Haushalt gekippt: Schwere Krise für die Ampel
Von heute auf morgen fehlen der Bundesregierung 60 Milliarden Euro in der Haushaltsplanung. Die Union hatte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Klima- und Transformationsfonds geklagt. Die Entscheidung stürzt die Ampel in eine schwere Krise.
„Ein wesentlicher Eckpfeiler der Haushalts- und Finanzplanung der Regierung bricht in sich zusammen.“ urteilte der CDU-Vorsitzende und Oppositionsführer Friedrich Merz zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. 60 Milliarden Euro haben sich quasi über Nacht in der Luft aufgelöst. 2021 hatte der Bundestag diese Summe für Kredite zur Bewältigung der Corona-Krise bewilligt. Das Geld wurde nicht gebraucht, die Ampel wollte es nachträglich für Klima-Investitionen nutzen. „Nichtig“, wie nun das höchste Gericht urteilte.
„Die Ampel wurde auf einem Verfassungsbruch errichtet.“ kommentierte Jens Spahn (CDU). Der ohnehin schon brüchigen Koalition fehle „nun vollends jede Grundlage“. Boris Rhein (CDU) brachte Neuwahlen ins Spiel. Und auch Markus Söder (CSU) frohlockte, die Ampel sei „nicht regierungsfähig“. In ersten Pressekonferenzen gaben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betont lässig. Es „gebietet sich eine sorgfältige Betrachtung“, sagte der Kanzler lapidar. Alles nur Propaganda der Union? Oder könnte die Regierung tatsächlich auseinanderfliegen? Das Urteil aus Karlsruhe stellt die Ampel „vor ihre schwerste Zerreißprobe“, wie ein Kommentator auf T-Online meint.
Politisches Urteil des Verfassungsgerichts
Die Schärfe des Angriffs und die mediale Inszenierung können den Schluss zulassen, dass die Union auf eine politische Unterwerfung oder einen Sturz der Regierung hinarbeitet. Es geht ihr nicht mehr um „konstruktive Opposition“, wie Merz noch Ende 2022 beteuert hatte. Nach monatelangem medialem Dauerfeuer gegen Heizungsgesetz und Migrationspolitik tritt die Union nun der Ampel die Finanzierung unter den Füßen weg. Das Verfassungsgericht spielt dabei willige Erfüllungsgehilfin. Die Richter:innen argumentierten, die Kredite für den Klima- und Transformationsfonds widersprächen der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse. In dieser Logik könnten weitere Sonderhaushalte der Regierung vor dem Aus stehen. So prüft die CDU/CSU bereits, ob auch der Wirtschafts-Stabilisierungsfonds in Höhe von 200 Milliarden Euro rechtswidrig ist, den die Ampel im vergangenen Jahr als Antwort auf die gestiegenen Strom- und Gaspreise verabschiedete.
In Notsituationen ist die Aufstellung von Sonderhaushalten neben dem regulären Bundeshaushalt gar nicht ungewöhnlich, so etwa zur Corona-Krise. Es ist jedoch eine höchst politische Frage, wann es sich um Krisen handelt, die solche Maßnahmen rechtfertigen. Mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden hat die Union kein Problem. Sie drängte bei dessen Verabschiedung im Juni 2022 darauf, den Verwendungszweck für das Militär im Grundgesetz festzuhalten. Ein geschicktes Manöver, das es der Union nun erlaubt, gegen ihr unliebsame Kredite zu klagen. Bei dem Urteil aus Karlsruhe handelt es sich nicht einfach um eine formale Korrektur der Finanzpolitik der Regierung. Das Verfassungsgericht hat eine politische Entscheidung im Sinne der Union getroffen, die die Grundlage der Ampel in Frage stellt.
Ein Schlag gegen die Klimapolitik der Grünen
Der Angriff der Union richtet sich nicht zufällig gegen den Klima- und Transformationsfonds. Er bildet das Herzstück der Klima- und Wirtschaftspolitik aus Habecks Ministerium. 19 Milliarden Euro sollten für die Gebäudesanierung zur Verfügung stehen. Dazu zählen auch Fördermaßnahmen für den Heizungstausch. Gegen das zugrunde liegende Heizungsgesetz machte die rechte Opposition monatelang Stimmung. 12,5 Milliarden Euro waren für die Sanierung der Bahn geplant. Der Wegfall dieser Gelder könnte der nächste schwere Schlag für den öffentlichen Personenverkehr bedeuten, nachdem sich Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) weigert, die Finanzierung für das Deutschlandticket aufrechtzuerhalten. Einmal mehr scheinen sich die Interessen der Automobillobbys durchzusetzen, die sich an der Konkurrenz Bahn stören. Das Urteil des Verfassungsgerichts ist damit auch ein Ausdruck des Machtkampfes zwischen zwei Flügeln der Bourgeoisie: Die Vision des „grünen“ Kapitalismus von Robert Habeck hat gegenüber der fossilen Bourgeoisie, die auf Gas und Öl setzt, einen schweren Rückschlag erlitten. Auch weitere Subventionen sind mit dem Urteil fraglich: So die 10 Milliarden Euro für Intel für den Bau einer Chipfabrik in Magdeburg oder die Förderungen für die Stahlindustrie, deren Produktion auf CO2-neutralen Wasserstoff umgerüstet werden sollte.
