„Imperialismus“: Vom Schlagwort zur wissenschaftlichen Definition
„Imperialismus“ ist ein Schlagwort. Nicht seit gestern, sondern schon seit hundert Jahren, als der alte Bolschewik Lenin 1916 seine Theorie über den „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ entwickelte. Das blieb keine graue Theorie, sondern Lenins Partei beendete in Russland mit der Oktoberrevolution den imperialistischen Ersten Weltkrieg. Seine Gegenspieler*innen aus der SPD, gegen die er in diesem Buch polemisierte, hielten am Kriegskurs fest und verhinderten 1918/19 die Revolution in Deutschland – aber das ist eine andere Geschichte.
Von links bis rechts verwendeten alle möglichen Strömungen das Wort „Imperialismus“. Vereinfacht verstehen heute viele darunter die US-Kriegspolitik, McDonald’s oder Google. Wir meinen allerdings etwas anderes, wenn wir von Imperialismus sprechen und wollen dazu beitragen, diesen Begriff wieder mit einem wissenschaftlichen Inhalt zu füllen.
Fangen wir mal damit an: Deutschland ist für uns ein imperialistisches Land. Es muss dazu nicht viele Kriege führen, obwohl auch der Kriegskurs der Bundesregierung immer deutlicher wird. Der deutsche Imperialismus beutet die Welt hauptsächlich durch Kapitalexporte, sogenannte „Investitionen“ aus. Ein hervorragendes Beispiel ist Griechenland: Das Land wurde mit der Euro-Politik Wolfgang Schäubles an den wirtschaftlichen wie sozialen Abgrund gedrängt. Jetzt kaufen sich deutsche Firmen billig in Griechenland ein, verdeutlicht am Kauf ganzer Flughäfen durch Fraport zum Sonderpreis. Dies ist ein Beispiel für Kapitalexport, der im Imperialismus gegenüber dem reinen Warenexport wichtiger ist. An eine „Bankenherrschaft“ des „Finanzkapitals“ oder ähnlichen verschwörungstheoretischen Mist glauben wir übrigens nicht – der Imperialismus kennzeichnet sich gerade durch die „Verschmelzung“ von Bank- und Industriekapital, sie sind also ein- und dasselbe. Es gibt keine Trennung in „gutes, schaffendes und raffendes Zinskapital“, wie es die Nazis oder antisemitische Neurechte behaupten.
Waren werden aber auch im Imperialismus weiterhin exportiert. Deutschland ist bekanntlich „Exportweltmeister“. Imperialistisch am deutschen Export ist aber nicht allein die Menge – sondern die Zusammensetzung. Denn deutsches Kapital kauft billig Rohstoffe und mit relativ einfachen Maschinen verarbeitete Güter aus Asien, Südamerika und Afrika ein. Es verkauft dann Autos, Pharmaprodukte sowie Maschinen zur Herstellung anderer Maschinen, die aus seinem hochentwickelten weiterverarbeitenden Gewerbe kommen. Diesen Vorsprung können andere Länder, besonders die formal unabhängigen „Halbkolonien“, die wirtschaftlich von Imperialismen abhängig sind, nicht aufholen – wie zum Beispiel die Türkei, die deshalb wirtschaftlich, sozial und politisch besonders instabil ist und zu diktatorischen Regimes neigt.
Vor allem ist der Imperialismus das Weltsystem des „sterbenden“ Kapitalismus, in dem eigentlich schon alles erschlossen ist und wo das Kapital aufhört, „Wunder zu schaffen“, wie es noch im 19. Jahrhundert der Fall war. Es geht nur noch um die ständige Neuaufteilung der Welt und des Weltmarkts unter großen multinationalen Unternehmen („Monopolen“), eine freie Konkurrenz gibt es nicht mehr. Der Kapitalismus hangelt sich somit von einer Krise zur nächsten, wie von der Subprime- zur Staatsschuldenkrise, jetzt zur Krise der „Schwellenländer“ wie China, Südafrika, Brasilien. Die Krisen werden schlimmer und können in der Tendenz nicht friedlich gelöst werden, wie die beiden Weltkriege zeigen. Sie sind gleichzusetzen mit großen Entladungen der Widersprüche zwischen den damaligen Kapitalblöcken.
Ob Wirtschaftskrise oder Krieg: Nur das Kapital gewinnt im Imperialismus. Wir sind nicht für ein „souveränes Deutschland“ und gegen die USA, wie es viele Stimmen in den an sich richtigen TTIP-Protesten sind, sondern in erster Linie gegen den „eigenen“ Kapitalismus und den eigenen Staat. Denn die Arbeiter*innenklasse wird durch den Chauvinismus gespalten. Dank Privilegien, die aus den Überschüssen des Kapital- und Warenexports bezahlt werden können, tragen viele Lohnabhängige in Deutschland den „eigenen“ Imperialismus mit, obwohl sie am Ende mit Prekarisierung und Arbeitslosigkeit selbst verlieren.
Die Geflüchteten schließlich müssen wegen des Imperialismus fliehen, der mit seinen Kriegen den „Islamischen Staat“ herbeigebombt und mit seinem kapitalistischen Wirtschaftssystem die Armut in Nordafrika oder am Balkan verursacht hat. Dabei ist er die gemeinsame Ursache von „wirtschaftlichen“ und Kriegsgeflüchteten, deren Trennung wir ablehnen. Wenn wir also sagen „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“, ist das alles andere als eine verstaubte Parole. Sie ist für uns verbunden mit der Forderung nach dem Stopp aller Abschiebungen, der Beendigung aller Kriegseinsätze, dem Ende der Austeritätspolitik in Südeuropa. Eine wirkungsvolle Gegenmacht zur imperialistischen Politik liegt aus unserer Sicht in der Einheit von Geflüchteten und Arbeiter*innen aus Deutschland, für die wir kämpfen.