Ihr schützt keine Leben: Auf die Straße gegen den 1000-Kreuze-Marsch in Münster und Köln!

09.09.2024, Lesezeit 9 Min.
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Endkundgebung des Tausend-Kreuze-Marsches in Münster 2019 / Foto: Oli Medina

Der „Marsch für das Leben“ ist weit mehr als ein gewöhnlicher religiöser Umzug – er ist ein Symbol für die unheilige Allianz von religiösem Fundamentalismus und der neuen Rechten, die gezielt die Rechte von Frauen und Queers angreifen.

Moderne Inquisitor:innen und ihr Schulterschluss mit der neuen Rechten

Der Straßenzug ist für Außenstehende schwer einzuordnen. Jährlich versammeln sich Menschen in Münster, tragen große weiße Holzkreuze und gold gerahmte Darstellungen von Ikonen wie der Jungfrau Maria, während lateinische Gebete über Lautsprecherboxen laufen. Dabei handelt es sich keineswegs um einen üblichen religiösen Umzug der Kirche, sondern um eine Veranstaltung mit einer frauenverachtenden und queerfeindlichen Rhetorik. Die Rede ist vom sogenannten „Marsch für das Leben“ – besser bekannt als „1000-Kreuze-Marsch“. Dieser Marsch wird von der religiösen Rechten und radikalen Abtreibungsgegnern organisiert. Er ist immer wieder Anziehungspol für Mitglieder der Identitären Bewegung, Die Rechte, der AfD und der Jungen Alternative. Der Marsch findet in verschiedenen Städten wie Münster,  Köln, München, Salzburg, Straßburg oder London statt. In Münster wird er seit 2003 von der Organisation „EuroProLife“ veranstaltet.

Während die Organisator:innen des Marsches behaupten, sie würden für den „Schutz des Lebens“ eintreten, sehen wir einen klaren Angriff auf das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche Autonomie von Frauen und gebärfähigen Personen. Der Marsch ist Teil einer größeren Mobilisierung der Rechten und muss als der faschistoide Aufmarsch verstanden werden, der er ist. Er ist Ausdruck einer frauenfeindlichen und autoritären Agenda, die nicht nur das Recht auf Abtreibung beschneiden will, sondern auch zunehmenden Druck auf die Rechte von Frauen und gebärfähigen Menschen ausüben soll. Er verdeutlicht, wie religiöser Fundamentalismus und rechte Ideologie zusammenwirken, um die Errungenschaften der Frauenbewegung zu untergraben. 

Die weißen Kreuze, die durch die Stadt getragen werden, stehen symbolisch für abgetriebene Föten. Die Teilnehmer:innen beten für die „Wandlung der Herzen, damit nie wieder eine Frau so schwer in Bedrängnis gerät, dass sie keinen anderen Ausweg sieht, als die Tötung ihres eigenen Kindes“, sowie für das Krankenhauspersonal, das die Eingriffe durchführt. Laut ihrer Website basiert ihre Philosophie, dass Leben ab dem Moment der Befruchtung entstehe, auf den pseudo-wissenschaftlichen Erkenntnissen von Dr. Erich Blechschmidt. Dieser war Arzt und Mitglied der NSDAP, unter deren Schirmherrschaft er seine Forschungsergebnisse aus Embryonen von Zwangsabtreibungen während des NS-Regimes gewann. Diese Ansichten werden verknüpft mit dem eigenen religiösem Fundamentalismus und werden durch den „Lebensschutz“-Euphemismus kaschiert. Die Organisator:innen des Marsches prangern an, stigmatisieren und setzen alles daran, Schwangerschaftsabbrüche zu kriminalisieren und das Recht auf Abtreibung einzuschränken. Dabei wird auch die Verbindung zur AfD gesucht, deren prominente Vertreterinnen wie Beatrix von Storch als gern gesehene Gäste bei Mobilisierungen in anderen Städten auftreten. Der Marsch in Münster ist Teil einer globalen Bewegung, die gegen die Emanzipation von Frauen und Queers vorgeht.In vielen Ländern werden Abtreibungsgegner immer aktiver und aggressiver, was zu einer Verschärfung der Gesetze und zu einem Rückgang der verfügbaren Abtreibungsdienste führt.

