„Ich will nicht nur gegen die Zentralisierung im Gesundheitswesen kämpfen, sondern für eine ganz andere Gesellschaft“
Die abgemahnte Hebamme Leonie Lieb spricht ihrer Gerichtsverhandlung gegen die Kürzungs- und Schließungspolitik der Regierungen und darüber, wie sie für ein besseres Gesundheitssystem kämpfen will.
Hallo, ich bin Leonie.
Ich bin hier beim Gerichtstermin, weil ich aktiv bin für den Erhalt von meinem Kreißsaal zusammen mit meinem Team. Wir kämpfen also für die Versorgung von den Familien in Neuperlach, wo viele unter prekären Bedingungen leben.
Ich bin auch mit meiner Gewerkschaft ver.di hier, die die Kundgebung organisiert. Als Gewerkschafterin habe ich mit meiner Genossin Charlotte unseren selbstorganisierten Kampf in ver.di hineingetragen und einige Kolleginnen haben sich gewerkschaftlich organisiert. Im Widerstand gegen die Schließung des Kreißsaals habe ich eine Abmahnung gekriegt.
Die Abmahnung wird begründet, weil ich ein Interview in der Jungen Welt nicht mit der Pressestelle rückgesprochen habe. De facto wurde ich also abgemahnt, weil ich nicht geschwiegen hab und gesagt habe, was ich denke.
Was hab ich denn gesagt? Ich habe gesagt, dass der Kreißsaal auch Teil von einem kapitalistischen Gesundheitssystem ist. Ich denke, wir können nicht nur defensiv für den Erhalt des Kreißsaals kämpfen, sondern müssen politische und ökonomische Forderungen verbinden. Wie wir zum Beispiel den Kampf für den Erhalt mit den TVöD Streiks Anfang des Jahres verbunden haben.
Die Abmahnung auf diese Arbeit im Betrieb ist Union Busting. Das lasse ich mir nicht gefallen!
Ich glaube, meine Geschäftsführung dachte, mit der Abmahnung werde ich leise, aber das war falsch. Weil: ihr seid alle hier. Ver.di, meine Organisation Klasse gegen Klasse, wo ich organisiert bin, viele Leute aus dem Solikomitee, Unterstützer:innen verschiedener Parteien, meine Kolleg:innen und meine Freund:innen. Und ich habe auch die Unterstützung von vielen Kolleg:innen, die die Petition für meine Einstellung unterschrieben haben. Aus anderen Häusern, aber auch aus der Reinigung, den Stadtwerken und Erzieher:innen.
Das zeigt: Ich bin nicht alleine, und auch Repression und Einschüchterungen treffen nicht nur mich.
Denn während im Gesundheitswesen gekürzt wird, sieht man die Prioritäten der Regierung. Für was ist Geld da? Für die 100 Milliarden, für tausende Polizist:innen in München bei der IAA oder für Steuererleichterungen für Konzerne.
Andere Arbeiter:innen und die Klimabewegung erleben Repression. Letzte Woche wurden hier in München Klimaaktivist:innen der Letzten Generation festgenommen, ohne dass sie was gemacht haben. Circa 30 Aktivist:innen in Präventivhaft. Ich fordere die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Inhaftierten und eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt.
Weil ich denke, die Repression dort und die Repression bei mir hängen zusammen: Der Staat, die Justiz, die Bosse haben ein gemeinsames Interesse. Der Staat schützt zum Beispiel die Profite der großen Konzerne. Alleine BMW hat einen Rekordgewinn von 23,5 Milliarden gemacht, wird nun weiter subventioniert und seine Profitshow bei der IAA von der Polizei geschützt.
Gleichzeitig spart der Staat bei Gesundheit, trotz massivem Fachkräftemangel. Die Zentralisierung der Krankenhäuser und die Schließung von unserem Kreißsaal ist Teil der Sparpolitik, die nicht nur die Stadt München, sondern auch der Freistaat Bayern und auch die Bundesregierung mit Lauterbach an der Spitze vorantreiben will. Bei all dieser kapitalistischen Politik, die uns sagt, dass Zentralisierung notwendig ist, angeblich wegen Personalmangel, so überzeugen sie auch Kolleg:innen, da müssen wir sagen, wer oder was verantwortlich ist: die Sparmaßnahmen der Regierungen.
Das ist auch ein feministisches Thema, denn diese Kürzungen treffen Frauen besonders stark in ihren Berufen, aber auch weil sie die soziale Sorgearbeit auffangen müssen, die der Staat nicht mehr übernimmt. Die Schließung vom Kreißsaal ist eine Einsparung bei der Frauengesundheit. Die Zahl von Geburtskliniken geht ebenso zurück wie die von Abtreibungskliniken. Die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper wird somit beschnitten. Zugleich bringt diese Sparpolitik den Rechten den Vormarsch. Das ist eine Bedrohung für uns als Gewerkschafter:innen, als Frauen, weil sie unsere erkämpften Rechte angreifen und dagegen müssen wir kämpfen.
