Hunderttausende gegen Krieg: Haben Wagenknecht und Schwarzer die Antwort?

15.02.2023, Lesezeit 10 Min.
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Bild: Foto-berlin.net / shutterstock.com

Hunderttausende haben für den Frieden unterschrieben. Sahra Wagenknechts und Alice Schwarzers Manifest spricht viele an. Dabei setzen die Initiatorinnen auf Verhandlungen und schweigen zur Bundeswehr. Wie aber können Krieg und Aufrüstung tatsächlich gestoppt werden?

Das „Manifest für Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer hat in den vergangenen Tagen große Wellen geschlagen. Mehr als 440.000 Menschen haben es inzwischen unterschrieben. Zu den etwa 70 Erstunterzeichner:innen gehören prominente Persönlichkeiten wie der Soziologe Wolfgang Streeck, der Armutsforscher Christoph Butterwegge, Vertreter:innen der Deutschen Friedensgesellschaft oder die Theologin Margot Käßmann. Ebenso hat Gregor Gysi (DIE LINKE), wenn auch nicht als Erstunterzeichner, die Petition unterschrieben. Zu den Unterstützer:innen gehören aber auch Peter Gauweiler (CSU) und der Brigadegeneral a.D. Erich Vad. Und auf Twitter hat auch der Bundessprecher der AfD, Tino Chrupalla, seine Unterstützung des Manifests verkündet. Am 25. Februar organisieren Wagenknecht und Schwarzer gemeinsam mit Vad eine Kundgebung am Brandenburger Tor. „Eine weiße Fahne mit dem F wie Friedensverhandlungen“ sollen sich die Menschen im ganzen Land an diesem Tag anstecken oder in das Fenster hängen, wie Schwarzer in ihrem Aufruf schreibt.

Diese halbe Querfront an Unterstützer:innen lässt schon vermuten, dass das Manifest nicht ohne weiteres als progressiv bezeichnet werden kann. Gleichwohl ist der Fakt, dass fast eine halbe Million Menschen kurz vor dem Jahrestag der reaktionären russischen Invasion der Ukraine das „Manifest“ unterstützen, ein Indiz für eine Verschiebung der gesellschaftlichen Stimmung und für die Möglichkeit einer größeren Anti-Kriegs-Bewegung.

Das kommt nicht von ungefähr: Das Manifest wurde zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, an dem die NATO-Staaten und insbesondere Deutschland hunderte Panzer in die Ukraine schicken wollen, nachdem schon in den vergangenen Monaten immer mehr schwere Waffen und Gerät in die Ukraine geliefert wurden. Seinerseits hat Putin in den vergangenen Monaten immer wieder mit dem Einsatz von atomaren Sprengköpfen gedroht. Währenddessen wird über die Lieferung von Kampfjets und über die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Das Bundeswehr-Sondervermögen soll weiter aufgestockt werden, während die Strateg:innen im Verteidigungsministerium Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst als Gefahr für die weitere Aufrüstung wahrnehmen. So ist ein Jahr nach Beginn des Krieges ein Ende weiterhin nicht in Sicht, während sich die militaristische Eskalationsspirale immer weiterdreht.

Zeitgleich wurden in den vergangenen Monaten immer schärfere Sanktionen gegen Russland durchgesetzt. Weltweit haben der Krieg und die Sanktionen zu einem seit Jahrzehnten beispiellosen Anstieg der Inflation und zu Rezessionstendenzen geführt, die die Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre nur noch weiter verschärfen. Damit einhergehend wollen die Herrschenden in den imperialistischen Ländern wie beispielsweise in Großbritannien gegen Errungenschaften wie das Streikrecht vorgehen oder antisoziale Rentenreformen wie in Frankreich durchsetzen. Als Antwort darauf erleben wir in den vergangenen Monaten einen Wiederaufschwung des Klassenkampfes, der aufzeigt, dass die nationale Einheit rund um den Krieg zu bröckeln beginnt.

In Deutschland sind je nach Umfrage inzwischen eine knappe Mehrheit oder eine große Minderheit gegen die Lieferung von Panzern und schweren Waffen, insbesondere in Ostdeutschland und in der Jugend. Die hunderttausenden Unterschriften unter Wagenknechts und Schwarzers Manifest sind Teil dieser Stimmung.

Gleichwohl gibt es aktuell noch keine Antikriegsbewegung auf der Straße, und zum Jahrestag der Invasion am 24. Februar ist zu erwarten, dass Pro-NATO-Demonstrationen weit überwiegen werden. Diejenigen Kundgebungen und Demonstrationen, die sich gegen eine weitere Eskalation von Seiten der NATO stellen, sind häufig – mal mehr, mal weniger offen – prorussisch. Demgegenüber sagen wir: Weder Putin noch NATO. Weder das russische Regime noch die westlichen Imperialist:innen können einen fortschrittlichen Weg aus dem Krieg in der Ukraine weisen. Denn nicht nur Russland will die Ukraine unterwerfen. Auch die NATO-Staaten wollen sich das Land wirtschaftlich, militärisch und geopolitisch völlig unterordnen.

