Imperialismus ist nicht systemrelevant: Werftarbeiter*innen streiken gegen US-Militär
Mehr als 4.000 Werftarbeiter*innen streiken in einer Fabrik im US-Bundesstaat Maine. Diese Arbeiter*innen, die das US-Militär direkt beliefern, haben eine strategische Macht, die weit über ihre Zahl hinausgeht. Sie verdienen die aktive Solidarität der gesamten Arbeiter*innenklasse.
Foto: AP/Robert F. Bukaty
Dieser Artikel erschien erstmals am 6. Juli 2020 als Gastartikel bei Left Voice. Der Streik hält bis heute an. Zuletzt hat die lokale Gewerkschaftsführung Versuche der Unternehmensleitung zurückgewiesen, Streikende zum Austritt aus der Gewerkschaft zu bewegen. Das Statement der Gewerkschaft endete mit einem Zitat aus einem Gedicht von Jack London: „No man has a right to scab so long as there is a pool of water to drown his carcass in, or a rope long enough to hang his body with.” („Kein Mensch hat das Recht, Streikbrecher zu halten, solange es einen Wassertümpel gibt, der tief genug ist, dass er sich darin ertränken kann oder solange es einen Strick gibt, der lang genug ist, um ein Gerippe daran aufzuhängen.”) Das Unternehmen hat dagegen Beschwerde bei der bundesweiten Schlichtungskommission eingelegt.
Die Werft Bath Iron Works (BIW) am Fluss Kennebec, zentral an der Küste des US-Bundesstaates Maine gelegen, ist eine wichtige Auftragnehmerin des US-Militärs und beschäftigt etwa 6.000 Menschen. Im Jahr 1995 wurde die Firma von General Dynamics, der fünftgrößten Auftragnehmerin des Militärs in den USA, aufgekauft. Die Hauptkundin der Werft ist die US-Marine. Entworfen und gebaut wurden dort Fregatten, Kreuzer, Zerstörer und Schlachtschiffe, was die Werft zur fünftgrößten Schiffbauerin der US-Marine macht. BIW ist ein wichtiger Teil der Wirtschaft von Maine und macht etwa die Hälfte der dortigen geschätzt 12.500 Arbeitsplätze in dieser Branche aus. Dabei handelt es sich um gut bezahlte Arbeitsplätze mit einem durchschnittlichen Jahresgehalt von 64.340 Dollar, was weit über dem in Maine durchschnittlichen Lohn von 41.548 Dollar liegt.
Die letzte Tarifabstimmung bei BIW fand Ende 2015 statt, als das Unternehmen in angespannten Verhandlungen Zugeständnisse von den Gewerkschaften erzwang. Das Unternehmen hatte gedroht, 1200 Beschäftigte — 35 Prozent ihrer Belegschaft — zu entlassen, falls BIW einen elf Milliarden Dollar schweren Auftrag zum Bau von neun Schiffen für die US-Küstenwache verlieren sollte. Um die Kosten zu senken, schlug das Unternehmen vor, externe Auftragnehmer*innen einzustellen. Die Gewerkschaften stimmten einer Zunahme der bezahlten Überstunden zu, um dies zu vermeiden. Sie erklärten sich auch bereit, Prämien anstelle von jährlichen Lohnerhöhungen zu akzeptieren. Im Jahr 2016 verlor BIW den Auftrag an ein Unternehmen mit Sitz in Florida, aber das Unternehmen konnte sich später zusätzliche Verträge mit der Marine sichern.
Kürzlich scheiterten die Tarifverhandlungen zwischen BIW und dem Internationalen Verband der Maschinist*innen und Raumfahrtbeschäftigten (International Association of Machinists and Aerospace Workers, IAM). Das Unternehmen behauptete, die Werft sei mit dem Bau und der Lieferung von zwei Klassen von mit Lenkwaffen ausgestatteten Zerstörern um sechs Monate in Verzug geraten und müsse daher nicht gewerkschaftlich organisierte Zeitarbeitskräfte einstellen, um den Rückstand aufzuarbeiten und aufkommende Probleme zu lösen. Das Unternehmen bot eine dreiprozentige Lohnerhöhung über drei Jahre an. Dies gleicht jedoch nicht eine elfprozentige Erhöhung der Kosten für die Krankenversicherung aus.
