Im Gedenken an die ermordeten Bolschewiki-LeninistInnen
// Flugblatt für die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 2013 //
Die Wirtschaftskrise sorgt in ihrem fünften Jahr für immer schärfere Angriffe der herrschenden Klasse auf die breite Masse der Bevölkerung, von der insbesondere MigrantInnen, Jugendliche, Frauen und RentnerInnen betroffen sind. Gleichzeitig sorgt sie für eine wachsende Antwort von Seiten der ArbeiterInnen und der Jugend auf eben diese Angriffe. Allen voran sind dabei die Situation im Spanischen Staat, in Griechenland und der wieder aufflammende Arabische Frühling in Ägypten zu nennen. Gleichzeitig zeigen Situationen wie in Griechenland den langsamen Aufstieg faschistischer Kräfte, die den Widerstand gegen die Krise in ihre Richtung zu lenken versuchen. In Deutschland ist diese Radikalisierung der politischen Situation, die sich bei all ihren Beschränkungen und bürokratischen Kontrollen in diesen Ländern zeigt, noch nicht so weit fortgeschritten. Dennoch versuchen wir von RIO auch hier, einen Ausweg aus der Krise im Interesse der ArbeiterInnenklasse und der unterdrückten Jugend aufzuzeigen.
In diesem Zusammenhang gewinnt das Gedenken an die RevolutionärInnen, die mit ihrem Leben bezahlen mussten, an Bedeutung. Selbstverständlich geht es nicht darum, einen von seinem revolutionären Inhalt entleerten Personenkult zu betreiben. Doch der Tod von RevolutionärInnen war nur dann nicht sinnlos, wenn wir ihren Kampf für den Sturz des Kapitalismus und für die sozialistische Weltrevolution – und damit auch gegen diejenigen, die die revolutionäre Sache entweder verraten oder aufgegeben haben – in ihrem Sinne weiterführen. Das ist der Sinn der traditionellen LL-Demonstration, mit der wir den großen RevolutionärInnen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedenken, die 1919 von der Führung der Sozialdemokratie ermordet wurden.
Warum mussten sie sterben? Karl und Rosa waren Teil des revolutionären Flügels der SPD. Die bürokratische Führung der Partei hatte sich aber mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten am Anfang des Ersten Weltkriegs endgültig auf die Seite des kapitalistischen Systems, genauer auf die Seite des deutschen Imperialismus‘, geschlagen. Damit verrieten sie unwiderruflich die historische Aufgabe des Proletariats. Weil Karl und Rosa in Deutschland eine sozialistische Räterepublik nach sowjetischem Vorbild aufbauen wollten, wurden sie ermordet.
Wladimir Iljitsch Lenin und Leo Trotzki, die Anführer der Oktoberrevolution, hatten nach der Erfahrung von 1914 mit der Sozialdemokratie gebrochen, um die revolutionäre Tradition des Marxismus‘ fortzuführen. Mit ihnen an der Spitze konnte das russische Proletariat 1917 in der ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution der Geschichte den Kapitalismus stürzen und ein System von Räten („Sowjets“) aufbauen, mit denen die ArbeiterInnenklasse künftig die Produktion und die gesamte Gesellschaft selbst lenken konnte.
Aufgrund verschiedener Faktoren wie der Isolation Russlands nach dem Ausbleiben der Revolution in Westeuropa und dem BürgerInnenkrieg, den die imperialistischen Mächte der Sowjetunion nach der Revolution aufzwangen, stand die junge Sowjetunion wirtschaftlich jedoch auf wackligen Füßen. Nach Lenins Tod führte die von Stalin angeführte Bürokratie eine Konterrevolution „auf dem gesellschaftlichen Fundament der Revolution“ (Trotzki) durch, die die Privilegien der Bürokratie sicherte, die demokratische Basis der Räte zerschmetterte und die wichtigsten Lehren des Marxismus revidierte.