Breites Bündnis mobilisiert

Seit Jahren formiert sich Widerstand gegen den „1000-Kreuze-Marsch“. Anfangs ausschließlich durch autonome Störaktionen, wird dieser seit 2017 von einem breiten „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ getragen. Dieses Bündnis wurde von Aktivist:innen der Linkspartei gegründet und umfasst mittlerweile über 20 Organisationen, darunter Parteien wie DIE LINKE, SPD und Grüne sowie diverse feministische Vereine, Hochschulgruppen und Gewerkschaften. Ihr Ziel ist es, einen lauten und sichtbaren Protest gegen den „1000-Kreuze-Marsch“ zu organisieren und gleichzeitig das Thema Schwangerschaftsabbruch zu enttabuisieren. Politische Parteien beanspruchen nun die Forderungen des Protests für sich, um sich als progressiv darzustellen. So geben sich Vertreterinnen einer angeblich „feministischen Außenpolitik“, die andernorts Lebensgrundlagen und medizinische Versorgung zerstören, hier als Vorkämpfer:innen für das Recht auf Selbstbestimmung aus. Inzwischen ist sogar die FDP Teil des Bündnisses.

Man setzt auf Breite statt auf Qualität und Strategie, um die eigenen Forderungen durchzusetzen. Man muss anerkennen, dass das Bündnis das Thema erfolgreich in der Stadtgesellschaft verankert und mittlerweile zu einer der größten politischen Mobilisierungen in Münster gemacht hat. Daher ist es unabdingbar, die Proteste zu unterstützen. Wir müssen allerdings deutlich machen, dass ein großer Teil des Bündnisses seine Solidarität für ein selbstbestimmtes Leben nur heuchelt, um Wählerstimmen abzugreifen. Wir rufen die Teile des Bündnisses, die eine Erfüllung unserer Forderungen nicht im Kapitalismus sehen und Antifeminismus den Nährboden entziehen wollen, dazu auf, einen eigenen Pol auf der Demonstration zu schaffen und mit uns in strategischen Austausch zu treten.

In ihren Reden und Aktionen betont das Bündnis, dass Abtreibungen weltweit oft unsicher und gefährlich sind, insbesondere in Ländern, in denen sie illegal sind. Sie argumentieren, dass der Zugang zu sicheren, legalen Abtreibungen eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der öffentlichen Gesundheit ist. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung in Münster geht über die bloße Organisation von Protesten hinaus und engagiert sich das ganze Jahr über für eine umfassende Aufklärung und die Enttabuisierung des Themas Schwangerschaftsabbruch. Zudem setzt es sich für die Abschaffung der §§218 und 219 im Strafgesetzbuch ein, um Abtreibungen vollständig zu entkriminalisieren. Das ist unterstützenswert, bietet aber keine Befreiungsperspektive von Patriarchat, dem konservativen Familienbild, Rollenklischees, die der Kapitalismus aufrechterhält.

Es wird richtig erkannt, dass die Versorgungslage in Deutschland für für Menschen die abtreiben möchten ein großes Problem darstellt. In vielen Regionen Deutschlands, einschließlich Münster, gibt es nicht genug Ärzt:innen, die Abtreibungen durchführen, was zu erheblichen Belastungen für betroffene Frauen und gebärfähige Personen führt. Das Bündnis fordert daher nicht nur rechtliche Veränderungen, sondern auch eine bessere medizinische Versorgung und Unterstützung für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen. Diese Unterversorgung ist hausgemacht und Teil des sozialen Kahlschlags auf unsere öffentliche Daseinsvorsorge. Diesen Misstand können wir nicht gemeinsam mit vermeintlich progressiven Liberalen oder Grünen bekämpfen, sondern nur gemeinsam als Arbeiter:innenklasse.

Nicht nur Zeichen setzen, sondern ein Kampfprogramm aufstellen!

