Ich wurde nicht geboren, um als Kanonenfutter zu enden

04.04.2025, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Die Rote Nelke ist ein Symbol des Widerstands von Arbeiter:innen unter anderem gegen die Kriegspolitik / Vesna Bojović (https://www.flickr.com/photos/28016878@N07/)

Die Wehrpflicht soll kommen. Mein Leben ist mir aber mehr wert, als in ihren Kriegen zu sterben. Ein Kommentar.

In Deutschland wird darüber debattiert, die Wehrpflicht wieder einzuführen. AfD und CDU wollen Wehrpflicht sofort, SPD will das „Schwedische Modell“ und die Grünen wollen einen „Freiheitsdienst“ beim Militär. Die Linkspartei ist gegen eine Wehrpflicht – dafür haben sie im Bundesrat gar kein Problem damit, Milliarden ins Militär zu schießen.

Die Debatte wird aufgeheizt, indem eine angebliche russische Gefahr inszeniert wird, die uns bevorstehe. Klar, klingt total logisch: Ein Russland, das nicht mal großartig Gebiete in der Ukraine erobern konnte, steht jetzt definitiv als nächstes direkt vor unserer Haustür.

Will ich die Kriegsverbrechen Russlands verharmlosen? Absolut nicht. Aber ob Trump, Merz oder Putin: Sie sind für mich dieselben Kriegsverbrecher. Nur weil der eine einen direkten Krieg führt, macht es die anderen beiden, die Milliarden an diesem Krieg verdienen, nicht weniger verbrecherisch. Und im Gegensatz zur Darstellung Deutschlands ist auch Netanjahu für mich ein Kriegsverbrecher. Putin zu dämonisieren, aber Netanjahu trotz eines internationalen Haftbefehls noch nach Deutschland einzuladen, ist nichts als Stimmungsmache – Stimmung in Richtung Krieg führen, um „uns zu schützen“?

Aber wen schützen wir wirklich, wenn wir an die Front gehen?

Unsere Familien? Unsere Freund:innen? Uns selbst? Kurz und knapp: Niemanden davon. Sondern einzig und allein die Interessen von Politiker:innen, die Geld, Prestige und Macht durch Kriege gewinnen. Geschützt werden dadurch nationalistische und imperialistische Interessen wie die Europäische Zentralbank, die Paläste der reichen Bonzen, die Vermögen von 2.769 Milliardären weltweit.

Kanonenfutter im Krieg zu werden, schützt niemanden unserer Verwandten und Bekannten, niemanden unserer Kolleg:innen und Mitschüler:innen. Tatsache ist: Meine Familie und meine Freund:innen haben mehr Angriffe von der kommenden Regierung zu befürchten, als einen Angriff Russlands in Deutschland.

Mit Angriffen ist nicht gemeint, dass sie – die Lakaien der Regierung wie Polizist:innen, Geheimdienste, Sondereinsatzkommandos – vielleicht mit Waffen unsere Wohnungen einrennen und uns erschießen … was eine Lüge wäre, weil sie oft genug bewiesen haben, dass sie genau das tun. Beispielsweise wenn man in einer psychischen Ausnahmesituation ist, seine Miete nicht bezahlen kann oder wenn man abgeschoben werden soll und Widerstand leistet. 

Aber mit Angriffen auf uns sind auch Gesetze gemeint, die unser Leben verschlechtern. Mehr Verschärfungen in den Asylgesetzen, die Abschaffung des Bürgergelds, die in die Höhe schießenden Mietpreise, die „Architekturen gegen Obdachlose“, Streik- und Demonstrationsverbote, Abschaffung von trans Rechten oder ihrer gesamten Identität wie in den USA. Es gibt etliche dieser Beispiele.

Angriffe auf unser regelrechtes Brot. Nahrungsmittelpreise, die für Geringverdienende oder Sozialhilfe-Empfänger:innen kaum noch bezahlbar sind, immer schlechtere Arbeitsbedingungen durch Stellenstreichungen, die Löhne werden immer miserabler und kaum noch an die aktuellen Lebenshaltungskosten angepasst.

