„Ich hörte es knacken, als der Schlagstock mich am Ellenbogen traf“
Unsere Gastautorin wurde bei #BlockG20 von Polizeiknüppeln getroffen. Ein Erfahrungsbericht über die extreme Polizeigewalt – und die Solidarität der Anwohner*innen.
Am Freitagmorgen haben wir uns um 5 Uhr im Camp getroffen, um als „blauer“ und „grüner Finger“ in Richtung der roten Zone loszulaufen. Ich war müde, aber auch aufgeregt und voller Adrenalin. Wir haben uns Perücken aufgesetzt und aufblasbare Krokodile mitgenommen. Die Krokodile sollten uns vor dem Pfefferspray und den Polizeistöcken schützen, und die Perücken ein Zeichen einer friedlichen, aber sich notwendigerweise teilanonymisierenden Bewegung sein. Während wir singend durch den Wald liefen – wir waren bestimmt 1300 Menschen in grün und blau und kamen der blauen Zone immer näher –, gingen mir Fragen darüber durch den Kopf, ob unsere ausgewählte Aktion tatsächlich effektiv sein werde, doch das soll hier nicht Thema werden. Hinter der Autobahnbrücke erwartete uns auch schon die Polizei. Es waren einige Wannen voll mit Polizist*innen. Viele standen auch schon draußen und versperrten uns dem Weg, obwohl wir uns nicht in einer (grundrechteaushebelnden) Demo-Verbotszone befanden. Wir kamen immer näher und waren entschlossen, friedlich durch die Lücken zu fließen, um weiter in Richtung Innenstadt zu kommen.
Die Bullen gingen hart vor: Sie versprühten direkt ihr neues Pfefferspray (als wären sie Mitarbeiter*innen bei Douglas und das neue Chanel Nr. 5 wäre angekommen) und knüppelten in die friedliche Menge. Personen wurden deswegen verletzt und mussten behandelt werden. Eine Person bekam so massiv Pfefferspray ab, dass sie einen allergischen Schock erlitt und 20 Minuten verkrampfend von den Sanis behandelt werden musste, bis der Krankenwagen kam. Ein durch Pfefferspray ausgelöster allergischer Schock ist lebensgefährlich.
Die Polizei schloss einen Kreis um uns, so etwas nennt man Kessel. Der Kreis war so eng, dass wir ganz nah beieinander stehen mussten und uns nicht bewegen konnten. Es war schlimmer als zu Stoßzeiten in der Berliner U-Bahn. Auch die Verletzten befanden sich in dem Kessel. Nach unserem Insistieren wurde der Kreis etwas gelockert und wir konnten uns hinsetzen. Pinkeln durften wir nicht.
Ein Anwalt und eine Parlamentarische Beobachterin verhandelten mit der Polizei. Es vergingen 45 Minuten, in denen die eingesetzte Polizei drei Mal ausgewechselt wurde. Nach 45 Minuten verzogen sie sich ohne Ansage und Absprache und wir gingen wieder los. Nach etwa 50 Metern kamen wieder aufgeregte Bullen angerannt, die sich uns in den Weg stellten und uns nicht weiter gehen lassen wollten. Sie drohten, uns windelweich zu prügeln. Es war ein Chaos. Die Bullen waren nicht koordiniert und trafen untereinander keine Absprachen. Das kann Blödheit gewesen sein oder absichtliche Taktik. Unser Ankommen am angemeldeten Punkt verzögerte es auf jeden Fall, obwohl wir uns wie gesagt nicht in einer Demoverbotszone befunden haben. Das spielte ihnen natürlich in die Hände, weil wir dann nicht rechtzeitig blockieren können.
Schließlich kamen wir an der Emilienstraße an, wo der grüne Finger auf uns wartete. Nach etwa 15 Minuten kam das Zeichen zum Weitergehen und wir trabten entschlossen los. Wir wurden immer schneller, weil wir wussten, dass wir flinker als die Bullen sein mussten, um die Protokollstrecken zu besetzen. Das sind jene Strecken, über die Politiker*innen und andere Akteur*innen zu den Gipfelterminen gebracht werden sollten. Auf diese Punkte wollten wir uns setzen und das hatten wir vorher auch so angekündigt. Die Polizei kannte unser Aktionslevel: friedlicher ziviler Ungehorsam!
Wir liefen also immer schneller und unser Zug fing an sich zu strecken. Wir waren schon lange in der blauen Zone und kurz davor, wo wir hinwollten.
Der Vorfall
Von links sah ich, wie bayerische Schlägerbullen zu unserem Zug aufholten und ein bisschen schneller als wir waren. Deswegen rannten wir noch schneller. Das taten auch sie. Etwa zwei Reihen (wir sind in Reihen gerannt, damit genau so etwas nicht passiert) vor uns entstand eine Lücke am linken Rand und die Bullen nutzten das. Knüppel schwingend stürzten sie sich in die Menge. Sie versprühten auch Pfefferspray.
Sie schlugen gezielt auf Köpfe ein, Menschen bluteten, fielen zu Boden und schrien. Ein Mensch vor mir bekam den Strahl des Pfeffers direkt ins Gesicht und ging zu Boden. Vier Bullen stürzten sich auf ihn, traten und schlugen ihn (seine Striemen am Rücken werden wohl noch ein paar Wochen bleiben).
Meine Bezugsgruppe war dicht hinter mir. Meine Reaktion war, einen Schritt auf ihn zu zu machen, um ihm zu helfen. Ich schrie, sie sollten aufhören. Ich war bunt angezogen, ich war nicht vermummt, ich wollte eine Straße langgehen.
