IG-Metall fordert Vier-Tage-Woche: Wir brauchen eine Arbeitszeitverkürzung für die gesamte Klasse
In Vorbereitung auf die Tarifverhandlungen in der Stahlindustrie bringt IG-Metall-Verhandlungsführer Knut Giesler die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche ins Spiel. Das ist ein wichtiges Signal für alle Arbeiter:innen.
Die Forderung ist nicht neu und doch ist sie von enormer Wichtigkeit: Die Vier-Tage-Woche. 32 statt 35 Wochenarbeitsstunden bei vollem Lohnausgleich. Damit werden die in der IG-Metall organisierten Stahlarbeiter:innen in die Tarifauseinandersetzungen gehen, welche Ende des Jahres zunächst in den nordwestlichen Bundesländern – Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen und Bremen – und Ostdeutschland anstehen, ab Februar 2024 dann auch im Saarland. Davon erhofft sich Giesler eine Verringerung der Belastung der Beschäftigten und eine Verbesserung ihrer Gesundheit und Lebensqualität. Das soll ferner die Attraktivität der Branche gerade für junge Menschen erhöhen, die dringend gefragt sind, den klimafreundlichen Umbau der kohlebasierten Schwerindustrie zu ermöglichen. Auch sollen die damit einhergehenden Arbeitsplatzverluste abgefangen werden. Der Vorstoß wird von den Belegschaften sehr positiv aufgenommen.
Ist die 4-Tage-Woche eine sinnvolle Forderung für Arbeiter:innen?
Dass „Arbeitgeber:innen“ der Forderung meist skeptisch gegenüberstehen, sollte ein Zeichen sein, sie gerade deswegen aufzunehmen. In Bezug auf die Arbeitszeit haben Beschäftigte und Bosse gegenläufige Interessen: Während Erstere mit möglichst wenig Arbeit möglichst viel verdienen wollen, wollen Letztere den größtmöglichen Gewinn erwirtschaften. Schon Karl Marx erkannte, dass die Kapitalist:innen versuchen, ihren Profit zu steigern, indem sie entweder die Arbeitszeit erhöhen oder den Arbeitsprozess intensivieren.
Pilotstudien belegen immer wieder die resultierenden Verbesserungen von mentaler und körperlicher Gesundheit. Die bis dato größte Studie hierzu wurde 2022 in Großbritannien durchgeführt. Beschäftigte schaffen es, ihr Privatleben besser mit ihrem Job zu balancieren; das hat positive Effekte für die Geschlechtergerechtigkeit, da mehr Zeit für Reproduktionsarbeit zur Verfügung steht, und auch für die Menschen, die auf Pflegearbeit angewiesen sind, etwa Kinder, Ältere und Menschen mit Behinderung. Auch das Sozialleben profitiert. Ergebnisse bestätigen außerdem die von Giesler erwartete Erhöhung der Attraktivität der Stahlindustrie: Firmen mit reduzierten Arbeitszeiten ziehen mehr Bewerber:innen an und freiwillige Kündigungen werden reduziert.
Während bürgerliche Ökonom:innen nun aufschreien und Gieslers letzter Erwartung, dass mit der Vier-Tage-Woche Stellenstreichungen vorgebeugt werden, die sogenannte „lump of labour fallacy“ entgegenwerfen (wie es etwa der Spiegel getan hat), können wir nur lachen. Diese Ökonom:innen versuchen damit, die Forderung dahingehend zu entkräften, dass eine Arbeitszeitreduktion nicht automatisch weniger Arbeitslosigkeit bedeute. Aber das ist offensichtlich, schließlich erfüllt die Arbeitslosigkeit eine bestimmte Funktion in einer kapitalistischen Wirtschaft. Uns geht es darum, die „Arbeitgeber:innen“ durch Streiks dazu zu zwingen, keine Stellen abzubauen bei gleichzeitiger Arbeitszeitverkürzung. Die Länge des Normalarbeitstags wurde stets von den Arbeiter:innen erkämpft.
Schon Trotzki forderte im Übergangsprogramm die Durchsetzung einer gleitenden Skala der Löhne und der Arbeitszeit, die genau diesen kämpferischen Aspekt hervorhebt:
Gegen die Arbeitslosigkeit – sowohl die strukturelle wie die konjunkturelle – ist es an der Zeit, neben der Parole der öffentlichen Arbeiten die Losung der Gleitenden Skala der Arbeitszeit auszugeben. Die Gewerkschaften und andere Massenorganisationen müssen diejenigen, die Arbeit haben, und diejenigen, die keine haben, durch die gegenseitige Verpflichtung zur Solidarität verbinden. Auf dieser Basis muss die verfügbare Arbeit unter alle vorhandenen Arbeitskräfte aufgeteilt und so die Dauer der Arbeitswoche bestimmt werden. Der Durchschnittslohn jedes Arbeiters bleibt der gleiche wie bei der bisherigen Arbeitswoche. Der Lohn, mit einem fest garantierten Minimum, folgt der Bewegung der Preise.
Eine Perspektive für die gesamte Klasse
Tatsächlich sollte die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung in allen Gewerkschaften, in allen Branchen und Betrieben aufgegriffen werden. Natürlich ist das in manchen Fällen einfacher als in anderen. Die fortschrittlichsten Sektoren sollten dementsprechend als Leuchttürme für weitere Kämpfe wirken. Diese Rolle kann nun von der IG Metall in der Stahlindustrie übernommen werden. In einem weiteren Schritt sollte die Forderung auf die gesamte Gewerkschaft in allen Bereichen ausgedehnt werden. Gerade wenn alle Gewerkschaften an einem Strang ziehen und sich entschieden gegen Stellenabbau und für Vollbeschäftigung einsetzen kann die Vier-Tage-Woche ein voller Erfolg werden.