Historischer Streik bei US-Autobauern geht weiter: Um zu gewinnen, muss er von unten organisiert werden

20.09.2023, Lesezeit 10 Min.
Übersetzung:
1
Bild: Luigi Morris (Left Voice)

Zum ersten Mal werden Ford, Stellantis und General Motors gleichzeitig bestreikt. Die Forderungen der Automobilarbeiter:innen sind kühn. Um den Streik gegen die „Big Three“ zum Sieg zu führen, muss er von unten organisiert werden.

Der Streik der United Auto Workers (UAW), der Gewerkschaft der Beschäftigten in der US-amerikanischen Automobilindustrie, ist der wichtigste Arbeitskampf seit Jahrzehnten. Er markiert gleichzeitig den Höhepunkt des „hot labor summer“ der US-Gewerkschaftsbewegung. Nicht nur hat der Streik die Aufmerksamkeit der gesamten Nation auf sich gezogen. Er hat auch die wachsende Macht und Aktivität einer Arbeiter:innenbewegung gezeigt, die sich den Bossen entgegenstellt, die ihre rekordverdächtigen Gewinne auf Kosten der Arbeiter:innenklasse machen. Die Arbeiter:innenklasse steht im Mittelpunkt der nationalen Politik und die Erwartungen steigen.

Hollywoods Autor:innen und Schauspieler:innen befinden sich in ihrem ersten koordinierten Streik seit sechs Jahrzehnten. Tausende von Beschäftigten im Gastgewerbe von Los Angeles streiken. 340.000 Beschäftigte des Logistikunternehmens UPS haben sich im vergangenen Monat auf einen Arbeitskampf vorbereitet, indem sie zur Übung Streikposten aufstellten und „Bereit zum Streik!“ skandierten. Landesweit gab es Hunderte weiterer kleinerer Streiks. Dieser Sommer war zweifellos eine echte Qual für die Bosse. Das Wall Street Journal rechnet vor, dass allein im August 4,1 Millionen Arbeitstage durch Streikmaßnahmen verloren gingen.

Diese Aktionen der Arbeiter:innen finden in einem Kontext statt, in dem die Allgemeinheit Gewerkschaften und Arbeiter:innenrechte positiv sieht (nach einer Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2022 unterstützen 71 Prozent der US-Amerikaner:innen Gewerkschaften). Das gilt umso mehr nach der Covid19-Pandemie, in der die Superreichen noch reicher wurden, während essenzielle Beschäftigte die Wirtschaft am Laufen hielten, oft unter unsicheren Bedingungen. Der Streik der UAW hat in der Arbeiter:innenklasse und der weiteren Bevölkerung starke Unterstützung erfahren, denn mehr und mehr Menschen sind wütend auf den irrsinnigen Reichtum der Kapitalist:innen. Laut einer Gallup-Umfrage unterstützten 75 Prozent der Befragten den UAW-Streik.

Die Forderungen der Gewerkschaft sind mutig. Sie sind deshalb für die Arbeiter:innebewegung von großer Bedeutung, weil sie den Kern der Arbeitsbedingungen betreffen, wie sie in den USA im jahrzehntelangen Neoliberalismus geschaffen wurden. Die zentralen Forderungen lauten: Abschaffung der Schlechterstellung eines Teils der Belegschaften, Lohnerhöhungen um 36 Prozent (die ursprüngliche Forderung lag bei 40 Prozent), Wiederherstellung eines Lohnausgleichs bei steigenden Lebenshaltungskosten, damit die Löhne mit der Inflation Schritt halten, ein Ende des Missbrauchs von Zeitarbeiter:innen und das Recht, gegen Werksschließungen zu streiken. In Interviews und in gewerkschaftlichem Informationsmaterial wurde zudem die Forderung nach einer 32-Stunden-Woche ohne Lohnkürzung aufgeworfen.