Immer noch flogen Knüppel knapp an meinem Ohr vorbei und ich sah den Bullen, der auf mich zu hechtete. Ich sah auch den Schlagstock, sprang weg, wusste aber, dass ich zu langsam gewesen war. Ich hörte es knacken, als er mich am Ellenbogen traf. Ich bekam dann noch Pfefferspray ab und stolperte zurück. Mein Tandem war sofort da und führte mich da raus. Wir wichen weiteren Stöcken aus, um zu den Sanis zu kommen.
Auch der Typ vom Boden kam dazu, er konnte seine Augen nicht aufmachen. Die Sanis meinten, der Bulle hätte mir wahrscheinlich den Ellenbogen gebrochen (er ist angebrochen). Wir waren viele Verletzte, bestimmt mehr als 20 (und damit meine ich nicht die vom Tränengas Verletzten, davon gab es bestimmt mehr als 50).
Zwei Anwohnerinnen traten auf uns zu, überall schwebte das Pfefferspray in der Luft. Die Helikopter schwirrten und die Bullen knüppelten, die Menschen schrien. Sie meinten zu uns, sie würden nicht weit wohnen und uns mitnehmen. Wir willigten ein, der „vom Boden“ auch. Er konnte nichts sehen und musste geführt werden. Mein Schmerz hielt sich in Grenzen. Wir wurden in einen Hof manövriert und auf Gartenstühle gesetzt. Die beiden Anwohnenden besorgten sofort Kühlpads und Eiswürfel (rosa Herz-Kühlakkus von der alten Dame von oben, Tiefkühlpommes und mehr). Sie brachten Essen und Trinken (Chili sin Carne und selbstgemachten Eistee). Sie sind Symbol für die wunderbare Hilfe, Freundlichkeit und Solidarität, die auch viele andere von Anwohnenden in diesen Tagen erfahren haben.
Wir redeten darüber, was passiert ist. Wir gingen pinkeln, endlich eine richtige Toilette. Der vom Boden konnte immer noch nichts sehen und wir probierten, ihm die Szene zu beschreiben. Wir lachten viel über die Idylle und ihn. Das Hubschraubergeratter und die fernen Polizeisirenen holten uns aber immer wieder in die Realität zurück. Sein Rücken sah schlimm aus mit den ganzen Striemen. Man konnte den Schlagstock genau erkennen. Mein Arm tat immer mehr weh.
Wo ist das Krankenhaus? Der Anwohner zeigte es uns auf der Karte, es war ganz in der Nähe. Nach 30 Minuten konnte der vom Boden sein rechtes Auge kurz öffnen: „Schön habt ihr es hier.“ Alle lachten, er auch. Er stöhnte aber auch viel. Ich auch manchmal. Das Pfefferspray brannte, so ein intensives Pfefferspray hatte ich noch nie abbekommen. Wir machten uns langsam zum Aufbruch bereit. Meine Bezugsgruppe würde sich trennen und wir verabredeten für später einen Treffpunkt.
Kurz bevor wir gingen, kam ein weiterer Nachbar, er hatte blonde fettige Locken. Er starrte uns nur an, zückte sein Handy und machte ein Foto, dann war er wieder weg. Es war widerlich. Sensationsgeilheit. Geilheit am Leid anderer. Wir gingen los. Ich war ängstlich. Obwohl wir uns umgezogen hatten (halt irgendwie anders bunt), hatte ich Angst davor, dass gleich ein Trupp um die Ecke kommen würde. Ich würde nicht wegrennen können. Überall waren Menschen an den Rändern der Straße. Ihre Gesichter waren rot vom Pfefferspray. Sie weinten, lachten oder bluteten aus der Nase.
Im Krankenhaus
Im Krankenhaus gab es viel Schlimmes zu sehen. Blutende Kopfwunden, zertrümmerte Knie, durchschlagende Unterlippen, andere mit der selben Verletzung wie ich. „Wer blutet?“ war die ständige Frage ins Wartezimmer. Wir trafen bekannte Gesichter. Der Arzt meinte, ich hätte vielleicht Glück – das hatte ich im Verhältnis auch, aber mein Arm ist trotzdem angebrochen.
Der Arzt fragte mich ob, ich ganz vorne mit dabei gewesen wäre. Ich konnte und wollte nicht antworten. Als die Schwester mir den Gips machte, sagte sie zu mir, dass das bei Steineschmeißern halt rauskommen würde. Sie meinte nicht, dass ich Steine geschmissen hätte, rechtfertigte aber das Vorgehen der Polizei. Ich antwortete ihr barsch irgendwas. Ich nahm die Gipsfarbe blau – wie der Finger, in dem ich gelaufen bin. Immerhin etwas. Der Typ mit der Unterlippe kam rein. Wir redeten, das war gut.
Schließlich waren wir wieder draußen. Ich war froh, weg von den ganzen Verletzungen zu sein. Das war schon ganz schön viel. Ich war aber auch ängstlich, ich hatte jetzt einen Gips und war voll auf Schmerzmittel. War hier alles vorbei? Ging es den anderen gut? Wie ist die Situation in der Stadt? Stehen die Blockaden? Eine alte Frau im Rollstuhl laberte uns an. Ich erzählte ihr, woher der Gips kam. „Schweinebullen“ war ihre Reaktion, sie war 87. Das war das Aufmunterndste, was ich zu hören bekam. Die Schwestern in der Raucherpause regten sich über die ganzen Demonstrierenden auf, ich fühlte mich nicht willkommen, aber wen wundert’s.