„Ich fordere euch auf, mit allem was ihr mitbringt, für eine lebenswerte Welt zu kämpfen“

15.08.2024, Lesezeit 15 Min.
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Foto: Revolutionäres SommerCamp 2024 von RIO / Baki von Klasse Gegen Klasse

Über 170 Menschen diskutierten beim Revolutionären Sommercamp von Klasse Gegen Klasse über den Aufstieg der extremen Rechten, den Kampf gegen Militarismus, Kürzungen und gegen den Genozid in Palästina und über die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Partei.

Vom 8. bis 12. August folgten über 170 Personen dem Aufruf der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) mit ihrer Zeitung Klasse Gegen Klasse und der Hochschulgruppierung Waffen der Kritik zu einem Revolutionären Sommercamp, das in wunderschöner Umgebung in einer Jugendherberge in Nordhessen stattfand. 

Über 170 Menschen, vor allem Studierende und junge Arbeiter:innen, divers und mit vielen Bezügen zum palästinensischen Befreiungskampf, machten das Sommercamp drei Mal größer als vor gerade einmal drei Jahren und zum wahrscheinlich größten trotzkistischen Sommercamp in Deutschland. So bezeugte das Camp eine Generation, in der der Trotzkismus das Potenzial hat, eine bedeutende Kraft zu werden. Dabei beeindruckte die wachsende Ausdehnung von Klasse Gegen Klasse in ganz Deutschland und nicht mehr nur hauptsächlich in Berlin und München. Sowohl aus Bremen als auch aus Münster waren Delegationen mit mehr als einem Dutzend Personen anwesend, ebenso wie viele Menschen aus zahlreichen Städten in ganz Deutschland, die Klasse Gegen Klasse vor allem als Online-Zeitung oder über Social Media kannten.

Ganz besonders möchten wir uns hier bei allen Teilnehmenden für vier Tage solidarischen Umgang miteinander, für die große Arbeit nicht nur aller beteiligten Genoss:innen, sondern besonders auch der Beschäftigten des Veranstaltungsorts und für die kreativen Beiträge aller Teilnehmer:innen bedanken, die entgegen jeder Resignation die Hoffnung auf die Möglichkeit machen, eine neue Gesellschaft zu erkämpfen.

Hervorzuheben war die Delegation internationaler Genoss:innen aus Frankreich, Italien, dem Spanischen Staat und Südkorea, die mit eigenen Workshops und Redebeiträgen bei den Abendveranstaltungen einen tiefgründig internationalistischen Geist versprüht haben. An dieser Stelle wollen wir auch den anderen Organisationen danken, die unserer Einladung zu einer solidarischen Debatte auf unserem Camp gefolgt sind: Palästina Spricht München, RSO, Mera25 und die Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht (BAGA).

