Hongkong: Flughafen besetzt, Generalstreik, Millionen auf der Straße. Peking droht mit Massaker

18.08.2019, Lesezeit 6 Min.
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A pro-democracy protester holds a placard during another demonstration at Hong Kong's international airport on August 13, 2019. - Protesters blocked passengers at departure halls of Hong Kong airport on August 13, a day after a sit-in forced authorities to cancel all flights to and from the major international hub. (Photo by Philip FONG / AFP)

Angesichts der Massenproteste verschärft sich die Repression. Die Regierung in Peking zieht Truppen an der Grenze zu Hongkong zusammen.

„Ich möchte, dass die Regierung endlich auf unsere Forderungen eingeht“, sagt der 50-Jährige John der Tagesschau. „Wir verlangen eine unabhängige Untersuchung zum Vorgehen der Polizei der vergangenen Wochen und zu deren Verstrickungen mit der Unterwelt. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Seit über drei Monaten demonstrieren Millionen Menschen in der Metropole Hongkong gegen ein geplantes Auslieferungsgesetz. Getroffen werden sie von harter Repression.

Nachdem regelmäßig hunderttausende Menschen gegen das Gesetz demonstrierten, versammelten sich am 9. Juni eine Million Menschen – die größte Demonstration in Hongkong seit 1997.

Breite Teile der Bevölkerung beteiligten sich an den Protesten, darunter auch Vertreter*innen der lokalen Bourgeoisie (Geschäftsleute, Anwält*innen), der Mittelschichten, Renter*innen und junge Studierende.

Der SPIEGEL berichtet von Schildern mit Inhalten wie „Keine Auslieferung nach China“, „Nach China ausgeliefert, für immer verschwunden“ oder – an die Regierungschefin gerichtet – „Liefer dich selbst aus“. Gefordert wird auch die Freilassung aller politischen Gefangenen.

Die Regierung antwortete mit starker Repression, die bereits zu Hunderten von Verhaftungen und Verurteilungen, sowie zum massiven Einsatz von Tränengas und Pfefferspray führte.

Doch diese Repression sorgte für eine stärkere Radikalisierung. Nachdem eine Frau durch einen Schuss durch die Polizei verletzt wurde, besetzte die Bewegung den Flughafen Hong Kong International Airport – der acht verkehrsreichste Flughafen der Welt mit über 74 Millionen Passagieren pro Jahr.

5000 Menschen drangen am Montag, den 12. August, in den Flughafen ein und prangerten die Gewalt der Polizei an, was zum Ausfall aller restlichen Flüge an diesem Tag führte. Am Dienstag blockierten wieder Tausende Demonstrierende die Zugänge zu den Sicherheitszonen.

Die Behörden Hongkongs vertieften angesichts der Bedrohung die Repression, während die Regierung in Penking ihrerseits den Einsatz ihrer Streitkräte androhte. So trainierten Sicherheitskräfte der Bewaffneten Volkspolizei am Donnerstag in Shenzehn, einer Metropole direkt an der Grenze zu Hongkong. Davor standen über 100 Militärfahrzeuge inklusive gepanzerten Truppentransportern und Wasserwerfern. Laut SPIEGEL war in chinesischen Staatsmedien die Rede von „einer klaren Warnung an Randalierer in Hongkong“ in diesem Zusammenhang. Am Samstag veröffentlichten chinesische Medien martialische Videos von Truppenübungen.

Am heutigen Sonntag, den 18. August, gingen jedoch trotz der chinesischen Drohungen und trotz des offiziellen Verbots der Proteste erneut Hunderttausende auf die Straße – die Veranstalter*innen sprachen sogar von 1,7 Millionen Menschen.

„Gewalt … wird Hongkong auf einen Weg ohne Rückkehr führen und die Hongkonger Gesellschaft in eine sehr besorgniserregende und gefährliche Situation stürzen“, äußerte sich zynisch Carrie Lam, Hongkongs Regierungschefin, auf einer Pressekonferenz. „Die Situation in der vergangenen Woche hat mich befürchten lassen, dass wir diese gefährliche Situation erreicht haben.“

Das Auslieferungsgesetz

HongKong war bis 1997 eine Kolonie des Vereinigten Königreiches. Seit der Übergabe der Staatshoheit hat die Metropole den Status einer Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China, d.h. rechtliche Autonomie, eigene Zölle und eine eigene Währung – und ein kapitalistisches Wirtschaftssystems mindestens für die nächsten 50 Jahre.