Aktive Solidarität um den Streik

Seit dem Streikaufruf hat es viel Solidarität gegeben. Die Gewerkschaft der Lastwagenfahrer:innen hat sich verpflichtet, die Streikposten zu respektieren. Hunderte Menschen, darunter viele Jugendliche, haben sich an den Streikposten und den Kundgebungen beteiligt. Auch Organisationen der sozialen Bewegungen haben dazu aufgerufen, sich dem Streik anzuschließen. Die organisierte Arbeiter:innenbewegung, insbesondere der Gewerkschaftsbund AFL-CIO, die sozialen Bewegungen, die Arbeiter:innen und die Jugend müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um landesweit die breiteste aktive Solidarität zu organisieren und ihre ganze Kraft in den Streik zu stecken. Es gilt, materielle Unterstützung und Geld für die Streikkasse zu organisieren, Menschen zu den Streikposten zu mobilisieren, Solidaritätsaktionen und Versammlungen abzuhalten, um die öffentliche Unterstützung auszuweiten und auf alle möglichen Arten der Gegenoffensive des Managements zu antworten.

Ein wichtiger Schritt, um größere Solidarität zu organisieren, wäre es, wenn die kürzlich mobilisierten Kurierfahrer:innen sowie weitere Gewerkschaften, die sich in verschiedenen Kämpfen befinden, wie die Gewerkschaft der Lehrer:innen und Universitätsbeschäftigten, zur UAW-Streikkasse beitragen und Solidaritätsaktionen organisieren würden.

Wir sollten uns bemühen, offene Räume wie öffentliche Versammlungen zu schaffen, in denen die Bewegung und die Community zusammenkommen und sich zwischen den verschiedenen Streikaktionen koordinieren können. So kann die Offensive gegen die Bosse verstärkt werden und die Arbeiter:innenbewegung die verschiedenen Forderungen der Arbeiter:innenklasse aufgreifen, wie etwa für bezahlbaren Wohnraum oder ein Ende der rassistischen Polizeiarbeit.

Ein Sieg für die UAW ist ein Sieg für die gesamte Arbeiter:innenklasse. Denn er öffnet nicht nur die Tür für weitere kämpferische Streikaktionen auf der Grundlage gestiegener Erwartungen, sondern drängt auch die Kapitalist:innen und ihre politischen Institutionen in die Defensive.

Der Basis vertrauen, nicht den Demokraten und Republikanern

Der Streik hat bereits die nationale Situation erschüttert, die durch den Präsidentschaftswahlkampf und den wachsenden Streit zwischen der Demokratischen Partei und dem Trumpismus um die Arbeiter:innenklasse geprägt ist. Trump hat sein politisches Profil darauf aufgebaut, sich auf die Seite der Industriearbeiter:innen zu stellen, die durch jahrzehntelange Zugeständnisse und Kürzungen hart getroffen wurden. Nun hat er sowohl Präsident Joe Biden als auch den UAW-Präsidenten Shawn Fain kritisiert. Er beschuldigt sie, sich auf die Seite der Unternehmen zu stellen, die in Hybridautos investieren wollen und damit die Belegschaften mit Entlassungen bedrohen. Biden, der sich zuletzt mit Aussagen zu Arbeitskämpfen zurückgehalten hat, äußerte sich zum UAW-Streik und erklärte, dass die „Arbeitnehmer einen fairen Anteil an den Vorzügen verdienen, die sie für ein Unternehmen geschaffen haben“. Dahinter steht die Sorge, dass die Arbeiter:innen im Mittleren Westen bei den Präsidentschaftswahlen 2024 nicht für ihn stimmen werden, was Trumps Chancen auf einen erneuten Einzug ins Weiße Haus erheblich verbessern würde. Gleichzeitig bemühte sich Biden um die offizielle Unterstützung der UAW für seine Kandidatur und will sich auf nationaler Ebene als arbeiter:innenfreundlicher Kandidat präsentieren.

Während Biden den drohenden Streik der Eisenbahner:innen mit Hilfe des Kongresses blockiert hat, kann er sich ein solches Vorgehen gegen einen sehr populären Streik einer politisch wichtigen Gewerkschaft mitten im Wahlkampf nicht leisten. Seine Rede diese Woche zielte darauf ab, von den Unternehmen Flexibilität zu verlangen und vor der Gefahr zu warnen, dass der Streik von Trump politisch instrumentalisiert werden könnte.

