Hunderte FU-Beschäftigte und Studierende protestieren gemeinsam gegen Repression
Der Palästinabewegung an der Freien Universität Berlin ist ein erster Schritt gelungen, um die Solidarität auszuweiten. Zahlreiche Beschäftigte, darunter namhafte Dozierende, stellen sich hinter die Studierendenbewegung.
Am Donnerstag, den 16. Mai versammelten sich hunderte Studierende und Beschäftigte der Freien Universität Berlin (FU) vor der Mensa II, um gegen Polizeigewalt, die Repression der Unileitung und mediale Hetze zu protestieren. Organisiert wurde die Kundgebung vom Palästinakomitee der FU und Waffen der Kritik, der marxistischen Hochschulgruppe von Klasse Gegen Klasse, mit dem Ziel, die Einheit von Studierenden und Beschäftigten zu stärken.
Vorausgegangen war die von der Unileitung veranlasste brutale Räumung des Protestcamps für Palästina etwa eine Woche zuvor. Dutzende Studierende wurden verletzt und etwa 80 haben von der Unileitung Anzeigen bekommen. Uni-Präsident Ziegler verteidigt die Räumung weiterhin mit offensichtlichen Lügen, etwa dass es massive Sachbeschädigung und körperliche Angriffe gegeben hätte, und behauptet zynischerweise, er hätte die protestierenden Studierenden mit der Räumung vor sich selbst schützen wollen.
Doch zahlreiche Beschäftigte der Berliner Universitäten erkannten die Räumung als massiven Angriff der Unileitung auf die demokratischen Rechte von Studierenden und auch von Beschäftigten. Sie verfassten noch am selben Tag ein Statement, in dem sie forderten, alle Anzeigen gegen Studierende fallen zu lassen und keine Polizei auf den Campus zu rufen – mittlerweile wurde es fast 1.400 mal unterzeichnet. Prompt wurden sie von der Springerpresse und der Bildungsministerin Stark-Watzinger (FDP) als Antisemit:innen diffamiert – weil sie sich für Meinungs- und Versammlungsfreiheit stark gemacht hatten. Das zeigt noch einmal deutlich, wie sehr der Antisemitismusbegriff von bürgerlicher Seite instrumentalisiert und entwertet wird.
Bei der Kundgebung gestern ging es darum, solidarische Dozierende zu aktivieren und eine stärkere Verteidigung gegen die Angriffe auf die Palästina-Solidarität und die demokratischen Rechte im Allgemeinen an den Unis aufzubauen. Die Kundgebung übernahm die Forderungen der Lehrenden und stellte sich darüber hinaus gegen die Wiedereinführung des Ordnungsrechts, forderte einen Stopp aller Waffenlieferungen nach Israel sowie die Offenlegung aller bisherigen Rüstungskooperationen der Uni und eine demokratisch kontrollierte Zivilklausel. Um den Kampf gegen die Repression an den Unis zu gewinnen, brauchen wir die Beschäftigten. Das zeigt sich auch darin, wie das mediale Echo auf die gestrige Kundgebung ausfiel: Auf einmal wird Kritik an der Universitätsleitung als legitim dargestellt, auch wenn sich die meisten Nachrichtenportale zu dieser Entwicklung bisher beharrlich ausschweigen.
Gelegentlich wird innerhalb der Studierendenbewegung kritisiert, dass der Kampf gegen Repression nicht zu viel Platz einnehmen soll angesichts des unvergleichlich schwerwiegenderen Leids der palästinensischen Bevölkerung, die gerade in ihrer letzten Zufluchtsstätte Rafah von der israelischen Armee bombardiert wird. Natürlich stimmt es, dass sich das Leid der Palästinenser:innen nicht aufwiegen lässt mit den Auswirkungen von Polizeigewalt im Westen. Wenn es uns aber tatsächlich darum geht, Einfluss auf die Entwicklungen in Palästina zu nehmen, dann geht das nur über den materiellen Druck, der von einer vereinten Bewegung der Studierenden und Arbeiter:innen ausgehen kann. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir primär eine Massenbewegung statt klandestiner Aktionen von einer kleinen Gruppe an waghalsigen Individuen. Und die Bekämpfung der Repression stellt für dieses Gesamtziel einen wichtigen Schritt dar.
Die Kundgebung, auf der zahlreiche Dozierende Reden hielten, verkörperte als erste Aktion an der FU mit Palästinabezug tatsächlich die Einheit von Studierenden und Beschäftigten und war damit ein großer Erfolg. Zumal auch die Unterstützung unter der breiten Studierendenschaft noch deutlich größer ausfiel als bei ähnlichen Aktionen in den vergangenen Monaten. Sie hat gezeigt, dass die große Dynamik, die wir während des Protestcamps erleben konnten, keine Eintagsfliege war.
Moderiert wurde die Kundgebung von Caro, Mitglied beim FU Palästinakomitee und bei Waffen der Kritik sowie studentische Hilfskraft an der FU Berlin. Dabei ließ sie sich von den Krücken nicht ausbremsen, die sie seit dem brutalen Polizeieinsatz letzte Woche begleiten. Unter Beifall der versammelten Studierenden und Beschäftigten klagte sie die Niederschlagung des friedlichen Protestcamps an, bei dem Studierende in ihrem eigenen Universitätsgebäude von der Polizei gepfeffert wurden und zahlreiche weitere Gehirnerschütterungen, Verstauchungen und Prellungen davontrugen. Die friedliche, aber entschlossene und kämpferische Stimmung zum Auftakt der Kundgebung wurde untermalt von Edwin Starrs Lied „Stop the War Now“ – einem Klassiker der Studierendenbewegung gegen den Vietnamkrieg.