Die Gewerkschaft sieht sich mit Forderungen nach mehr als einem Dutzend Zugeständnissen konfrontiert. Zusätzlich zur Einstellung von Subunternehmern schlug BIW Änderungen bei der Einteilung von Schichten und Arbeitsorten vor. Der zuständige Ortsverband Local S6 der IAM sagt, dass diese Änderungen sowohl für das bestehende System der Überstunden und der Seniorität1 als auch für die Rechte der gewerkschaftlichen organisierten Arbeiter*innen verheerende Folgen hätten. Die Haltung des Unternehmens wird weithin als gewerkschaftsfeindlicher Schritt angesehen. Der Nachrichtenseite des US Naval Institute zufolge habe die Verhandlungskommission der Gewerkschaft eine Verlautbarung herausgegeben, in der sie das Tarifangebot „Schrott“ genannt habe. Sie habe außerdem dem Vorsitzenden des Unternehmens unterstellt, „betrügerische, unehrliche, verachtenswerte, unprofessionelle und unnachgiebige“ Versuche zu unternehmen, die Gewerkschaft zu zerstören. Der Präsident des IAM-Ortsverbands Local S6, Chris Weirs, veröffentlichte eine Stellungnahme, in der es hieß: „Wir sind entschieden gegen die Forderungen von BIW, den Arbeitnehmer*innenschutz und die Standards der Arbeitsplatzqualität abzuschaffen, die Vergabe von Aufträgen an Subunternehmen massiv zu verstärken und die Formulierungen in unserem Tarifvertrag, die diese ordentlichen, sicheren Arbeitsplätze schaffen, auszuhöhlen.“
Am 19. Juni stimmten 87 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Belegschaft für einen Streik. Der Streik begann am 22. Juni um 12:01 Uhr, als Hunderte von Arbeiter*innen ihren Arbeitsplatz verließen. In der ersten Juliwoche verloren die streikenden Beschäftigten ihre von Arbeitgeber*innenseite zur Verfügung gestellte medizinische Versorgung. Die Beschäftigten müssen nun entweder die Kosten für die medizinische Versorgung aus eigener Tasche bezahlen oder sich um eine andere Krankenkasse bemühen. Das Unternehmen wird des Weiteren dafür kritisiert, dass es zusätzliche nicht gewerkschaftlich organisierte Vertragsarbeiter*innen eingestellt hat, die ihm bei der Bewältigung eines Auftragsrückstands helfen sollen. Die Gespräche sind ins Stocken geraten, und es ist geplant, dass BIW und die Gewerkschaften in der zweiten Juliwoche ein Schlichtungsverfahren auf Bundesebene einleiten.
Produktion läuft trotz der Gefahr weiter
Am 15. März rief Gouverneurin Janet Mills in Maine aufgrund des sich rasch ausbreitenden Coronavirus den zivilen Notstand aus und schloss alle nicht lebenswichtigen Geschäfte. BIW-Mitarbeiter*innen leben in hunderten von Städten in allen sechzehn Landkreisen des Bundesstaates und die Ausbreitung der Infektion in der Werft könnte möglicherweise verheerende Folgen für den gesamten Bundesstaat haben.
Vier BIW-Mitarbeiter*innen wurden positiv auf das Coronavirus getestet. Am 24. März, nachdem die Nachricht über den ersten Coronavirus-Fall bekannt wurde, meldete sich über die Hälfte der Werftmitarbeiter*innen krank. Staats- und Kommunalbeamt*innen, darunter auch die Kongress-Delegation des Staates Maine, deuteten die Notwendigkeit einer Schließung an. Die beiden größten Gewerkschaften forderten BIW auf, die Werft für mindestens zwei Wochen zu schließen und die 6.000 Beschäftigten bei vollem Lohn nach Hause zu schicken.
Das Verteidigungsministerium erklärte die Werft und andere militärische Auftragnehmer*innen jedoch zu „systemrelevanten Unternehmen“, und Präsident Trump forderte, BIW müsse offenbleiben. Das Unternehmen teilte mit, dass die Beschäftigten ihren Urlaub und ihre Krankentage in dieser Zeit nutzen könnten und gewährte den Beschäftigten die Möglichkeit eines unbezahlten Urlaubs vom 16. bis 27. März. Die Ortsverbände des IAM Local S6 und S7 erklärten, dies benachteilige die Beschäftigten, insbesondere diejenigen mit Familien. Dieses unfaire Vorgehen gehe nicht angemessen mit der Bedrohung durch die Pandemie um. Am 29. Juni, nachdem die ersten drei COVID-19-Infektionen bestätigt worden waren, kündigte die Gesundheitsbehörde in Maine an, dass sie eine Untersuchung einleiten werde.
Der Ortsverband S6 des IAM steht seit langem der Tatsache kritisch gegenüber, dass die Werft vom Staat Maine über Jahre hinweg stark subventioniert wird. Der Rüstungskonzern General Dynamics erhielt von 1997 bis 2017 mindestens 203,4 Millionen Dollar vom Staat. Das Unternehmen hat seit mindestens 1995 mehr Subventionen erhalten als jedes andere Unternehmen in Maine und damit den Zweitplatzierten Texas Instruments um 76,6 Millionen Dollar geschlagen, wobei die 2018 bewilligte Steuergutschrift von 45 Millionen Dollar für den Schiffbau noch nicht eingerechnet ist. General Dynamics erzielte 2018 Gewinne in Höhe von 3,34 Milliarden Dollar.