„Wir haben eine Welt zu gewinnen“

Schon die Auftaktveranstaltung am Donnerstagabend in einem extra gemieteten Saal skizzierte die große Aufgabe, die wir uns als Revolutionär:innen in der aktuellen Situation stellen: Angesichts des wachsenden Militarismus und des anhaltenden Genozids in Gaza, angesichts der fortschreitenden kapitalistischen Klimakatastrophe und angesichts des Aufstiegs der extremen Rechten ist es dringend nötig, für den Aufbau einer revolutionären Kraft zu kämpfen. Kilian von Waffen der Kritik München sprach über den Aufbau von Palästinakomitees an den Universitäten und die Rolle der Studierendenbewegung im Kampf gegen den Genozid. Unsere Genossin Inés aus Berlin berichtete von ihrem erfolgreichen Kampf gegen ihre Kündigung und betonte die Notwendigkeit, eine vereinte Antwort der Arbeiter:innenklasse auf den Aufstieg der AfD zu geben. Zugleich machte sie klar, dass gerade die Kapitalist:innen von der Konkurrenz unter Arbeiter:innen profitieren und stellte dem eine klare sozialistische Perspektive entgegen, für die wir uns international organisieren. Im Anschluss sprach der revolutionäre Gewerkschafter Christian Porta aus Frankreich, der vom Kampf gegen den Aufstieg der extrem rechten Rassemblement National von Marine Le Pen berichtete und unter tosendem Beifall aufzeigte, dass man mit mehrwöchigen Streiks mit hunderten und tausenden Beschäftigten den Kampf gegen die Willkür der Kapitalist:innen führen und gewinnen kann. Leonie, Hebamme aus München, begrüßte die Anwesenden mit einer Bilanz des Kampfes gegen die Schließung ihres Kreißsaals, wo die regierenden Parteien SPD und Grüne mit der Komplizenschaft der Linkspartei vor Kurzem offen die Beschäftigten verrieten und für die endgültige Schließung des Kreißsaals stimmten. Doch Leonie zog auch daraus eine kämpferische Schlussfolgerung: Entgegen der Untätigkeit der Gewerkschaftsführung müssen die Arbeiter:innen an der Basis der Gewerkschaft selbst über die Führung ihres Kampfes entscheiden und den Kampf auf weitere Sektoren ausweiten – eine Aufgabe, der wir uns als Revolutionär:innen in den Gewerkschaften tagtäglich stellen. Esther von Waffen der Kritik Bremen warb zum Auftakt des Sommercamps anschließend daran für die Einheit von Arbeitenden und Studierenden im Kampf gegen die Kapitalist:innen und ihre Krisen, Kriege und Klimakatastrophen. Sie berichtete von der Unterstützung von Waffen der Kritik und Klasse Gegen Klasse für die Streiks an den norddeutschen Seehäfen und dafür, dass diese den Beispielen ihrer internationalen Kolleg:innen folgen, Waffenlieferungen an den genozidalen Staat Israel zu stoppen. Mit dem Ruf „Genoss:innen, wir haben eine Welt zu gewinnen!“ läutete sie die folgenden Tage voller Austausch und Diskussionen über diese großen Aufgaben ein.

Auf die Auftaktveranstaltung folgten 24 Workshops an drei Tagen sowie drei weitere abendliche Großveranstaltungen. Die zentralen politischen Achsen des Camps waren der Aufstieg der extremen Rechten, der Kampf gegen den Genozid in Palästina, die Fragen von Militarismus und Aufrüstung, sowie die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Partei. Zusätzlich gab es wichtige Workshops zu Feminismus, zum ideologischen Kampf mit dem Postkolonialismus, historische Workshops und viele andere (das vollständige Programm kann man hier noch einmal nachlesen). In den kommenden Wochen werden wir viele der Workshops und Podien als Podcasts zum Nachhören veröffentlichen, wie wir es auch schon in den vergangenen Jahren gemacht haben.

Strategische Debatten

Am Freitag diskutierte unser Redakteur Stefan Schneider aus Berlin auf einem Podium gemeinsam mit Kilian von der RSO aus Düsseldorf und Silvio von Mera25 (politische Formation unter Führung von Yanis Varoufakis) aus Köln über den Aufstieg der extremen Rechten, die Abgrenzung von der Linkspartei und dem populistischen Projekt von Sahra Wagenknecht und die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Alternative. Insbesondere die Debatte mit Mera25 nahm den Großteil des Abends ein, wo Silvio die Rolle der Austeritätspolitik der Parteien der „Mitte“ in den vergangenen Jahrzehnten für den Aufstieg der extremen Rechten verantwortlich machte und die Notwendigkeit betonte, sich dieser Politik entgegenzustellen. Stefan betonte, dass wir mit Mera25 teilen, dass wir die Macht der Oligarchie brechen wollen, weshalb wir die Genoss:innen dazu einladen, im Sinne einer Einheitsfrontpolitik gegen den Aufstieg der Rechten und gegen die Politik der Regierung gemeinsam auf die Straße zu gehen. Um jedoch die Macht der Kapitalist:innen tatsächlich in Frage zu stellen, muss die Jugend und die Arbeiter:innenklasse ein unabhängiges politisches Programm gegen die Festung Europa und den Aufstieg der extremen Rechten aufstellen. Gegen Militarisierung und Kürzungspolitik, für Masseninvestitionen in Bildung, Klima und Gesundheit statt in Aufrüstung, finanziert durch die Enteignung der Gewinne und Vermögen der Kapitalist:innen. Gegen die undemokratischen Institutionen der EU und die Angriffe auf demokratische Freiheiten. Für die entschädigungslose Enteignung der Banken und Konzerne und eine ökologische Planung der Wirtschaft unter Arbeiter:innenkontrolle. Für offene Grenzen, sichere Fluchtrouten und volle soziale und politische Rechte für alle Migrant:innen. Denn woran es fehlt, ist nicht an einem weiteren Kompromiss mit einem angeblich „geringeren Übel“, das an der Regierung den Rechtsruck weiter mitträgt. Woran es fehlt, ist eine konsequente antikapitalistische Alternative, die dem deutschen Imperialismus und der Festung Europa des Kapitals einen internationalistischen und sozialistischen Ausweg der Arbeiter:innen und der Jugend entgegensetzt. Für dieses Ziel braucht es eine revolutionäre Partei, die ihren Schwerpunkt nicht in den Parlamenten, sondern den Kämpfen der Arbeiter:innen, Jugend und Unterdrückten hat, die diese ausweiten, vereinen und zum Sieg führen kann. 

