativierung des Holocaust sowie “israelbezogener Antisemitismus” verwendet. Die Definition des “israelbezogenen Antisemitismus” ist dabei besonders interessant. Diese besteht zwar aus der richtigerweise als antisemitisch verurteilten Verantwortlichmachung aller Jüd:innen weltweit für die Politik Israels, aber auch in der Anwendung von “anderen Standards als an andere Demokratien” an Israel.  Ob die Errichtung von Bantustans, Massaker in Geflüchtetencamps und ethnische Säuberungen für die Autorin “demokratischer Standard” ist, wird nicht ausgeführt. Die Ergebnisse, zu denen Arnold beim Auswerten der Studien kommt, sind aber dennoch interessant. Zunächst stellt sie fest, dass die von ihr untersuchten Studien unterschiedliche methodische Ansätze und Definitionen des Begriffs “Migrationshintergrund” verwenden. Arnold selbst sagte, dass die Studienlage insgesamt teils widersprüchlich sei.

In Bezug auf Muslim:innen stellt sie fest, dass vor allem ein “konservativ-autoritärer Wertekanon” ausschlaggebend sei und nicht die Religion. Muslim:innen mit antisemitischer Haltung wiesen hierbei starke Ähnlichkeiten zu AfD-Wähler:innen auf.

In Bezug auf den von ihr definierten “israelbezogenen Antisemitismus” fällt hier auch wieder auf, dass der primäre Zusammenhang nicht mit “Migrationshintergrund” oder Religiosität besteht, sondern mit der Herkunft aus der MENA-Region, bei der sowohl Muslim:innen als auch Christ:innen nach Definition der “Expertise” überdurchschnittlich hohe “Israel bezogen antisemitische” Einstellungen aufweisen würden. Nach der schwachen Definition der “Expertise” ist es höchst fraglich, wie sehr es hier um tatsächlich antisemitische Haltungen geht, oder um die Verurteilung der massiven Unterdrückung und militärischen Aggression, die Israel in der gesamten Region ausübt, wie zuletzt im März dieses Jahres während des Bombardements von Syrien. Den sich auf Israel beziehenden Beispielen von antisemitischen Aussagen fehlt  fast vollständig die Einordnung. Im Text ist zwar von institutionalisiertem Antisemitismus die Rede, es wäre aber notwendig, sich damit konkret auseinanderzusetzen. So kanalisieren bürgerliche Regime wie z.B. im Iran bewusst mithilfe von staatlicher Propaganda die Reaktionen auf Israels Politik in Antisemitismus, um anstelle von Mobilisierungen und sozialen Protesten die Bevölkerung reaktionär nationalistisch einzuschwören. Gleichzeitig gibt sich der Staat Israel selbst alle Mühe, Israel und Judentum gleichzusetzen, um einen nationalen Gründungsmythos heraufzubeschwören und weltweit Kritiker:innen der israelischen Politik als Antisemit:innen zu diffamieren. Ohne eine solche Kontextualisierung bekommen auch die korrekt als antisemitisch festgestellten Äußerungen schnell eine rassistische Implikation.

Diese steht auch bei der gesamten Konzeptionierung der “Expertise” in Frage. Weder am Beginn der “Expertise” noch in der Einbettung auf der Website des Mediendienst Integration wird wirklich erklärt, warum man überhaupt antisemitische Haltungen bei  Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, sowie bei Mulim:innen, vermutet oder überprüfen will. Mit ausschließlich einem schwammigen Verweis auf den allgemeinen Diskurs muss die “Expertise” im Kontext der rassistischen Kampagne zur Rechtfertigung der Repression rund um den Nakba-Tag letztes Jahr und dieses Jahr gesehen werden. So sind diese ja auch explizit in der Einleitung angesprochen. Die “Expertise” diffamiert hier nicht nur fortschrittliche antizionistische Haltungen, indem sie diese mit tatsächlichem Antisemitismus vermengt, sondern befeuert auch noch rassistische Vorstellungen, indem sie antisemitische Haltungen mit Herkunft verknüpft. Auch wenn in der “Checkliste für Journalist:innen” am Ende vom Antisemitismus als “deutsches” Phänomen gesprochen wird, weil man sich zum Charakter Deutschlands bekenne, wird in der “Expertise” praktisch das Konzept des importierten Antisemitismus gestärkt.