Lisa Savage, eine Senats-Kandidatin der Grünen, unterstützte die Gewerkschaft mit den Worten: „Die Bath-Iron-Werft in Maine befindet sich derzeit in gewerkschaftsfeindlichen Tarifverhandlungen, um ihre anhaltende Politik des Einsatzes nicht gewerkschaftlich organisierter Vertragsarbeit zu fördern. Dies ist das Ergebnis jahrelanger Null-Runden mit ihrer größten Gewerkschaft, dem Ortsverband S6. BIW verlangt von den Beschäftigten Opfer, damit der Eigentümer seinem CEO jährlich zig Millionen Dollar zahlen und seine eigenen Aktien zurückkaufen kann. General Dynamics kann es sich leisten, die Beschäftigten fair zu bezahlen, angesichts der Steuererleichterungen in Höhe von 45 Millionen Dollar, die die Legislative in Maine dem Militärunternehmen gewährt hat, und angesichts der 900 Millionen Dollar in bar, die das Unternehmen in seinem letzten Antrag bei der Finanzaufsichtsbehörde angegeben hat.“
Die Notwendigkeit der Umnutzung von Waffenfabriken
BIW, die Marinette-Marine-Werft in Wisconsin — im Besitz der italienischen Firma Fincantierri — und andere Werften konkurrieren um einen lukrativen Auftrag zum Bau von bis zu zehn Fregatten im Wert von bis zu 5,5 Milliarden Dollar. Dies brachte eine intensive Lobbyarbeit von Politiker*innen aus dem Bundesstaat Wisconsin mit sich. Die Entwicklung hin zum Einsatz kleinerer Fregatten hängt damit zusammen, dass der militärische Wettbewerb der USA gegen China und die Vorbereitungen für einen Krieg zwischen den beiden Nationen immer mehr zunimmt. Der Kommandeur des Marinekorps, General David Berger, sagte, er wünsche sich „mobile und schnelle“ Schiffe, die dazu dienten, die US-Marines auf provisorischen Stützpunkten so nah wie möglich an China zu stationieren, denn „je weiter man sich von China entfernt, desto mehr werden sie sich auf einen zubewegen.“ Der von beiden Parteien unterstützte US-Militärhaushalt für das Jahr 2020 beläuft sich auf etwa 721 Milliarden Dollar, mehr als die Budgets der sieben folgenden Ländern zusammen.
In einem Artikel für das Magazin Counterpunch fordert die Autorin Kathy Kelly die Umwandlung militärischer Produktionsanlagen für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Ressourcen für die Schaffung erneuerbarer Energien und Schiffe für den Katastrophenschutz. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch den Klimawandel, der massiven und wachsenden Wohlstandsunterschiede in den USA und der weithin vorhergesagten wirtschaftlichen Depression in Folge der Pandemie scheint dies unerlässlich zu sein.
Im November 2011 kündigte der damalige Präsident Obama seine „Wende nach Asien“ an, eine Verlegung der US-Militärkräfte in die asiatisch-pazifische Region. In jüngerer Zeit, im Jahr 2018, kündigten mehrere Dokumente des US-Verteidigungsministeriums eine Änderung der Militärpolitik an, weg vom „Krieg gegen den Terrorismus“ — dem Einsatz des Militärs zur angeblichen Bekämpfung islamistischer Terrorist*innen in Afrika, in Westasien und anderswo — und hin zur Eindämmung von Ländern, die als sich entwickelnde Bedrohungen für die globale Macht und den Imperialismus der USA angesehen werden. In der Bilanz des US-Verteidigungsministeriums von 2018 heißt es: „Die zentrale Herausforderung für den Wohlstand und die Sicherheit der USA ist das Wiederaufleben eines langfristigen, strategischen Wettbewerbs durch das, was die Nationale Sicherheitsstrategie als revisionistische Mächte klassifiziert. Es wird immer deutlicher, dass China und Russland eine Welt gestalten wollen, die mit ihrem autoritären Modell vereinbar ist — indem sie Veto-Autorität über die wirtschaftlichen, diplomatischen und sicherheitspolitischen Entscheidungen anderer Nationen erlangen.“ Dieser letzte Satz ist ironisch, da er eine genaue Beschreibung der US-Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg darstellt.
Kelly zitiert Forschungsergebnisse, die darauf hinweisen, dass der Bau sauberer Energiesysteme bis zu 50 Prozent mehr Arbeitsplätze schaffen würde als die Herstellung von Waffensystemen. Dies scheint weitaus wünschenswerter zu sein als der derzeitige massive Anstieg der US-Militärausgaben, der das höchst ungerechte System der imperialistischen Weltherrschaft der USA, das seit 60 Jahren besteht, unterstützt. In einer Gesellschaft, die von Ungleichheit und rassistischer Unterdrückung zerrüttet ist, haben die Werktätigen in der verarbeitenden Industrie die Macht, gegen den Militarismus zu kämpfen und Industrien, die jetzt dem Militär dienen, in solche umzuwandeln, die der Gesellschaft zugutekommen.
Fußnoten
1. Bevorzugung aufgrund des Lebensalters bei Beförderung oder Entlohnung