Eine offene Flanke nach rechts

Das Manifest von Wagenknecht und Schwarzer ist politisch ambivalent formuliert: Einerseits wird der Einmarsch russischer Truppen verurteilt. Andererseits stellen sie sich korrekterweise gegen die weitere Eskalation mit Waffenlieferungen und gegen eine Fortsetzung des Krieges. Allerdings benennt das Manifest weder die Sanktionspolitik von NATO und EU, noch überhaupt explizit die Rolle des westlichen Militärbündnisses und des Europas des Kapitals. Auch eine Kritik an der Bundeswehr und insbesondere an der Aufrüstungspolitik der Bundesregierung und dem Bundeswehr-Sondervermögen sucht man in dem Manifest ebenfalls vergeblich.

Es ist jedoch bezeichnend, dass im „Manifest für Frieden“ ausgerechnet zur derzeitigen Aufrüstung der Bundeswehr geschwiegen wird. Schwarzer und Wagenknecht sagen „Nein“ zum Krieg, aber nicht „Nein“ zur Aufrüstung und nicht „Nein“ zur Stärkung des deutschen Militarismus.

Der Ex-General Vad, mit dem Wagenknecht und Schwarzer am 25. Februar vor dem Brandenburger Tor demonstrieren wollen, hatte vergangenes Jahr sogar selbst die Wiedereinführung der Wehrpflicht in die Diskussion eingebracht. Der ehemalige Berater der Bundesregierung unter Merkel sprach in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung von einem deutschen „Strukturpazifismus“ und forderte dagegen eine „Ertüchtigung der deutschen Streitkräfte“:

Die Marine braucht neue Fregatten und Korvetten, die Luftwaffe einen Nachfolger für den Tornado, schwere Transporthubschrauber und vieles andere mehr. Hundert Milliarden Euro sind da eine endliche Summe. Und wir brauchen spätestens seit der Androhung Putins mit dem Einsatz von Atomwaffen die F-35 als Kampfflugzeug für die nukleare Teilhabe. 

Doch damit nicht genug. 2003 hat Vad in der neurechten Postille Sezession einen Artikel publiziert. Jene gehört zum Thinktank des rechten Vordenkers Götz Kubitschek. Auch für die rechte Zeitung Junge Freiheit schrieb Vad bereits. In einem seiner Texte für dieses Blatt vertrat er geschichtsrevisionistische Thesen zur Rolle der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Mit einer solchen Figur wollen Wagenknecht und Schwarzer für den Frieden auf die Straße gehen?

Die Waffenlieferungen und die Haltung zum Ukrainekrieg insgesamt können nicht abgetrennt werden von der beispiellosen Aufrüstung der NATO-Staaten in den vergangenen Monaten und insbesondere Deutschlands. Sie kann nicht abgetrennt werden von den langfristigen Perspektiven des deutschen Imperialismus, der sich auf eine aggressivere Rolle in der Welt vorbereitet, um die Profite des Großkapitals zu schützen.

Sahra Wagenknecht hingegen hat kein Interesse an einem konsequenten Antiimperialismus. Bestenfalls steht sie für eine gewisse Kritik an der NATO. Gegen eine starke Bundeswehr und das Erstarken des deutschen Imperialismus hat sie jedoch nichts einzuwenden. Das ist auch im Ton mit ihren sozialchauvinistischen Äußerungen der vergangenen Jahre.

So ist es dann auch kein Wunder, dass auch die AfD auf das Manifest aufspringen wollte. Deren Bundessprecher hatte das Manifest unterzeichnet und öffentlich gelobt. Denn die Positionen der Rechten und diejenigen Wagenknechts überschneiden sich tatsächlich darin, dass sie für eine von der NATO und den USA unabhängigere Rolle Deutschlands in der Welt eintreten. Natürlich ist Wagenknecht bewusst, dass sie zwar mit AfD-Positionen kokettieren, aber keine Bündnisse mit ihr schließen kann, ohne sich politisch völlig ins Aus zu schießen. Chrupalla, so erklärte sie deshalb, sei bei ihrer Kundgebung am 25. Februar unerwünscht.

Auch Alice Schwarzer hat keine progressive Antwort zu bieten. Ihr „Feminismus“ ist keine Alternative zu der reaktionären Außenpolitik mit „feministischem“ Anstrich von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Während Baerbock erklärt hat, dass Deutschland sich bereits im Krieg mit Russland befände, tritt sie für Waffenlieferungen und Sanktionen unter dem Deckmantel der Verteidigung von Frauen- und Menschenrechten ein, beispielsweise auch im Bezug auf den Iran. Und auch sonst gibt sich die Bundesregierung weiterhin progressiv und will mit der Abschaffung des sogenannten „Werbeverbots“ für Schwangerschaftsabbrüche und der Verabschiedung eines Selbstbestimmungsgesetzes punkten, während aber Schwangerschaftsabbrüche weiterhin kriminalisiert bleiben und trans Menschen weiterhin überproportional häufig von Prekarisierung und sexualisierter Gewalt betroffen sind. Alice Schwarzers Antwort darauf sind transphobe Attacken auf trans und nicht-binäre Menschen. Und auch Wagenknechts Auslassungen über die „immer skurrileren Minderheiten“ passen hierzu. Das kann nicht unser Feminismus sein. Im Gegenteil müssen wir den Kampf gegen jede Unterdrückung von Frauen und Queers verbinden mit dem Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung, gegen Krieg und Militarismus.