Die Mobilisierungen des Bündnisses sind wichtig, doch es fehlt ein klarer Ansatz, der auch die Verbindung zu anderen Themen herstellt und Forderungen formuliert, die über die üblichen Reformen hinausgehen und uns selbst als Motor für politische Veränderung begreifen. Für uns ist klar: Wir müssen die Mobilisierungen gegen den 1000-Kreuze-Marsch in unsere antifaschistische Strategie einbetten. Gemeinsam mit anderen Organisationen müssen wir sowohl Präsenz auf der Straße zeigen, um die ritualisierten Gehsteig-Belästigungen der Fundamentalist:innen vor Arztpraxen zu stoppen, als auch den Marsch für das Leben zu blockieren.

Dafür müssen wir einerseits einen koordinierten antifaschistischen Selbstschutz organisieren, gemeinsam mit Gruppen, deren tägliches Engagement die Recherchearbeit und politische Aufklärung über rechte Umtriebe umfasst. Andererseits gilt es, diesen Selbstschutz mit einem gemeinsamen politischen Kampf an Universitäten und in Betrieben zu verbinden. Die Art und Weise, wie sich die Gewerkschaften im Bündnis präsentieren, spiegelt nicht wider, was sie als Beitrag für unsere Bewegung leisten könnten. Durch die Koordination mit Betriebsgruppen, gewerkschaftlichen Basismitgliedern, Vertrauensleuten und Betriebsräten aber auch in Kooperation mit Fachschaften und anderen Hochschulgruppen können wir eine Klarheit über die Notwendigkeit von Widerstand schaffen.

Insbesondere in den Krankenhäusern der Stadt könnte die Gewerkschaft Versammlungen einberufen, um über die Gefahr von Rechts, den Ausbau der Gesundheitsfürsorge insbesondere für Frauen und gebärfähige Personen sowie die Möglichkeiten des kollektiven Widerstands zu diskutieren.

Um dem Spuk der Abtreibungsgegner:innen ein Ende zu setzen, brauchen wir diese tiefe Verankerung. Zum einen, um uns und unsere Rechte zu schützen, und zum anderen, um gemeinsam mit den Beschäftigten ein Kampfprogramm gegen die Einschränkung unserer reproduktiven Rechte, gegen Queerfeindlichkeit, gegen den Sozialkahlschlag in der gesundheitlichen Daseinsvorsorge und gegen Aufrüstung und Militarismus zu entwickeln. Der Kampf gegen Rechts und für Selbstbestimmung darf nicht an der Wahlurne enden. Es bedarf eines umfassenden Generalangriffs der Arbeiter:innen gegen die Politik, die unsere Rechte und unser selbstbestimmtes Leben permanent unter Beschuss setzt.

Die Frauenkämpfe weltweit inspirieren uns, besonders unsere Genoss:innen der sozialistischen Frauenorganisation Pan y Rosas in Argentinien, die gemeinsam einen revolutionären Pol innerhalb von „Ni una Menos“ bildeten, Millionen Frauen für die Legalisierung von Abtreibungen mobilisierten und es schafften, in Argentinien Abtreibungen trotz starken Widerstands zu legalisieren.

Es ist an der Zeit, gemeinsam den rückwärtsgewandten Kräften entgegenzutreten und ihren zunehmenden Einfluss zu stoppen. 

Am 21. September und am 5. Oktober 2024 werden reaktionäre Fundamentalist:innen erneut die Straßen in Münster und Köln für ihre Propaganda nutzen. Kommt mit uns zu den Gegenprotesten! 

Als marxistische Hochschulgruppe Waffen der Kritik kämpfen wir für eine Zeitenwende in unserem Sinne gegen die Kapitalist:innen und ihre Regierungen. Anhand der marxistischen Theorie und den Erfahrungen der Arbeiter:innenklasse wollen wir als Studierende einen Beitrag im Klassenkampf leisten. Wir haben eine Welt zu gewinnen – ohne Klassen und Staat, eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Wir sind aktiv in Berlin, Bremen, Kassel, Leipzig, Münster, München und haben Genoss:innen in verschiedenen weiteren Städten. Schreibe uns, wenn du dich in Waffen der Kritik organisieren willst, per Mail oder auf Instagram. Hier kannst du mehr über uns erfahren.

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