Die UAW fordert zu Recht, dass alle Fabriken für Elektrofahrzeuge gewerkschaftlich organisiert werden. Die Beschäftigten sollten auch entscheiden, wie der Übergang zur Elektromobilität aussehen soll. Anstatt Milliardären wie Elon Musk Geld zu geben, damit sie ausbeuterische Fabriken mit schlechten Löhnen betreiben, sollte dieses Geld dafür verwendet werden, die Grundbedürfnisse der Arbeiter:innen zu sichern.

Die UAW-Arbeiter:innen können weder Trump noch den Demokraten vertrauen, die nur ihren eigenen Wahlkampf betreiben. Der Streik kann vielmehr der Arbeiter:innenklasse als Ganzes neuen Schwung bringen, wenn er sich weiterhin auf organisierte Aktionen und seine eigene Stärke stützt. Deshalb ist es entscheidend, die Kraft, Kreativität und Macht der Basis zu entfesseln, damit der Streik von unten nach oben aufgebaut wird und nicht andersherum.

Der Streik muss von unten organisiert werden

Bei den jüngsten Gewerkschaftswahlen der UAW haben die Arbeiter:innen versucht, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Sie haben die alte Führung abgestraft, die sie verkauft hat, indem sie ihnen ein Zugeständnis nach dem anderen abgenötigt hat. Die Arbeiter:innen hatten genug von der zunehmenden Ungleichheit und den Unterschieden unter ihnen, der Beschneidung ihrer Rechte und Leistungen sowie einer zunehmenden Respektlosigkeit. Eine wichtige Lehre, die viele aus dem Streik bei General Motors 2019 gezogen haben, ist, dass die volle Kraft der Beschäftigten in der Automobilindustrie eingesetzt werden musste, um die Bosse zurückzuschlagen.

Die Forderung nach einem gemeinsamen Streik der Beschäftigten bei den „Großen Drei“ kam von unten. Dieser Prozess muss weitergehen: Die UAW-Mitglieder müssen kollektiv über ihr eigenes Schicksal entscheiden, einschließlich ihrer Forderungen und wie sie sie erkämpfen.

Die Beschäftigten dürfen nicht über die Strategie ihres eigenen Streiks im Unklaren gelassen werden. Das war ein Fehler, der zu Verwirrung und Desorientierung geführt hat. So ist es auch bei der aktuellen Strategie, die vor ihrer Veröffentlichung weder offengelegt noch mit den Beschäftigten diskutiert wurde. Welchen taktischen Vorteil es auch haben mag, die Einzelheiten der Streikstrategie vor den Bossen geheim zu halten, so wird er doch durch die Verunsicherung, die dadurch in der Basis entsteht, wieder zunichte gemacht. Die Arbeiter:innen sind enthusiastisch, mit ihren Geschwistern in der Gewerkschaft zu streiken, und sie drängen darauf, sich an diesem Kampf zu beteiligen. Die an der Basis organisierten Arbeiter:innen müssen darüber entscheiden, welche Werke geschlossen und für den Streik aktiviert werden.

Wie kann das aussehen? Lokale Streikkomitees in jedem Werk, in denen die Belegschaft – besonders aus der Werkhalle – Delegierte für regionale Komitees wählt, die den Streik zusammenführen und koordinieren. Die lokalen und regionalen Komitees sollten die starke Unterstützung der Community für diesen Streik koordinieren und andere Gewerkschaften zur Unterstützung aufrufen. Dies wäre ein wichtiger Schritt zum Aufbau eines nationalen Streikkomitees, das alle Anstrengungen koordinieren würde, um diese wichtigen Forderungen durchzusetzen.

Für den neuen UAW-Präsidenten Shawn Fain und die „Members United“-Liste, die als Ausdruck der Unzufriedenheit der Basis ins Amt gekommen sind, und für die Basisbewegung „United Auto Workers for Democracy“, die für mehr Gewerkschaftsdemokratie kämpft, ist es notwendig, den nächsten Schritt zu gehen, um den Arbeiter:innen die Kontrolle über die Gewerkschaft zu übertragen. Streikkomitees, die sich aus der Basis zusammensetzen, müssen von unten und gegen den Widerstand derjenigen Funktionär:innen organisiert werden, die sich der direkten Kontrolle der Gewerkschaft durch die Basis widersetzen.