Auch wenn man es Arnold zugute halten muss, dass sie sich in ihren Schlussfolgerungen von der Idee des importierten Antisemitismus moralisch distanziert, muss man sich die Frage stellen, warum es überhaupt nötig ist, zu prüfen, ob Menschen mit Migrationshintergrund antisemitischer seien als Deutsche ohne Migrationshintergrund. Polemisch als Hypothese, “Ausländer sind antisemitischer als echte Deutsche”, formuliert, klingt dies schon nach der in der “Expertise” selbst aufgestellten Definition von sekundärem Antisemitismus. Auch wenn man wohlwollend voraussetzt, dass Arnold selbst hier mit Fakten versucht, das rassistische Verständnis des “importierten Antisemitismus” zu widerlegen, muss man sich fragen, warum es dafür empirische Nachweise braucht und an dieser Stelle nicht schon die Annahme zurückgewiesen wurde, da eine solche Hypothese schon das Denken in rassistischen Kategorien vorraussetzt. Anstatt bestehende Vorurteile empirisch zu überprüfen und zumindest vom Forschungsgegenstand her ethnisch zu konnotieren, wäre es an dieser Stelle viel sinnvoller, die gesellschaftlichen Grundlagen des Antisemitismus zu diskutieren.

Im Rahmen der Handreichung am Ende der “Expertise” bezieht Arnold auch hier wieder das Phänomen des antimuslimischen Rassismus ein und appelliert, diesen nicht zu befördern, so als sei ihr bewusst, dass der Aufbau ihrer “Expertise” schon allein dafür sorgt, dass genau dies passiert. Muslim:innen als fremd und potenziell gefährlich darzustellen, was sowohl Teil des Titels und Teil der Hypothese der “Expertise” ist, die auch zumindest in Teilen obgleich fragwürdiger Faktenlage bestätigt wird, ist ein zentrales Element des rassistischen deutschen Regimes. Die Konsequenzen aus der Konzeption der Studie zeigen sich derweil schon an ihrer medialen Rezeption. Alleine beim Lesem von Überschriften von Artikeln, die die “Expertise” besprechen wie “Studie: Judenhass unter Muslimen weiter verbreitet als bei Deutschen ohne Migrotionshintergrund”,  “Studie zu Antisemitismus unter Muslimen; Mehr Judenhass, weniger Holocaustleugnung” und “Sind Zuwandererr antisemitisch?: Je länger in Deutschland, desto weniger judenfeindlich” zeigt sich, wie die “Expertise” Kernbestandteile des Konzepts vom “importierten Antisemitismus” bestärkt.

Die Erzählung des importierten Antisemitismus durch gescheiterte Integration ist dabei nichts Neues. Vertreter:innen diverser Parteien sowie die bürgerlichen Medien, von der BILD bis zur Tagesschau, werfen dieses Bild immer wieder auf. Das Problem des Antisemitimus wird auf die “Anderen” projiziert, und als ein Problem der Migration dargestellt. Oftmals wird spezifisch im Islam die Ursache gesucht. Das ermöglicht es dem Staat, von seinen eigenen antisemitischen Strukturen abzulenken, wie die regelmäßigen Aufdeckungen von rechten Chatgruppen bei der Polizei oder Verstrickungen des Staatsapparats mit rechten Netzwerken. Denn der Staat und die Bourgeoisie haben kein ernsthaftes Interesse an der Bekämpfung von Antisemitismus. Sie schieben nur dann ein Interesse vor, wenn dieses sich in bestimmten Fällen mit den eigenen Interessen deckt. Ein Beispiel dafür sind Waffenlieferungen nach Israel, oder das Verbot bestimmter Gruppierungen. Der vermeintliche Kampf gegen Antisemitimus wird somit instrumentalisiert.

