Ich war, ich bin, ich werde sein

15.08.2024, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Treffen von Waffen der Kritik beim Sommercamp / Ricarda Julia

Ich bin beim Sommercamp von Klasse Gegen Klasse. Aus dem offenen Fenster höre ich die Stimmen von rund 200 Genoss:innen. Sie rufen nach einer besseren Welt.

Das Treppenhaus der Herberge ist endlos. Immer weiter stapfen muss ich bis zum letzten Zimmer im Gang in der letzten Etage unter dem Dach. Dort schlafe ich neben meiner Genoss:in Freddy, die mich von der Aussichtslosigkeit in der Linksjugend zur revolutionären Organisierung bewegt hat.

Ich bin beim Sommercamp von Klasse Gegen Klasse. Aus dem offenen Fenster höre ich die Stimmen von rund 200 Genoss:innen. Sie rufen nach einer besseren Welt.

Wir haben unser Lager in einem Kaff in Hessen aufgeschlagen. Es ist wunderschön, die Natur gedeiht. Ich kann den glänzenden grünen Rasenstreifen unter der Mauer sehen, den klaren blauen Himmel darüber und die Sonne überall. Das Leben ist schön. Wir wollen es reinigen von allem Bösen, von Unterdrückung und Gewalt und es voll genießen.

In ihrer Abschlussrede sprach Lea, eine Sozialarbeiterin und allseits coole Genossin, davon, dass sie nicht nur innerhalb der Organisation oder auf ihrer Arbeit über Politik diskutiert, sondern auch mit Freund:innen und Familie. Denn Sozialismus ist nicht die Sache Einzelner, Träumer und Verstaubter – er ist die Sache aller Menschen auf diesem Planeten.

Er ist die Sache der Hebammen und Bevölkerung in Neuperlach, die vor der drohenden Schließung ihres Kreissaales stehen. Er ist die Sache der Kolleg:innen von Christian, einem Genossen aus Frankreich, die dabei zusehen mussten, wie ihr Kollege ohne Skrupel in die Arbeitslosigkeit gekündigt wurde. Sie haben ihre Angst vor dieser Unsicherheit und diesem Missstand, sie haben ihre Wut, in einen Kampf umgewandelt.

Auf der ganzen Welt breitet er sich aus, denn jeder Bereich in diesem Leben wird vom Kapitalismus in Ketten gehalten, angefangen von unserer eigenen Arbeitskraft. Ein Genosse aus Südkorea erzählte uns, die Arbeiter:innen dort haben nicht einmal Zeit für Liebe. Ich war zu Tränen gerührt. Warum muss es uns so ergehen? Warum sind wir noch nicht frei?

Samstag Abend redete ich mit Paul. Er ist Game Designer und hat unserem Tisch erklärt, warum Videospiele Kunst sind. Es war ein schönes Gespräch, ich habe ihn direkt verstanden. Er hat auch erzählt, dass die Kunst den Videospielen von der Chefetage ausgetrieben wird. Dort befehlen sie, die Spiele sollen süchtig machen und zum Geldausgeben anregen. Dort können die Designer:innen ihre Technik nicht revolutionieren, ihre Kreativität nicht entfalten, denn die Deadlines sind strikt; und statt sich in der Story fortzubewegen, startet jeden Tag dasselbe Level wieder von vorn. Hier startet die Monotonie und die Sinnlosigkeit, die Kälte und die Repression; in Gaza startet die Verwüstung und das Morden, das Leid und seine Eskalation.

Als Trotzkist:innen verfolgen wir die Strategie der permanenten Revolution. Das bedeutet, sich in der Sache der Befreiung niemals auf den bürgerlichen Staat zu verlassen; nicht von einer Etappe der Fremdherrschaft in die nächste zu schlittern, die dann doch wieder nur mehr Ausbeutung und Unterdrückung bereithält, sondern das Zusammenleben selbst in die Hand zu nehmen. Permanente Revolution heißt auch, die Arbeits- und Lebensweise der sozialistischen Gesellschaft schon jetzt zu erproben. Denn es werden doch wir sein, die nach der Revolution noch immer zusammenleben. Es verschwindet auch nicht die Arbeit, durch die wir erst in Gesellschaft zueinander stehen, es verschwindet nur die Ausbeutung, die macht, dass sie uns unterjocht.

Rojhat sprach davon auf dem Podium zur Frage Palästinas. Er ist Erzieher. In gewisser Weise besteht eine große Ähnlichkeit zwischen Erzieher:innen und Revolutionär:innen. Beide sind Wegbereiter für die kommende Welt. Die einen wenden sich an die kommende Generation, die anderen an die kommende Gesellschaft. Sie sind die Avantgarde, sie haben sich schon damit auseinandergesetzt, wie die Zukunft aussehen kann.

Die Kapitalist:innen und ihre Staaten bereiten uns auf das Sterben im Krieg vor. Wir hingegen wollen uns auf die sozialistische Weltrevolution vorbereiten. Das heißt, überall nach Verbündeten suchen. Was schwer klingt, ist eigentlich ganz leicht, denn sie ist in aller Menschen Interesse.

Setzen wir uns zum Ziel, überall auf der Welt friedlich zusammen zu leben, müssen wir jetzt dafür arbeiten, dieses Zusammenleben stets zu suchen und so zu formen, dass es für uns schön ist. Wir müssen dafür sorgen, dass niemand ausgeschlossen wird, dass ein jeder Platz hat, dass wir uns nicht mit Hass, sondern mit Nächstenliebe begegnen. Wenn wir wollen, dass Apartheid und Unterdrückung enden, dass Staaten absterben, so muss es eine Annäherung geben, und zwar eine, in unseren Interessen. Sie muss es auch geben, um erst herausfinden zu können, wie diese Interessen in der Praxis aussehen.

Zusammen mit einem Genossen aus Frankfurt habe ich mir ausgemalt, wie genau eine sozialistische Planwirtschaft aussehen würde. Wie Arbeit und Kunst aussehen würden, wenn die Unterwerfung der Technik und das Ende der Ausbeutung uns endlich mit Freizeit zurücklässt. Ich habe zum ersten Mal verstanden, was es bedeutet, wenn vergangene Revolutionär:innen von einer höheren Kultur reden, die sich dann entfaltet. Dieses Bewusstsein lässt mich an die Revolution glauben, denn meine Augen sehen schon die neue Welt und meine Organisation an meiner Seite.

Wir müssen für die Möglichkeit der Revolution einstehen – im Kampf, in Begleitung von unserer Zeitung, finden sich dafür die besten Beweise. Und wir müssen für uns selbst einstehen – was letztendlich aufs Gleiche hinauskommt, denn nur durch den Sozialismus, wird der Raum für dieses Bekenntnis geboten. Ich war, ich bin, ich werde sein, die Revolution wird die Menschheit befreien.

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