Aktuell heißt es aus dem Wirtschaftsministerium, dass die rechtsgültigen Verträge für Subventionen eingehalten würden, auch die Gebäudesanierung solle nicht gestoppt werden. Es ist jedoch höchst fraglich, wo die Gelder sonst herkommen sollen. Der reguläre Haushalt ist eng geknüpft. Bei den Verhandlungen kam es zu heftigen Streits zwischen Grünen und FDP. Die Kindergrundsicherung, das soziale Prestigeprojekt der Ampel, fiel fast komplett der Sparpolitik zum Opfer. Der FDP kann das Urteil für die Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition durchaus gelegen kommen. Zwar steht ihr Finanzminister Christian Lindner mit im Zentrum der Kritik für seine Haushaltsplanung. Doch ist sein Mantra für eine harte Sparpolitik gestärkt. FDP-Fraktionschef Christian Dürr lobte, dass die „Schuldenbremse gehärtet“ worden sei. Demnach dürfen die Auseinandersetzungen um Kürzungen in eine neue Runde gehen. Neben dem Klima-Investitionen könnten auch weiter Gelder im Sozialen Bereich gestrichen werden. Ein neuer Belastungstest für die Regierung.
Türöffner für die nächsten Rechtsrucks der Ampel
Söder hatte im Oktober die SPD bereits aufgefordert, mit den Grünen und der FDP zu brechen und mit der Union eine Koalition einzugehen. Er glaube nicht, dass die Regierung in der Lage sei, das „Kernproblem“ der Migration zu lösen; unter einer „Lösung“ versteht er einen Aufnahmestopp. Neben der Klimapolitik liegt hier das zweite große Schwachstelle der Ampel. In den vergangenen Monaten hatte sie bereits umfangreiche rassistische Gesetze erlassen und mit dem „Deutschlandpakt“ versucht, die Unterstützung der Union einzuholen. Selbst in ihrer Rhetorik bliebt zuletzt nichts mehr von einem humanitären Anspruch übrig, es folgte eine vollständige Kapitulation vor der rechten Hetze.
Bei Umfragen sprachen sich zuletzt 41 Prozent der Befragten für Neuwahlen aus, gegenüber 32 Prozent, die einen Fortbestand der Koalition befürworteten. Noch ist die Ampel nicht tot, aber das Urteil aus Karlsruhe bedeutet den Sprung von einer unterschwelligen zu einer offenen Krise. Ihr bleiben nicht viele Optionen: Eine Aussetzung der Schuldenbremse wird mit FDP und Union nicht zu machen sein. Steuererhöhungen lehnt die FDP ebenso ab. Die Neuaufnahme von Krediten dürfte nur mit begründeten Notsituationen möglich sein, wozu es die Unterstützung der Union bräuchte. Nach dem Gerichtsurteil wird sie sich aber kaum noch mit halbgaren Kompromissen zufrieden geben. Sie hat Habeck mit der ihr verhassten Klimapolitik an die Wand gedrückt, sie hat keinen Grund, ihn jetzt aus dem Schwitzkasten zu lassen.
Die Ampel wird in den kommenden Wochen verzweifelt jeden Strohhalm suchen, sich aus der Situation herauszuwinden. Sie wird die Union anbetteln, ihr irgendwo entgegenzukommen. Doch ihre Kräfte sind schwächer denn je, ein Bruch der Regierung ist nicht ausgeschlossen. Um sich zu retten, muss sie noch weiter nach rechts rücken, bei Abschiebungen, bei Sozialkürzungen und in der Militarisierung. Für Klimapolitik wird der Spielraum hingegen dünn. Das Urteil von Karlsruhe muss damit eine Warnung an die Arbeiter:innenklasse sein, dass sich weitere Angriffe auf ihre Lebensbedingungen ankündigen.
Der Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will eine „kriegstüchtige Gesellschaft“. Wenn es um Aufrüstung und Waffenexporte in die Ukraine und an Israel geht, sind sich Ampel und Union doch sehr einig. Dagegen gilt es, in den aktuellen Streikrunden dagegen zu halten: Bei den TV-L-Streiks gegen Einsparungen im Öffentlichen Dienst und bei der Bildung; bei den GDL-Streiks für Investitionen in die Zukunftsfähigkeit der Bahn; bei der kommenden Stahl-Tarifrunde für eine klimaneutrale Umstellung der Industrie unter Kontrolle der Beschäftigten, für Verstaatlichungen statt Milliarden-Subventionen für Konzerne. Es braucht Mobilisierungen der Linken und Gewerkschaften gegen den Rechtsruck, Militarisierung und die Kürzungspolitik.