Am Samstagabend folgte eine hochspannende Podiumsdiskussion mit Genoss:innen der Organisation Palästina Spricht aus München über die Strategie zur Befreiung Palästinas. Angesichts des anhaltenden Genozids in Gaza ist diese Frage von größter Dringlichkeit, weshalb es uns umso mehr gefreut hat, dass Genoss:innen, mit denen wir als Teil der Palästinasolidaritätsbewegung gemeinsam gegen die Komplizenschaft des deutschen Imperialismus gekämpft haben, der Einladung zum Podium gefolgt sind. Denn wir halten es für zentral, innerhalb der Palästinabewegung tiefere strategische Debatten um einen sozialistischen Ausweg zu führen. Dabei betonte unser Genosse Rojhat aus München die Notwendigkeit eines Kampfes gegen den Imperialismus und sprach über die Rolle der Arbeiter:innenklasse, die Grenzen der bürgerlichen Führungen im palästinensischen Befreiungskampf und die Notwendigkeit einer Perspektive der permanenten Revolution

Ebenfalls am Samstag fand ein Treffen unserer marxistischen Hochschulgruppierung Waffen der Kritik und eine Vernetzung von Arbeiter:innen statt, um über gemeinsame Organisierungsperspektiven in den kommenden Monaten zu diskutieren.

Für eine Weltpartei der sozialistischen Revolution

Am Sonntagabend feierten wir einen internationalistischen Abschluss mit den Genoss:innen unserer Schwesterorganisationen der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale aus dem Spanischen Staat, Italien und Frankreich und den Genoss:innen von March to Socialism (MtS) aus Südkorea. 

Min aus Südkorea berichtete über den Kampf gegen den koreanischen Kapitalismus, der der Jugend nur dystopische Perspektiven des Hyperindividualismus anbietet und über den Kampf der MtS für die Vereinung prekarisierter, unangemeldeter und nicht gewerkschaftlich organisierter (im koreanischen „irregulärer“) Arbeiter:innen mit den festangestellten und gewerkschaftlich organisierten (im koreanischen „regulären“) Arbeiter:innen. Er schloss seine Rede mit den Worten: „Wir sind eure Genoss:innen auf der anderen Seite des Planeten, die mit euch gemeinsam dafür kämpfen, eine Welt ohne Ausbeutung, Diskriminierung und Unterdrückung zu schaffen.“

Nach einem internationalistischen Grußwort des argentinischen Abgeordneten Christian Castillo unserer Schwesterorganisation Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS) sprach Jorge von der Strömung Revolutionärer Arbeiter:innen (CRT) aus dem Spanischen Staat über den Aufbau einer revolutionären Alternative, die von den reformistischen und linkspopulistischen Varianten unabhängig ist und eine antikapitalistische und sozialistische Antwort auf den Genozid in Palästina, den Krieg und die Festung Europa bietet.

Luca von der Revolutionären Internationalistischen Fraktion (FIR) aus Italien betonte die Rolle der Arbeiter:innenbewegung im Kampf gegen den Genozid in Palästina und nahm Bezug auf die strategischen Positionen der Arbeiter:innenklasse wie beispielsweise in der Logistik, die wie die Hafenarbeiter:innen von Genua mit Streiks und Blockaden Waffenlieferungen für den israelischen Genozid in Gaza verhinderten.

