„Ich habe abgetrieben.“ – Interview mit Tom Máscolo über trans Männer und das Recht auf Abtreibung
Tom Máscolo ist ein 31jähriger Mann aus Argentinien, der zweimal abtreiben musste. Als Mitglied der trotzkistischen Partei Sozialistischer Arbeiter*innen (PTS) und Kandidat der Front der Linken und Arbeiter*innen (FIT) ist er ein Gesicht der trans-Community in der aktuellen Debatte über das Recht auf Abtreibung.
Vor kurzem warst du auf dem Titelblatt einer großen argentinischen Zeitung zu sehen. „Ich habe abgetrieben.“ stand darunter. Du hattest das grüne Halstuch der Bewegung für das Recht auf Abtreibung an – in Argentinien steht Abtreibung noch unter Strafe. In der aktuellen Debatte über Schwangerschaftsabbrüche werden trans Männer oft unsichtbar gemacht. Kannst du von deinen Erfahrungen erzählen?
Ich hatte zwei Abtreibungen, mit 18 und mit 23. Beide fanden absolut geheim statt. Die erste war mit einem chirurgischen Eingriff, die zweite mit Misoprostol.
Deswegen habe ich mit politischem Aktivismus angefangen. Mir ist klar geworden, dass alle Frauen und potentiell schwangere Personen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche haben müssen. Potentiell schwangere Personen [„personas gestantes“ auf spanisch] sind all diejenigen mit einer Gebärmutter.
An dieser Stelle ist eine Erklärung sinnvoll: Die Geschlechtsidentität und die Genitalien werden oft miteinander vermischt. Aber das ist nicht richtig. Es gibt Frauen mit Penissen und Männer mit Vaginas. Es gibt so viele Identitäten wie es menschliche Wesen gibt, da die Identität ein soziales Konstrukt ist.
Um auf die Frage zurückzukommen: Meine Erfahrung hat mir klar gemacht, dass es nicht nur darum geht, für die demokratische Forderung nach legaler Abtreibung zu kämpfen. Wir brauchen auch: Sexualkunde um zu entscheiden, Verhütungsmittel um nicht abzutreiben, und legale Abtreibung um nicht zu sterben.
Was sind die Forderungen der trans Männer in Bezug auf das Recht auf Abtreibung?
Unsere Forderungen haben vor allem mit zwei Dingen zu tun. Wir brauchen Sexualkunde in allen Schulen und Universitäten. Und wir brauchen die wirkliche Umsetzung des Geschlechtsidentitätsgesetzes in Argentinien. Dieses Gesetz [das die volle Anerkennung aller Geschlechter vorschreibt] sollte auch ein Recht auf umfassende gesundheitliche Versorgung garantieren. Denn in Wahrheit gibt es keine ausreichende ärztliche Ausbildung, um uns zu behandeln. Unsere Gesundheit ist nicht gut erforscht und es gibt viel institutionelle Gewalt gegen trans Personen.
Die Frauen*bewegung in Argentinien kämpft seit vielen Jahren für das Recht auf Abtreibung. Wie haben trans Männer an diesem Kampf teilgenommen, und auf welche Widersprüche seid ihr dabei gestoßen?
Trans Männer gab es schon immer, aber erst in letzter Zeit sind wir sichtbarer geworden. Der Kampf um die Verabschiedung des Geschlechtsidentitätsgesetzes [im Jahr 2012] war ein Schlüsselmoment. In diesem Jahr hat die Kampagne für das Recht auf legale, sichere und kostenlose Abtreibung zum ersten Mal ein Gesetzentwurf vorgelegt, das neben Frauen auch „potentiell schwangere Körper“ berücksichtigte. Und es war auch das erste Mal, dass die Forderungen von trans Menschen in den Losungen des 8. März aufgegriffen wurden.
Wie ist die Situation von trans Menschen in Argentinien heute?
Laut „Pride at Work“, dem Bericht der IAO über sexuelle Vielfalt und Beschäftigung, müssen sich viele lesbische Frauen* in Argentinien „verkleiden“, um sich auf einen Arbeitsplatz zu bewerben. Diese Studie zeigte auch, dass Lesben, Bisexuelle und Schwule, sobald sie einen Job bekommen, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Witzen und diskriminierenden Situationen ausgesetzt sind. Damit wird versucht, ihre Homosexualität zu „korrigieren“ – eine Brutalität, die sich auch in Belästigungen am Arbeitsplatz ausdrückt, besonders für lesbische Frauen.
Die Situation für Transgender-Menschen ist noch schlechter. 95 Prozent der trans Bevölkerung muss sich prostituieren, da der Staat den Zugang zum Arbeitsmarkt nicht garantiert. Die verschiedenen bürgerlichen Parteien – von Kirchner, Macri oder Massas – setzen das Recht auf Arbeit für diese historisch marginalisierte Gruppe, die ihr grausames Schicksal in der Prostitution hat, nicht durch.
Die UN-Frauenkonvention stellte in seinem Jahresbericht vom letzten Jahr fest, dass sieben von zehn trans Menschen ein anderes Einkommen außerhalb der Prostitution suchen. Und acht von zehn gaben an, dass ihre selbst wahrgenommene Identität diese Suche erschwert, wobei einige – als letztes Mittel – sich mit ihrem biologischen Geschlecht abfinden müssen, um zu arbeiten.
Es ist immer wieder nötig, an die materielle Realität der trans Personen zu erinnern, die bis heute eine durchschnittliche Lebenserwartung von 35 bis 40 Jahren haben. Die meisten müssen sich prostituieren, um zu überleben. Das hat auch mit dem Schulabbruch zu tun, als Resultat der Diskriminierung gegen Menschen, die sich für ein Leben außerhalb des binären Modells entscheiden: Mann oder Frau.
Wie ist das Verhältnis zwischen der trans Bewegung und der Frauen*bewegung?
Es gibt keine trans Bewegung, zumindest sehe ich keine. Aber es gibt ein Phänomen am Rande der Frauen*bewegung. In diesem Land gibt es viele Gesetze zum Schutz der sexuellen Vielfalt. Aber wir sagen: Gleichheit vor dem Gesetz bedeutet nicht Gleichheit im Leben.
Das Geschlechtsidentitätsgesetz garantierte das Recht auf die selbst wahrgenommene Identität, durch die administrative Berichtigung des Personalausweises. Doch bis September des letztes Jahr wurde der Abschnitt zu Gesundheit nicht finanziert, sowohl unter der alten Regierung von Kirchner wie unter der neuen von Macri.
Wir dürfen uns nicht mit den Krümeln zufrieden geben, mit denen diese „Demokratie“ uns zufriedenstellen und anpassen will. Um der Moral entgegenzutreten, die die Kirche und ihre Verbündeten durchsetzen wollen – lass uns nicht vergessen, dass der aktuelle Papst Bergoglio trans Menschen mit Atomwaffen verglichen hat –, und um die transfeindliche Gewalt zu bekämpfen, brauchen wir Organisation. Wir müssen Tausende sein in den Schulen, in den Universitäten, in den Fabriken und Arbeitsplätzen.