Doch während das Gedenken an Luxemburg und Liebknecht auch immer mahnend auf die Rolle der Sozialdemokratie seit dem Ersten Weltkrieg hinweist, werden die Rolle des Stalinismus in der Sowjetunion, sein Versagen im Kampf gegen den Aufstieg des Faschismus in Deutschland, sowie seine Verbrechen bei den Revolutionen in China (1925-27), Spanien (1936-39) und in vielen anderen Ländern bei der LL-Demonstration nicht thematisiert. Vor allem aber wird verschwiegen, wie viele RevolutionärInnen ihr Leben in den berüchtigten Konzentrationslagern von Workuta oder Uchta-Petschora, in den Straßen von Havanna, Paris oder Mexiko-Stadt ermordet wurden. Der bekannteste unter ihnen war sicherlich Leo Trotzki.
Trotzki führte die Tradition des revolutionären Marxismus fort und verteidigte die Errungenschaften der Revolution gegen die stalinistische Bürokratie. Während die stalinistische Bürokratie gegen die Weltrevolution arbeitete, traten und treten die Bolschewiki-LeninistInnen, wie sich Trotzki und seine AnhängerInnen nannten, für die permanente Revolution ein. Das bedeutet das Vorantreiben des Kampfes für demokratische Forderungen hin zu einer sozialistischen Revolution ist, – das ist heute angesichts der Prozesse im arabischen Raum, allen voran in Ägypten, Tunesien, Libyen und Syrien aktueller als je zuvor. Nur wenn aus den demokratischen Kämpfen der arabischen Massen ein Aufstand gegen die imperialistische Unterdrückung und damit auch gegen die eigene Bourgeoisie wird, der die Massen vom kapitalistischen Joch befreit, kann der „arabische Frühling“ den Massen greifbare Verbesserungen bringen.
Es ist das Erbe der Bolschewiki-LeninistInnen, das den einzigen revolutionären Ausweg aus der Krise im Sinne der ArbeiterInnenklasse und der Jugend aufzeigt. Ein Erbe, welches der kapitalistischen Barbarei den Kampf ansagt; welches gegen jegliche Illusionen in die Reformierbarkeit des Kapitalismus für die permanente Revolution eintritt; für welches der Sozialismus nur international und nur mit der größten ArbeiterInnendemokratie möglich ist; und welches deswegen jeden Kampf im Hier und Jetzt zur Herausbildung von demokratischen Organen der Selbstorganisierung der ArbeiterInnen und Massen (Räte) nutzt.
Das Erbe der Bolschewiki-LeninistInnen um Leo Trotzki fand in der 1938 gegründeten Vierten Internationale ihren höchsten Ausdruck. Wir kämpfen dafür, dieses Erbe heute wieder aufzubauen. Denn in der größten Krise des Kapitalismus seit 80 Jahren sind Trotzkis Schlussfolgerungen aktueller als je zuvor.
Ermordete Bolschewiki-LeninistInnen
Hier sind einige Bolschewiki-LeninistInnen, derer wir während der Luxemburg-Liebknecht-Lenin-Demonstration gedenken. Dabei denken wir an viele Hunderte mehr, die wegen ihres Kampfes gegen Kapitalismus und Stalinismus gefallen sind.
Mariano Ferreyra (1987-2010) war ein argentinischer Trotzkist, der seit seinem 13. Lebensjahr in der Partido Obrero (ArbeiterInnenpartei) aktiv war. Als Student der Universität von Buenos Aires unterstützte er prekär beschäftigte EisenbahnerInnen, die für ihre Festeinstellung kämpften. Schläger im Dienste der Gewerkschaftsbürokratie schossen auf ihre Demonstration und er wurde tödlich verletzt. Am nächsten Tag streikten Tausende ArbeiterInnen.
Walter Held (1910-1942, Heinz Epe) war ein deutscher Kommunist, der die trotzkistische Exilzeitung Unser Wort mit herausgab. In Norwegen arbeitete er im Internationalen Büro revolutionärer Jugendorganisationen zusammen mit Willy Brandt (SAP). Nach der Besetzung Norwegens versuchte er, über Schweden und die UdSSR in die USA zu fliegen, wurde allerdings von der stalinistischen Geheimpolizei verhaftet und verschwand.