Als erstes sprach der emeritierte Politikwissenschaftler Hajo Funke, ein renommierter Rechtsextremismus- und Antisemitismusforscher, der 2019 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Der Polizeieinsatz sei das Brutalste, das er je an der Freien Universität Berlin gesehen habe: „Dabei bin ich Mitglied der Universität seit 60 Jahren.“ Er klagte die “Verleumdung” der protestierenden Studierenden als Antisemit:innen an und nannte die mediale Hetze gegen die Unterzeichner:innen des offenen Briefes “beispiellos.”
David Grundy, Professor am John-F.-Kennedy-Institut der FU, nannte es absurd, dass die deutsche Regierung und die Unileitung jüdische Studierende im Namen des Kampfes gegen Antisemitismus zusammenschlagen lässt.
Maxi Schulz, Sprecher:in der jungen GEW Berlin und Mitglied des Studierendenparlaments für Waffen der Kritik, betonte die Verantwortung der Gewerkschaften im Kampf gegen die Einschränkungen der demokratischen Rechte und verwies auf Beispiele aus den USA. An der CUNY-Universität und an der UCLA beschlossen die gewerkschaftlich organisierten Dozierenden mit großer Mehrheit, sich den Forderungen der Studierenden anzuschließen und organisierten dafür Streikaktionen. GEW und ver.di haben sich richtigerweise gegen die Diffamierung der Lehrenden gestellt und den Polizeieinsatz kritisiert und müssen nun praktische Schritte folgen lassen, etwa durch die Mobilisierung gegen Repression und Einschränkung der demokratischen Rechte und das Einberufen von Versammlungen.
An verschiedenen US-Universitäten stellten sich Beschäftigte vor die Studierenden, um sie vor der Repression abzuschirmen. Ruben Schenzle, Lehrbeauftragter für Arabistik, erklärte, dass Dozierende auch hier ihre Studierenden physisch vor Polizeigewalt schützen müssten.
Julius Götz, Mitglied von Waffen der Kritik und Redakteur für Klasse Gegen Klasse, betonte in seiner Rede, dass die Repressionen nicht vom Himmel gefallen seien. “Seit Monaten und Jahren nimmt die Rechte in Deutschland an Fahrt auf. Wir sehen eine Aufrüstung der Bundeswehr, mehr Waffenexporte und wieder deutsche Kriegseinsätze wie zuletzt im Roten Meer. Wir sehen einen Ausbau der Polizei, Abschiebeoffensiven und massive Einschränkungen demokratischer Freiheiten im Inneren. Und mit ihrem Vorgehen gegen protestierende Studierende macht sich auch die Unileitung zum Teil des Rechtsrucks. Immer lauter werden die Forderungen nach einer dauerhaften Polizeipräsenz auf dem Campus.
Wer sich gegen die genozidale und militaristische Politik des deutschen Staates richtet, soll zum Schweigen gebracht werden.”
Julius machte jedoch auch klar, dass wir uns nicht einschüchtern oder vereinzeln lassen dürfen, sondern den Kampf gegen den wachsenden rechten Autoritarismus in der Gesellschaft und an der Uni sowie gegen den Genozid in Gaza ausweiten müssen. Dafür schlagen wir vor, zeitnah Vollversammlungen an der Uni abzuhalten, wo tausende Kommiliton:innen und Kolleg:innen zusammenkommen können. Dort können wir gemeinsam diskutieren, wie wir uns gegen die Repression zur Wehr setzen und wie die Solidarität mit Palästina an den Unis erfolgreich werden kann. Dazu Julius in seiner Rede:
“Die Räumung war ein Versuch des Präsidiums, zu verhindern, dass sich politischer Protest unter Beschäftigten und Studierenden ausweitet. Eine Vollversammlung wäre die beste Antwort darauf, denn sie zeigt: Wir lassen uns nicht mundtot machen, wir werden die Uni weiter politisieren.
Sie bietet auch einen Ausblick darauf, wie eine tatsächlich Freie Universität aussehen könnte: Unter demokratischer Kontrolle aller Universitätsmitglieder, statt eines elitären Präsidiums, das unliebsam gewordene Studierende von der Polizei verprügeln lässt. Eine Universität im Dienste der Studierenden und der Beschäftigten unter Kontrolle der Studierenden und Beschäftigten.”
Die Möglichkeit, Vollversammlungen einzuberufen, liegt beim AStA, wird von diesem aber kaum genutzt. Anstatt eine aktive Rolle in der aufkommenden Studierendenbewegung zu spielen und sie mit all seinen Ressourcen zu unterstützen, spielt der aktuelle AStA eher eine passive und bremsende Rolle. Auch die intransparente und undemokratische Wahl trägt dazu bei. Wir denken, dass es gerade dringender denn je ist, die Organe der Studierendenschaft zu politisieren und zu Organen der sozialen Kämpfe zu machen, welche die Selbstorganisierung der Studierenden und Beschäftigten fördern. Daher wollen wir eine Petition starten, um den Druck auf den AStA, Schritte in diese Richtung zu gehen, zu erhöhen. Außerdem kandidieren wir als Waffen der Kritik/Klasse Gegen Klasse für Referate im AStA, um diese zu einem Stützpunkt für soziale Kämpfe zu machen und rufen alle Angehörigen der FU Berlin auf, uns dabei zu unterstützen.