Im inneren Kreis: Eine Geschichte der Polizeispitzel unter Linken

20.06.2017, Lesezeit 5 Min.
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Der Film von Hannes Obens und Claudia Morar zeigt eindrücklich das Porträt einiger Polizeispitzel innerhalb der radikalen Linken, die enttarnt wurden. Ein Film als hervorragender Anstoß zu einer notwendigen Debatte.

Im Falle der Polizeibeamtin Iris P., die von 2001 bis 2005 innerhalb der radikalen Linken der Roten Flora verdeckt für den Staat ermittelte, ging die Tätigkeit der Bespitzelung gar so weit, dass selbst eine Liebesbeziehung eingegangen wurde, um an Informationen ranzukommen. Erst nach Jahren wurden sie eher zufällig entdeckt – als sie auf einer öffentlichen Veranstaltung als Kriminalbeamtin unter richtigem Namen auftrat und jemand sie wiedererkannte. Sie ist nur ein Beispiel aus dem Kosmos der verdeckten Ermittlungen seitens der Polizei, von denen wir nicht wissen, wie viele Spitzel landesweit aktiv sind.

Eines jedoch wissen wir: Pro Spitzel stellt der Staat eine sechs- bis siebenstellige (!) Summe zur Verfügung, um alles Erforderliche (falsche Papiere, Wohnung, Arbeitsplatz etc.) bereit zu stellen.

Fast täglich haben die verdeckten Ermittler*innen (im Polizeijargon VE abgekürzt) Kontakt zu ihren „VE-Führer*innen“. Verdeckte Ermittler*innen sind dabei keine V-Männer*Frauen, der Unterschied wird im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) wie folgt unter § 26 Abs. 1 beschrieben: „Personen, deren Zusammenarbeit mit ihr Dritten nicht bekannt ist (V-Personen) sowie Polizeivollzugsbeamte, die unter einer Legende eingesetzt werden (Verdeckte Ermittler)“. Sie werden nach eingängigen (meist psychologischen) Tests extra für den Einsatz ausgewählt, die sodann in Strukturen eingeschleust werden, um so viele Informationen wie möglich im Bereich der Gefahrenprävention zu sammeln.

Die Unterschiede mögen von Landesgesetz zu Landesgesetz variieren, ihnen gemeinsam ist, dass für die Legendierung seitens der Behörden alles unternommen wird; selbst eine Immatrikulation an der Uni Heidelberg, die für den Spitzel Simon B. notwendig war, um linke Studierende zu bespitzeln.

Überwachung als Selbstzweck?

Dies und vor allem die Geschichte von Iris P., die unter der Legende Iris Schneider auftrat, werden im Film sehr gut und zugleich mit der nötigen Sensibilität dargestellt. Darin berichten u.a. vier Rote Flora-Aktivist*innen, wie sie Iris P. kennenlernten, wie sie sich auf den Plena einbrachte oder privat verhielt. Im allgemeinen ließ wenig darauf schließen, dass es sich um einen Spitzel handeln könnte – zumal niemand gegenüber anderen Genoss*innen ohne jegliche Gründe einen Spitzelverdacht äußern würde.

Es muss den Filmschaffenden hoch angerechnet werden, dass sie auch Akteur*innen vonseiten der Polizei und Justiz zu Wort kamen ließen: Interviewt wurden unter anderem der Bundesinnenminister a.D. Gerhart Baum sowie der frühere Bundesanwalt Kay Nehm. Besonders entlarvend ist Nehms lakonische Feststellung am Ende, dass die Bespitzelung im Falle der Iris P. nichts brachte. Am Abspann des Filmes wird auch erwähnt, dass keine der dargestellten Überwachungen irgendwelche strafrechtlich relevanten Erkenntnisse hervorgebracht hätten…

War das alles sinnlos? Oder hat die Überwachung jener, die in Opposition zum mörderischen BRD-Regime stehen, einen anderen Zweck? Bespitzelung innerhalb der revolutionären Linken ist nicht neu und es finden sich mitunter berüchtigte Beispiele. So war der Fraktionsvorsitzende der Bolschewiki, Roman Malinowski, vor dem Ersten Weltkrieg ebenfalls ein Agent des zaristischen Geheimdienstes; keine geringere als Jakob Swerdlow und Josef Stalin wurden aufgrund seiner Informationen nach Sibirien in die Verbannung geschickt. Mark Zborowski bespitzelte die Gründungsvorbereitungen der IV. Internationale: Aufgrund seiner Tätigkeiten wurden hervorragende trotzkistische Kader wie Erwin Wolf, Rudolf Klement und nicht zuletzt Leo Sedov brutal ermordet.

Die historische Gemeinsamkeit dieser Beispiele? Sowohl Lenin als auch Sedov hielten lange an ihren vermeintlichen Genossen fest, obwohl es bereits Warnungen anderer Genoss*innen (u.a. Julius Martov) gab.

Doch genug des Eintauchens in die Geschichte unserer politischen Vorfahren. Eine verdeckte Ermittlung hat auch immer zum Ziel, den politischen Willensbildungsprozess zu sabotieren und innerhalb der Organisationen früher oder später Demoralisierung hervorzurufen. Das Gefühl der tiefen Vulnerabilität bleibt, die Interviews mit den Betroffenen zeugen davon und noch heute laufen Klagen auf Akteneinsicht. Was wusste der vermeintliche Freund? Geht es denn immer weiter?

Was zweifellos weitergeht, ist die typisch-beschämende Verdeckungstaktik der Polizei. Alle (!) eingesetzten früheren Spitzel arbeiten heute in einer anderen Tätigkeit für die Polizei weiter. Als eine Gruppe von Aktivist*innen der Roten Flora die Iris P. in ihrem Zuhause zu Rede stellen wollten, waren sofort mehrere Polizeiwagen zur Stelle, um sie zu schützen und den Aktivist*innen mit der Festnahme zu drohen. Eine Manifestation reaktionären Korpsgeistes.

Raus aus unseren Reihen!

Als an der Roten Flora wiederum ein ironisches Plakat in Anspielung an die Spitzel angebracht wurde, so führte das innerhalb weniger Stunden zu einem Polizeieinsatz, damit die Gesichter der Spitzel ja nicht in die Öffentlichkeit kommen sollten. Überhaupt ist natürlich Öffentlichkeit etwas, worauf Spitzel allergisch reagieren. Zwar gibt es von der Iris P. eine Tonaufnahme, jedoch bestand sie in den meisten Fällen darauf, nicht fotografiert zu werden. Es braucht eine Kampagne, welche die widerlich-verräterischen Subjekte aus unseren Reihen vertreibt und aufzeigt, welche unnötig-grotesken Summen ausgegeben werden, damit eine verdeckte Ermittlung funktionieren kann. Sechs- bis siebenstellige Summen. Das sollte mensch sich merken, wenn es wieder seitens der bürgerlichen Politiker*innen heißt, es sei kein Geld für höhere Löhne der Beschäftigten da, kein Geld für unsere Schulen und Universitäten, kein Geld für Krankenhäuser, Bibliotheken, Schwimmbäder.

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