Besonders die Diffamierung der palästinasolidarischen Bewegung fällt ins Auge, die schlussendlich zu ihrer Delegitimierung führt. Oftmals werden gesamte Demonstrationen als antisemitisch bezeichnet, ohne sich dass sich differenziert mit den verschiedenen Menschen und Meinungen auseinandergesetzt wird. Es wird vor allem über die Geschichten der Migrant:innen geschwiegen, deren Familien ihr Zuhause verloren haben, weil sie durch den israelischen Staat vertrieben worden sind. Anstelle dessen entsteht ein  Bild eines antisemitischen Mobs, das vor allem von rechten Kräften genutzt und geschürt wird, um antimuslimischen Rassismus zu verbreiten. Der Antisemitismus-Vorwurf dient ihnen dazu, um mehr Abschiebungen zu fordern und gegen muslimische Einwander:innen zu hetzen. Die Diskussion um Antisemitismus wird somit anstelle eines Einsatzes gegen Diskriminierung zu einem weiteren Mittel der Migrationskontrolle des rassistischen deutschen Regimes

Doch nicht nur rechte Kräfte tragen ihren Teil dazu bei. Es sind auch “Antifaschist:innen”, die zuweilen entscheiden, sich auf die Seite des bürgerlichen Staates zu schlagen, um für ein “gemeinsames” Interesse einzutreten und zum Beispiel antirassistische Aktivist:innen anzugreifen. Es ist aber niemals ein antifaschistisches Interesse, antimuslimische Hetze zu schüren und damit den Weg für noch mehr Abschiebungen und Asylrechtsverschärfungen zu ebnen. Wir müssen uns gegen die Idee des importierten Antisemitismus stellen, um Antisemitismus wirklich konsequent bekämpfen zu können. Das bedeutet, dass wir uns auch gegen den deutschen Staat stellen müssen, auf dessen Nährboden rassistisches  Gedankengut gedeiht.

Der vermeintliche Kampf gegen Antisemitimus der BRD ist nichts anderes als eine Farce. Der Fokus auf “importierten Antisemitismus” ist besonders absurd, betrachtet man die Kontinuität deutscher Besitzverhältnisse seit dem Nationalsozialismus. Noch immer profitieren deutsche Firmen von Zwangsarbeit und von Nazis durchgeführten Enteignungen. Die Familie Quandt, Eigentümer von BMW, beschäftigte mehr als 50.000 KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter, das Unternehmen Hugo Boss kam nur durch die Produktion von Wehrmachts-Uniformen und Zwangsarbeit zur heutigen Größe und Degussa profitierte erst von der Herstellung von Zyklon B und später von der Errichtung eines Holocaustmahnmals.

Die Kapitalist:innen, die Hitler unterstützt und vom Krieg profitiert hatten, durften ihre Raubgewinne nach dem Krieg behalten. Es sind dieselben Firmen, die damals an den Enteignungen der jüdischen Bevölkerung, an der Zwangsarbeit und am Krieg verdienten, die auch heute noch Jahr für Jahr Millionen einfahren und nichts zu befürchten brauchen. Es ist in ihrem Interesse, den Mythos der Bundesrepublik zu bestärken, dass man die Geschehnisse des Nationalsozialismus gut aufgearbeitet habe, und Antisemitismus folglich nur von außen kommen könne. Mit der in Auftrag gegebenen “Expertise” soll die Schuld an Antisemitimus Migrant:innen in die Schuhe geschoben werden. Wieder einmal wird die Idee eines “importierten” Antisemitimus erzeugt. Eine Entnazifizierung des kapitalistischen Staates ist nicht möglich. Nur eine Enteignung aller deutschen Unternehmen würde eine konsequente Entnazifizierung bedeuten.

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