Und genau deswegen will ich als Gewerkschafterin und Hebamme auch was zum Wahlkampf sagen. Weil die Landtagswahl unsere Situation vom Kreißsaal beeinflusst. Weil die CSU und die Freien Wähler in Bayern die Sparpolitik vorantreiben wollen, ebenso wie die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP im Bund die Sparpolitik in allen Bereichen – Gesundheit, Soziales, Bildung – alles außer Aufrüstung vorantreiben will. Das stärkt nur die Rechten, selbst rechtsextreme Äußerungen werden normalisiert, wie sich bei Aiwanger zeigt.
Aber auch die Partei DIE LINKE hat in Regierungen in Berlin oder Bremen auch Einsparungen mitgetragen. Anstatt auf diese Parteien zu vertrauen, will ich hier und heute vor allem eins klarmachen: Wir müssen uns organisieren und wir müssen kämpfen. Dieser Kampf geht somit über mich hinaus: Ich will zeigen, dass wir nicht zu schweigen brauchen. Und als Sozialistin will ich für eine andere Welt kämpfen.
Wenn ihr von der SPD, von der LINKEN, den Grünen es wirklich ernst meint mit der Unterstützung des Kreißsaals, dann müsst ihr auch darüber hinaus mit uns kämpfen:
Für ein bedürfnisorientiertes Gesundheitssystem, wo wir im Krankenhaus nicht mehr ausgebeutet werden und wo wir nicht nur den Mangel verwalten, denn dieser Mangel ist künstlich. Es braucht massiv mehr Personal, massiv mehr Lohn, massiv mehr Entlastung, also weniger Stunden bei vollem Lohnausgleich, und ein voll ausfinanziertes Gesundheitssystem.
Aber auch massive Steuern bei Konzernen, um das Gesundheitssystem zu finanzieren: Das Geld muss von den Kapitalist:innen kommen. Und dafür müssen wir kämpfen, muss ver.di kämpfen, müssen alle Gewerkschaften kämpfen.
So könnten wir Krankenhäuser haben, die nicht nur auf die Erkrankungen reagieren. Als Hebammen haben wir einen Beruf mit großem Wissen zur Frauengesundheit und Prävention, aber in echt stopfen wir nur Lücken. In allen möglichen Stationen und Bereichen haben Kolleg:innen wertvolle Erfahrungen und Kenntnisse, die jedoch durch die enorme Arbeitsbelastung verbrannt werden.
In diesem Sinne kann ein wirklich bedürfnisorientiertes Gesundheitssystem, nur von uns als Beschäftigten, die offensichtlich den echtesten Einblick in diese Prozesse haben, verwaltet werden. Das heißt, unser Ziel kann also nicht nur eine Verstaatlichung sein, wie DIE LINKE sagt, sondern die Verstaatlichung unter Arbeiter:innenkontrolle.
Dafür müssen wir uns organisieren: An der Basis der Gewerkschaft, in den Betrieben, in Betriebsgruppen, wie wir es gerade in Neuperlach beginnen und auf der Straße. In diesem Sinne ist es dringend, Versammlungen zu machen, wie wir sie im TVöD hatten, aber so, dass sie der von mir beschriebenen Lage gerecht werden:
Freie Diskussionen über alle Probleme der Gegenwart: Gesundheit, Bildung, Vormarsch der Rechten und Klimawandel. Nicht nur in den Krankenhäusern, sondern in allen Betrieben, denn gute öffentliche Gesundheit betrifft uns alle als Arbeiter:innen.
Ich denke, ein besseres Gesundheitssystem kann man nicht vom Landtag aus, sondern aus dem Betrieb und mit den Bewohner:innen der Viertel und Gemeinden, die zu uns als Patientinnen kommen, erkämpft werden.
Deswegen brauchen wir Versammlungen, wo wir nicht nur debattieren, sondern demokratisch selbst entscheiden: Wie wir kämpfen, mit wem wir kämpfen, wofür wir kämpfen, anstatt nur dem Kalender und den Entscheidungen der Gewerkschaftsführung zu folgen. Wo wir diskutieren, dass wir Kämpfe zusammenführen, anstatt TVöD und TVL zu trennen, den öffentlichen Dienst von der Autoindustrie zu trennen und den Klimakampf von Gesundheit zu trennen. Im Herbst stehen bundesweite Streiks im TVL an: Lasst uns dafür sorgen, dass sie zu bundesweiten Mobilisierungen gegen die Sparpolitik der Regierung werden!
Über diese Perspektiven möchte ich auch in der nächsten Zeit innerhalb der ver.di, aber auch im Solikomitee sprechen: Ich will alle dazu aufrufen, in die Gewerkschaft zu gehen, aber ich will alle aufrufen, die wirklich kämpfen wollen und die dagegen sind, dass die Kämpfe getrennt werden. Ich will nicht nur gegen die Zentralisierung im Gesundheitswesen kämpfen, sondern für eine ganz andere Gesellschaft.