Marcel Hic (1915-1944) war ein französischer Kommunist, der während des Zweiten Weltkrieges die Parti Ouvrier Internationaliste (Internationalistische ArbeiterInnenpartei) im Untergrund organisierte. Er arbeitete an der kommunistischen Zeitschrift Arbeiter und Soldat mit, die illegal an Wehrmachtssoldaten verteilt wurde. Er wurde zusammen mit TrotzkistInnen und revolutionären Wehrmachtssoldaten verhaftet und im KZ ermordet.
Abraham Leon (1918-1944) war ein jüdischer Kommunist, der in Warschau geboren wurde und in Belgien aufwuchs. Er war führendes Mitglied der zionistischen Jugendgruppe Hashomer Hatzair in Belgien, bevor er das marxistische Buch „Die jüdische Frage“ schrieb, mit dem Zionismus brach und sich der Vierten Internationale anschloss. Er organisierte Untergrundarbeit in den Fabriken, bevor er verhaftet und in Auschwitz ermordet wurde.
Cesar Lora (1927-1965) war ein bolivianischer Bergarbeiter und Mitglied der Partido Obrero Revolucionario (Revolutionäre ArbeiterInnenpartei). Als Gewerkschafter in der Mine Siglo XX organisierte er nicht nur bewaffneten Widerstand, sondern auch die Thesen von Pulacayo von 1946, die die Losung der Arbeiter- und Bauernregierung ins Gewerkschaftsstatut festschrieb. 1965 wurde er von der Militärdiktatur von Barrientos ermordet.
Tatjana Miagkova (1898-1937) war eine russische Kommunistin, die sich 1926 der Linken Oppo- sition anschloss. Sie wurde deshalb aus der KP ausgeschlossen und ins Exil geschickt. 1933 wurde sie verhaftet und drei Jahre in Isolationshaft gesteckt. 1936 verurteilte eine Spezialkonferenz des KGB Tatjana Miagkova zu fünf Jahren Lagerhaft. In einem Lager am Polarkreis wurde sie 1937 hingerichtet.
Pandelis Pouliopoulos (1900-1943) war ein griechischer Kommunist, der als Generalsekretär der Kommounistikó Kómma Elládas (Kommunistische Partei Griechenlands) diente, bevor er aus der Partei ausgeschlossen wurde. Daraufhin gründete er die trotzkistische Gruppe OKDE. Er übersetzte „Das Kapital“ ins Griechische. 1943 wurde er von den italienischen Besatzungstruppen ermordet, während er eine klassenkämpferische Rede hielt.
Ignaz Reiß (1899-1937) war ein polnischer Kommunist, der nach der Oktoberrevolution für den Geheimdienst der jungen Sowjetunion arbeitete. 1937 kritisierte er Stalin als „Henker der besten Vertreter der russischen Arbeiter“ und erklärte seinen Übertritt zur Vierten Internationale in einem Brief ans ZK der KPdSU. Daraufhin wurde er in Lausanne in der Schweiz vom stalinistischen Geheimdienst in eine Falle gelockt und ermordet.
Wolfgang Václav Salus (1909-1953) war ein tschechischer Kommunist, der sich in der Kommunistischen Jugendinternationale engagierte. Er arbeitete als Trotzkis Sekretär auf der türkischen Insel Prinkipo und dann als Vorsitzender der trotzkistischen Gruppe in Prag. Nach dem Krieg arbeitete er in der deutschen Sektion der Vierten Internationale in München mit. Dort wurde er vom Stasi-Spitzel Otto Freitag verraten und vom KGB vergiftet.
Ta Thu Thau (1906-1945) war ein vietnamesischer Kommunist, der 1930 aus seinem französischen Exil abgeschoben wurde. In Vietnam gründete er die Gruppe der Indonesischen Bolschewiki-LeninistInnen und die Zeitschrift La Lutte, die die Wahlen von 1939 mit 80% gewann. 1945 wurde er von vietnamesischen StalinistInnen ermordet (die zur gleichen Zeit die Truppen des US-Imperialismus in Vietnam willkommen hießen).