Diese ganzen Angriffe sind nicht einfach willkürlich, nein: Wir sollen immer weniger haben, immer ungesünder leben müssen, immer mehr Probleme mit Wohnungen und Geldnöten bekommen – damit das Militär immer mehr bekommt. Milliarden über Milliarden, von 100 Milliarden zu wieviel, einer Billionen oder mehr noch? Die Grenze für Militärausgaben wurde gesetzlich abgeschafft. Neben der CDU/CSU, der AfD, der SPD und den Grünen auch noch mit zusätzlicher Hilfe von der Linkspartei im Bundesrat. 

Ja, genau, der Linkspartei. Die Partei, die angeblich meine Interessen vertritt, aber mich eigentlich an jeder Ecke verrät, wo sie nur kann. Ich wollte bezahlbaren Wohnraum, sie haben Deutsche Wohnen und Co. enteignen gegen die Wand gefahren. Ich wollte einen sicheren Aufenthalt und die migrantische Community in Berlin genießen, sie haben Berlin zur Abschiebe-Hauptstadt gemacht. Ich wollte für meine Rechte als queere Person beim CSD in Leipzig kämpfen, wo Hunderte Nazis mich und das Leben abertausende Demoteilnehmer:innen bedroht haben – aber die Spitzenkandidat:innen der Linkspartei waren zu sehr mit ihrem Sommerfest beschäftigt. Tolle Linkspartei, da fühlt man sich doch direkt sicher und wohl mit ihnen im Bundestag. Ironie off.

Wie viele Kugeln ist mein Leben wert?

Jetzt also wieder die Wehrpflicht. Vielleicht habe ich Glück und bin schon zu alt für die deutsche Weh- … sorry, Weltmacht. Aber was ist mit meinem jüngeren Bruder? Was ist mit meinen zukünftigen Kindern, meinen Freund:innen, ihrem Nachwuchs, ihren Freund:innen, und und und? Ich will nicht vor dem Fernseher sitzen und zusehen, wie Kolleg:innen, Freund:innen, Familienmitglieder von mir in einem Krieg um die Interessen von Superreichen und Politikern kämpfen. Sich gegenseitig bekriegen, sich gegenseitig das Leben nehmen.

Bevor ich in den Krieg ziehe gegen Leute wie mich selbst, bleibe ich hier und kämpfe dafür, dass wir in diesem Land überhaupt erstmal überleben können. Dass kein Mensch obdachlos sein muss, dass alle Menschen jederzeit kostenfreien Zugang zu Medizin, zu Bildung und Wohnungen haben. Ja, komplett kostenfrei. Wir haben genug Geld für alle da, um das alles zu gewährleisten. Wir haben genug Geld, nicht nur zum Überleben, sondern auch für ein verdammt schönes Leben.

Und diesen Kampf führe ich nicht nur gegen einen russischen Kriegsverbrecher, sondern auch gegen deutsche Kriegsverbrecher und auch gegen us-amerikanische Kriegsverbrecher. Ich führe diesen Kampf gegen ein System, das immer wieder Kriege beginnt und sie jahrelang führt, bis sie neue Gebiete und Völker unterworfen haben, bis sie ihre Machtkämpfe ausgetragen und sich auf ihren elitären Sitzen bewiesen haben, wer nun das „bessere“ Land ist, wer nun mehr Macht in der Welt hat.

Ich weigere mich, für dieses oder irgendein anderes Land dieser Welt in den Krieg zu ziehen und mich als Kanonenfutter aufzuopfern. Ich wurde nicht geboren, um in einem Krieg zu sterben. Ich wurde geboren, um eine Welt zu erleben, die schön ist, die frei ist, auf der Menschen in Frieden miteinander leben, sich den Alltag erleichtern, verschönern und bereichern. Ich will sehen, wie Leben auf die Welt kommt und nicht, wie Lebende in den Tod gestürzt werden.

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