Wer kann den Krieg wirklich beenden?

Dass Hunderttausende das „Manifest“ unterschrieben haben, ist ein Indiz für die Möglichkeit einer größeren Antikriegsbewegung, zumindest aber für eine Verschiebung der Stimmung in Deutschland in Bezug auf den Krieg. Damit aber eine solche Bewegung tatsächlich den Krieg beenden und auch das Erstarken des deutschen Imperialismus und die Ausdehnung der NATO stoppen kann, ohne sich den reaktionären Interessen des Putin-Regimes unterzuordnen, muss klar sein, wie diese Ziele zu erreichen sind. Was schlagen Wagenknecht und Schwarzer in ihrem Manifest vor?

Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt!

Nun sind der deutsche Imperialismus und die Bundesregierung nicht gerade eine Friedensallianz, sondern machen aktuell eine militaristische „Zeitenwende“ durch, deren Ziel ein noch aggressives Auftreten der Bundeswehr auf internationaler Ebene im Interesse des deutschen Kapitals ist. Doch selbst wenn das nicht so wäre: Die Hoffnungen in diplomatische Verhandlungen zwischen den beiden Blöcken sind illusionär. Wie wir in unserem Aufruf zur Demonstration gegen die Münchner Sicherheitskonferenz am kommenden Wochenende schreiben:

Die Vorbereitungen einer erneuten russischen Offensive deuten nicht auf eine Rückkehr an den Verhandlungstisch hin, genauso wie die immer neuen Lieferungen immer schwererer Waffen aus dem Westen. Selbst wenn Friedensverhandlungen zustande kämen, würden darin nicht die Interessen der großen Mehrheit der Menschen der Ukraine vertreten. Vielmehr ginge es darin nur um die Aufteilung der Einflusssphären zwischen den Blöcken. Wir stellen uns auch auf der Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz klar gegen Positionen, die zum russischen Angriff schweigen oder eine Vermittlung suchen. Unsere Hoffnung liegt nicht in den Verhandlungen zwischen Washington, Moskau, Berlin und Kiew, sie liegt immer in der Macht der Arbeiter:innen, den Krieg zu beenden.

Ein fortschrittlicher Ausweg aus diesem und weiteren Kriegen, die durch die Zuspitzung der geopolitischen und ökonomischen Spannungen zwischen und auch innerhalb der rivalisierenden Blöcke entstehen werden, kann von der Arbeiter:innenklasse erkämpft werden. Dazu braucht es auf beiden Seiten der Front eine von den Regierungen unabhängige Position in der Perspektive von Streiks gegen Waffenlieferungen, gegen Aufrüstung und für ein sofortiges Ende des Kriegs. Weder die NATO und EU noch Putin, aber auch nicht die ukrainische Selenskyj-Regierung haben eine progressive Lösung für die Arbeiter:innen und die Massen anzubieten. Diese kann es nur geben, indem sich einerseits die russischen Truppen aus der Ukraine zurückziehen, aber auch andererseits jede Intervention der NATO, der EU und des IWF unterbunden wird. Schließlich muss durch eine Allianz der ukrainisch- und russischsprachigen Massen auf beiden Seiten die rechte Selenskyj-Regierung gestürzt und an ihrer Stelle eine Arbeiter:innenregierung in der Perspektive einer sozialistischen Ukraine aufgebaut werden.

Wie wir an anderer Stelle ausführen, ist ein Jahr nach Beginn des Ukrainekriegs der Klassenkampf zurück auf der Bühne. Bisher richten sich die Streiks, die es in ganz Europa und auch in Deutschland gibt, vor allem gegen die Auswirkungen der Inflation. Die Bürokratien der Gewerkschaften weigern sich jedoch, über die bloßen ökonomischen Forderungen hinauszugehen. Wir müssen aber dafür eintreten, dass die Streiks auch zu Kämpfen gegen den Krieg als eine der Ursachen der Inflation werden.

Für diese Perspektive gehen wir gemeinsam gegen die Sicherheitskonferenz auf die Straße und treiben den Aufbau einer antiimperialistischen, revolutionären Jugend voran, um als Teil der Arbeiter:innenbewegung für eine sozialistische Antwort auf Krise, Krieg und Klimakatastrophe zu kämpfen.

Demo gegen die Münchner Sicherheitskonferenz

Wann? Samstag 18.2. 13 Uhr

Wo? Karlsplatz (Stachus), München, Treffpunkt vor McDonald’s bei den RIO-Fahnen

https://www.klassegegenklasse.org/weder-putin-noch-nato-streiken-gegen-krieg-aufruestung-und-inflation/

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