Nein zu Entlassungen und Vergeltungsmaßnahmen des Managements

Die „Großen Drei“ ergreifen Maßnahmen, um die Kraft des Streiks mit Entlassungen und verschärfter Disziplin in den Werken anzugreifen, die derzeit nicht bestreikt werden.

Es wird aus den Werken sowohl von Entlassungen als auch von einem aggressiveren und feindseligeren Verhalten des Managements berichtet. Wir sollten dies als Teil der Gegenoffensive gegen den Streik betrachten. Auf Entlassungen kann man nicht einfach so reagieren wie bisher. Wenn kein Streik stattfindet, verschärfen sie die prekären Bedingungen, mit denen die Arbeiter:innenklasse konfrontiert ist. Während eines Streiks sind sie eine aktive Waffe. Sie säen Zweifel bei den Beschäftigten und die einzige Möglichkeit, diese Zweifel zu zerstreuen, ist eine an der Basis beschlossene Aktion.

Nicht nur wurden 600 Beschäftigte entlassen – 2.000 weitere Entlassungen sind angedroht. Viele weitere Beschäftigte sehen sich mit einer Verkürzung ihrer Arbeitszeit konfrontiert. Ein Arbeiter berichtete, dass er einen Tadel erhielt, weil er um 5:59 Uhr zu einer Sechs-Uhr-Schicht erschienen war. Ein anderer berichtete, dass zehn Beschäftigte von der Geschäftsleitung hinausgeworfen worden seien.

Dies hat bei den Beschäftigten in den Werken ein Gefühl des Unbehagens ausgelöst. Dass sie die Streikstrategie nicht kennen, verstärkt diese Unruhe noch. Viele fragen sich, ob nicht alle hätten streiken sollen, um sich gegenseitig besser vor Vergeltungsmaßnahmen zu schützen.

Uns ist bewusst, dass es für die Unternehmensleitung keinen Grund gibt, Arbeiter:innen zu entlassen und ihre Arbeitszeit zu verkürzen. Das liegt nicht in ihrem unmittelbaren Interesse und macht die Arbeit in den Fabriken nur schwieriger. Aber es liegt in ihrem Interesse, den kollektiven Willen und die Macht der Beschäftigten zu brechen und ihre kühnen Forderungen zu untergraben. Sie sind bereit, jetzt einen Schlag einzustecken, wenn sie glauben, dass sie der Gewerkschaft dadurch mehr Zugeständnisse abringen können.

Die Gewerkschaft muss auf diese Vergeltungsmaßnahmen mit einer Eskalation und der Forderung nach sofortiger Wiedereinstellung der entlassenen Beschäftigten reagieren. Über die Art der Eskalationsmaßnahmen sollten die Arbeiter:innen selbst entscheiden, einschließlich der entlassenen Beschäftigten, die das volle Recht haben müssen, sich an allen Entscheidungen über den Streik zu beteiligen.

Bei dem Streik steht viel auf dem Spiel. Die Forderungen beziehen sich nicht nur auf die Bedingungen, mit denen sich die Arbeiter:innenklasse im Allgemeinen konfrontiert sieht, sondern auch auf das Recht der Arbeiter:innen auf hohe Ansprüche für sich und ihre Familien. Die Arbeiter:innen kämpfen dafür, dass diese Forderungen über Generationen hinweg Bestand haben.

Die Führung der UAW wird mit dem Rückhalt der Belegschaften an den Verhandlungstisch treten, die ihr Verlangen danach gezeigt hat, entschädigt zu werden. Wenn die Basis demokratisch von unten in ihren eigenen Streikkomitees organisiert ist, stellt sie sicher, dass die Führung den Bossen am Verhandlungstisch günstigere Bedingungen aufzwingen kann.

Ein starker Tarifvertrag wäre ein großer Schritt zur Schaffung einer kämpferischen Arbeiter:innenbewegung, die für die Würde und den Wert der Arbeiter:innenklasse steht.

Dieser Artikel erschien erstmals am 18. September auf unserer Schwesterseite Left Voice.

Mehr zum Thema