Irène von Révolution Permanente (RP) aus Frankreich fokussierte ihre Rede auf den Kampf gegen den Aufstieg der extrem rechten Rassemblement National von Marine Le Pen und die politischen Schranken der Neuen Volksfront (NFP), die bei den kürzlichen Wahlen zwar die meisten Stimmen erhalten hat, jedoch in der Stichwahl zugleich die Partei des Präsidenten Macron gestützt und die Sozialistische Partei des Ex-Präsidenten François Hollande wiederbelebt hat. Dem stelle Irène die revolutionäre Kandidatur von Anasse Kazib entgegen, der ein Kampfprogramm der Verteidigung der Unterdrückten, der Selbstorganisation und der Vereinigung unserer Klasse gegen das Regime anstelle eines Stellvertreterprogramms für parlamentarische Verhandlungen wie die NFP vertreten hat. 

Die Abschlussrede unseres Sommercamps hielt unsere Genossin Lea, Sozialarbeiterin aus Berlin. In ihrer bewegenden Rede stellte sie der dystopischen, pessimistischen Zukunftsvision, die die extreme Rechte und die Kapitalist:innen den neuen Generationen anbieten, eine Perspektive des Kampfes für eine befreite Gesellschaft entgegen. Eine Perspektive der Verbindung kämpferischer Jugendlicher und Arbeiter:innen in strategischen Positionen, kommender Streiks und Kämpfe und insbesondere eine Perspektive der unabhängigen revolutionären Organisierung. Denn während die Gewerkschaftsführungen und reformistischen Parteien tatenlos zusehen, wie im sächsischen Bautzen Nazis den CSD angreifen, rief Lea: „Wenn sie wie in Bautzen zu 1.000 zu kommen, dann kommen wir mit 10.000!“ Anschließend führte Lea aus, welche sozialistische Perspektive wir dem Aufstieg der Rechten entgegensetzen: „Wir können ein System ohne Ausbeutung und Unterdrückung erkämpfen, in dem wir selbst diskutieren und bestimmen, was wir produzieren und wie viel – danach, was wir wirklich brauchen, nicht was die meisten Profite bringt. Eine Gesellschaft, in der wir im Einklang mit der Natur leben, in der wir und alle kommenden Generationen sich an Wäldern, Wiesen und Pflanzen erfreuen können. Eine Gesellschaft, in der wir tiefe soziale Beziehungen und ein solidarisches Miteinander haben.“ Lea erklärte auch: „Gerade in Deutschland, im Herzen des Imperialismus, ist diese Aufgabe groß. Aber Deutschland ist nicht nur das Land mit einer Geschichte des Nationalsozialismus, sondern auch die Geburtsstätte des Marxismus.“

Anschließend rief Lea dazu auf, schon heute gemeinsam die Vorbereitungsaufgaben dafür anzugehen, eine reale Kraft aufzubauen, um eine solche Vision zu verwirklichen: Eine revolutionäre Partei, international und auch hier in Deutschland. Eine Partei, die nichts mit der stalinistischen Bürokratie wie in der DDR gemeinsam hat. Eine Partei, die sich unabhängig vom Reformismus organisiert, der die Massen nur als Wähler:innenbasis sieht. Also eine Partei, die die Selbstorganisation vorantreibt und sie mit einem Programm und einer Strategie für die Revolution verbindet. Lea schloss ihre Rede mit den Worten:

Deshalb lade ich euch ein – nein, ich fordere euch auf, euch mit uns, mit der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) zu organisieren, mit unserer internationalen Strömung, der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale. Weil wir denken, dass es nicht einen Sozialismus in einem Land braucht, sondern eine internationale Revolution, um unser Ziel zu erreichen. Deswegen wollen wir dafür kämpfen, eine revolutionäre, marxistische, internationalistische Partei aufzubauen. Und ich sage bewusst aufbauen, nicht ausrufen. Weil die Partei für uns nicht nur ein Apparat ist, sondern weil wir uns für den Aufbau dieser Partei in kommenden Kämpfen verankern wollen und mit den Anführer:innen und den fortschrittlichsten Teilen dieser Kämpfe fusionieren wollen – und zusammen mit euch! Deshalb fordere ich euch auf, euch unseren Gruppierungen Waffen der Kritik und KGK Workers anzuschließen. Und ich fordere euch auf, euch an unserer ZeitungKlasse Gegen Klassezu beteiligen und sie zu eurem Werkzeug zu machen – eure Erfahrungen, eure Kämpfe, ja auch eure Gedichte auf die Zeitung zu tragen. Ich fordere euch auf, mit allem was ihr mitbringt, für eine Welt und ein Leben zu kämpfen, das wirklich lebenswert ist.

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