„Ich find’s scheiße, dass ich nicht mal ansatzweise Mindestlohn bekomme“

14.11.2016, Lesezeit 5 Min.
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Tabea macht seit Herbst ein „Freiwilliges Soziales Jahr Kultur“ in einem Theater. Das bedeutet viel Spaß, aber auch extrem lange Arbeitszeiten und miese Bezahlung. Für Klasse Gegen Klasse erzählt sie von ihrer Situation.

Warum hast du dich dafür entschieden, ein FSJ zu machen?

Meistens antworte ich auf die Frage: „Ja, naja, ich war jetzt ja halt zwölf Jahre in der Schule und so, und dann direkt im Anschluss fünf Jahre oder so studieren, das ist ja blöd, weil ich was mit Menschen arbeiten will und dachte, bevor ich jetzt ganz viel Theorie lerne, möchte ich das in der Praxis ausprobieren.“

Das stimmt natürlich auch. Dennoch war der ausschlaggebende Punkt für mich, dass ich nicht studieren wollte. Die letzten Schuljahre waren für mich nicht leicht. Etliche Male war ich kurz davor abzubrechen, hab die Schule gewechselt, bin von Zuhause abgehauen, hab viel geschwänzt etc.. Mein Problem waren weder Mitschüler*innen noch Lehrer*innen, sondern die Form „Schule“. Ich wollte nicht dann lernen, wann es ein Lehrplan vorschrieb, sondern wann es mir gut tut. Ich wollte mich mit dem beschäftigen, was mich interessiert. Und ich habe riesige Prüfungsangst. Angst zu versagen. Angst, dass da eine Punktzahl drunter steht, die „nicht gut genug“ ist. Eine Punktzahl, die bestimmt, ob „mal was aus mir wird“ oder nicht.

Ich war stolz auf mich, dass ich die Schule abgeschlossen habe. Ich wollte kein Studium beginnen, in dem die nächsten Klausuren und vorgeschriebenen Inhalte auf mich warten. Außerdem wusste ich schon ziemlich sicher, was ich arbeiten will. Deshalb habe ich mein FSJ Kultur angefangen.

Wie sehen deine Arbeitsbedingungen im Theater aus?

Ich habe einen Arbeitsvertrag, der besagt, dass ich fünf Tage pro Woche 7,48 Stunden arbeiten muss. Daraus entsteht eine 39 Stunden-Woche, Montag bis Freitag. Da FSJs und Bufdis von einem Träger betreut werden, muss ich auch eine Anwesenheitsliste führen, damit ich weder zu viel noch zu wenig arbeite.

Theoretisch habe ich Urlaubsanspruch auf 25 Tage im Jahr. Aber weil ich das FSJ in einem Theater leiste, darf ich meinen gesamten Urlaub erst zum Ende meines FSJs nehmen – dann, wenn Spielzeitpause ist, sprich: das Theater eh geschlossen hat.

Ich bekomme eine „Aufwandsentschädigung“ von 320€. Das sind 20€ mehr als beim „normalen“ FSJ. Mein Stundenlohn beträgt damit 1,96€. FSJ’ler*innen können Wohngeld- und ALG-II-Anträge stellen, haben darauf allerdings keinen rechtlichen Anspruch. Nebenjobs dürfen offiziell nur in Absprache mit der Einsatzstelle stattfinden und müssen dann auch versteuert werden – und sind bei einem Vollzeitjob sowieso scheiße.

Fühlst du dich ungerecht behandelt?

Schon irgendwie. Ich weiß, dass es ein „Freiwilligendienst“ ist. Aber ich find’s schon scheiße, dass ich nicht mal ansatzweise so etwas wie Mindestlohn bekomme. Allerdings fühle ich mich von meinen direkten Vorgesetzten meistens voll gut behandelt.

Ungerecht behandelt fühl ich mich auch von der BVG. Also, mit dem Freiwilligenausweis bekommt man die Monatskarte für 57€. Das ist krass scheiße viel Geld.

Manchmal fühlt es sich auch unfair an, wenn von mir erwartet wird, dass ich oft abends (oder zum Beispiel länger oder früher als meine reguläre Arbeitszeit) da bin. Ich kann nur noch selten auf Demos, Treffen, Veranstaltungen oder zum Training gehen, weil ich oft länger arbeite. Mehr Geld krieg ich dafür natürlich auch nicht.

Aber immerhin werde ich überhaupt irgendwie bezahlt: Praktikant*innen bleiben nur für maximal 3 Monate – länger geht nicht, dann müssten sie Geld bekommen. 3 Monate, in denen du Praktikum und mindestens einen Nebenjob koordinieren musst. 3 Monate, in denen du „Erfahrungen“ bekommst, aber nicht mal einen Zuschuss zur Monatskarte.

Was sagen deine Kolleg*innen dazu?

Wir sind nur 2,5 Leute fest im Büro und die beiden anderen wissen, wie scheiße es ist, dass ich kaum Geld bekomme. Aber sie freuen sich natürlich trotzdem, dass sie jemanden im Büro haben, der Vollzeit da ist, aber die Geschäftsführung kaum was kostet – das FSJK wird von der EU bezuschusst.

Die beiden, die direkt in meiner Abteilung fest angestellt sind, probieren mir immerhin irgendwie symbolisch eine Wertschätzung zu geben. Klar kann ich mir von netten E-Mails und ausgegebenem Kaffee auch nix kaufen, aber es fühlt sich irgendwie nett an. Die Kolleg*innen aus den anderen Abteilungen, die z.B. bezahlte Hospitant*innenstellen haben, oder nicht Vollzeit hier sind, regen sich über die FSJ-Bedingungen auf.

Weißt du schon, wie es für dich weiter geht?

Ich mache auf jeden Fall mein FSJ zu Ende. Und danach vielleicht irgendwo ein Praktikum. Nicht nur, weil ich mir studieren nicht zutraue. Nicht nur, weil mir die Arbeit an sich mega Spaß macht. Sondern auch, weil mein Lebenslauf besser aussieht und ich ohne Praxiserfahrung in einem Job, der meistens freiberuflich ist, eh keine Chance hätte.

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