Hongkong ist daher auch ein Exilort für politische Aktivist*innen oder Feinde der Kommunistischen Partei Chinas.

Vor diesem Hintergrund wurde im Februar der „Entwurf für ein Gesetz über flüchtige Straftäter und Rechtshilfe in Strafsachen“ vorgeschlagen. Es schafft die Möglichkeit, Verdächtige nach Anfrage chinesischer Behörden ausliefern zu können, wo diese dann auch nach chinesischem Gesetz vor Gericht gestellt werden könnten.

Das Gesetz könnte insgesamt für Bewohner*innen von HongKong für ein hohes Risiko sorgen, ausgeliefert und in China inhaftiert zu werden. Auch es formell keine Auslieferung von politisch Verfolgten ermöglichen soll, wäre ein Umgehen dieser Regelung sicherlich keine Überraschung.

Pekings Widersprüche

Ein wichtiger qualitativer Sprung der Bewegung war der Generalstreik vom 5. August. Die Regierung wurde hart getroffen, Finanzen, Verkehr, Verwaltung wurden blockiert – und damit die Wirtschaft eines der wichtigsten kapitalistischen Zentren der Welt und wichtiges Tor ins Ausland für China.

Über 60% der Direktinvestitionen aus dem Ausland nach China laufen durch Hongkong. Auch andersherum nutzen viele chinesitsche Kapitalist*innen und Firmen, wie Xiaomi, ZTE oder Lenovo Hongkong für ihre Auslandsinvestitionen.

Angesichts der geopolitischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Insel hat China jedoch trotz der offiziellen „Ein Land, zwei Systeme“-Linie immer wieder versucht, Einfluss zu nehmen. Für China geht es auch darum, die Einheit seines Territoriums zu gewährleisten und die Stabilität des Regimes zu sichern.

So konnte Peking beispielsweise die Hongkonger Airline Cathay Pacific zwingen, „aus Sicherheitsgründen“ bei Flügen durch den Luftraum der Volksrepublik keine Besatzungsmitglieder einzusetzen, die sich an den Demonstrationen beteiligt hatten. Auch mehrere Pilot*innen und Mitarbeiter*innen der Fluggesellschaft wurden gefeuert, weil sie sich an „illegalen Protesten“ beteiligt hätten. „Was mit Cathay Pacific passiert, hat immense Signalwirkung für ganz Hongkong“, zitiert der SPIEGEL den Leiter des Programms Wirtschaft am Berliner Mercator-Institut für Chinastudien. Die Botschaft sei eindeutig. Unternehmen hätten sich zu fügen.

Wird Peking die Streitkräfte tatsächlich einsetzen? Unwahrscheinlich. Ihr Einsatz könnte deutlich negative Folgen für China haben, indem es zu einer stärkeren Instabilität von Hongkong und damit der finanziellen Basis des Landes führen würde. Auch stärkere Sanktionen durch die Vereinigten Staaten im Kontext des Handelskrieges wären nicht auszuschließen.

Die Kontrolle über die Insel ist geopolitisch und ökonomisch zentral, daher ist es unwahrscheinlich – trotz des Umfangs der Proteste –, dass sich die Kommunistische Partei zurückziehen wird. Ebenfalls groß ist allerdings die Gefahr, dass die chinesische, größte Arbeiter*innenklasse der Welt sich von den Protesten inspirieren lässt.

Die wahrscheinlichste Strategie der Regierungen von Hongkong und China dürfte vorerst sein, darauf zu hoffen, dass die Bewegung demoralisiert und erschöpft.

Sie versuchen diesen Prozess zu beschleunigen, einerseits durch Repression und ein Klima der Angst – in die gleiche Richtung zielt die Drohung des Einsatzes der Streitkräfte – und andererseits durch die Isolation der Bewegung durch ihre Kriminalisierung in den Medien.

Artikel ist teilweise paraphrasiert und zitiert von Un million de manifestants à Hong Kong en défense des droits démocratiques und Hong-Kong. Blocage de l’aéroport international, Pékin durcit le ton.

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