Hammer, Sichel & Regenbogen

10.09.2015, Lesezeit 10 Min.
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// LGBT*: Weltweit sehen sich LGBT*-Menschen vermehrt Angriffen ausgesetzt. Hierzulande manifestiert sich das etwa im „Marsch für das Leben“. Welche revolutionären Antworten muss es darauf geben und wie können die Forderungen der LGBT*-Bewegung durchgesetzt werden? //

In den letzten Jahrzehnten hat die LGBT*-Bewegung1 sehr viel erreicht: So wurden Homosexualität und eingetragene homosexuelle Partnerschaften in vielen Teilen der Welt legalisiert. Homosexualität wurde international von der Liste der psychologischen Krankheiten gestrichen. In vielen Ländern wurde es möglich, das Geschlecht sowohl auf dem Ausweis zu wechseln, als auch eventuell gewollte Hormontherapien und Operationen vornehmen zu lassen – wenn auch immer noch unter diskriminierenden Bedingungen. Diese Fortschritte haben es möglich gemacht, dass mehr LGBT* ihr Leben offen um ihre sexuelle und geschlechtliche Identität gestalten und ihre Sexualität ausleben können.

Trotz dieser und anderer Fortschritte sind LGBT*-Menschen selbst in Deutschland immer noch einer krassen Unterdrückung ausgesetzt: Lesbische und schwule Jugendliche haben eine vier bis sieben Mal höhere Suizidrate als ihre heterosexuellen AltersgenossInnen (die Rate von Jugendlichen, die Trans sind, liegt vermutlich noch einmal höher) und leiden vermehrt unter Mobbing. Auch gewalttätige homophobe und transphobe Übergriffe sind keine Seltenheit. Viele haben Angst, sich an ihrem Arbeitsplatz zu outen und ein Fünftel gibt an, schon am Arbeitsplatz diskriminiert worden zu sein. Außerdem sind LGBT*-Personen besonders oft von Arbeitslosigkeit betroffen. Das trifft vor allem auf Trans-Menschen zu, die dadurch sogar teilweise in die Prostitution gedrängt werden, insbesondere migrantische Trans. Es zeigt sich, dass in einer Welt der Ausbeutung die rechtliche Gleichstellung eben noch keine Gleichheit der sozialen Bedingungen bedeutet.

Reaktionäre Bewegungen überall

Gleichzeitig gibt es überall auf der Welt Bewegungen, die die erkämpften Rechte der LGBT*-Gemeinschaft zerstören wollen. In Deutschland wird das zum Beispiel sichtbar bei den Mobilisierungen der sogenannten „Besorgten Eltern“ gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg und beim „Marsch für das Leben“ in Berlin, bei dem christliche FundamentalistInnen, gemeinsam mit CDUlerInnen, AfD-Mitgliedern, PEGIDA-AnhängerInnen und Mitgliedern der rechten Szene gegen Frauenrechte und Rechte von LGBT* demonstrieren.

Das verunsicherte KleinbürgerInnentum sieht sich in der Krise in seiner Existenz bedroht und verteidigt ein reaktionäres, heteronormatives Familienideal, das ihm scheinbare Sicherheit bietet. Auch in den bürgerlichen Medien wie der FAZ wird diese reaktionäre Debatte geführt und offen die Verbannung der LGBT*-Thematik aus dem Sexualkundeunterricht gefordert. Das heteronormative Modell einer Familie mit Vater, Mutter und Kind soll mit allen Mitteln verteidigt werden – das jüngst gescheiterte Betreuungsgeld war nur ein weiterer Versuch dessen.

Der Einfluss der Kirchen ist dabei nicht zu unterschätzen. In Deutschland können kirchliche ArbeitgeberInnen sogar legal LGBT*-Menschen aufgrund ihrer Identität entlassen, unter Berufung auf ihren Sonderstatus als kirchliche Träger. Diese und viele andere Beispiele zeigen, dass man nicht von einem „linearen Wachstum der Toleranz“ gegenüber unterdrückten Gruppen ausgehen kann.

Materielle Grundlage der Unterdrückung

Im Gegenteil: Die Unterdrückung von LGBT*-Menschen ist für den Kapitalismus funktional. Einerseits benötigt er Spaltungen, um die Einheit der ArbeiterInnenklasse zu verhindern, Lohndiskriminierung durchzusetzen und die Löhne aller zu drücken. Andererseits hinterfragen Forderungen nach sexueller Freiheit und nach Freiheit der geschlechtlichen Identität in ihrer radikalen Formulierung grundlegende Institutionen des Kapitalismus, und zwar einerseits die Zweigeschlechtlichkeit und damit die geschlechtliche Arbeitsteilung und andererseits die bürgerliche Kleinfamilie.

Die unhinterfragte Existenz von zwei Geschlechtern, mit zugewiesenen Rollen innerhalb der geschlechtlichen Arbeitsteilung, ist ein grundlegendes stabilisierendes Element für den Kapitalismus, weil es das reibungslose Funktionieren der Reproduktion der Ware Arbeitskraft zu niedrigen Kosten garantiert. Die Existenz von Trans-Menschen, aber auch die Existenz gleichgeschlechtlicher Paare, hinterfragt die Stabilität dieser Geschlechter und ihrer Rollen und gefährdet damit die Selbstverständlichkeit der geschlechtlichen Arbeitsteilung.

Der Ort, an dem die Reproduktion der Arbeitskraft auch heute immer noch privilegiert stattfindet, ist die Familie. Das heutige Familienmodell ist aus dem früh- bzw. vorkapitalistischen Familienmodell entstanden, in dem die heterosexuelle Familie eine in sich abgeschlossene Produktionseinheit war, in der die Eltern und die Kinder ihre Arbeitskraft aufwenden mussten, um den Lebensunterhalt für sich und die nicht mehr arbeitsfähigen Familienmitglieder zu erstreiten. Nicht-heterosexuelles Dasein war wenn überhaupt ein Privileg der herrschenden Klassen, die nicht so sehr an diesen Zwang gebunden waren.

Mit der Industrialisierung wurde diese Produktionseinheit teilweise aufgebrochen und jedes Familienmitglied musste seine Arbeitskraft einzeln an die KapitalistInnen verkaufen. Die Familie wurde von einer Produktionseinheit tendenziell zu einer Konsumtionseinheit, in der aber auch heute noch wichtige reproduktive Arbeiten – das heißt Arbeiten, die der Wiederherstellung der Arbeitskraft dienen, wie kochen, putzen, Kinder erziehen – privilegiert geleistet werden.

Mit den Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung wurde unter anderem die Kinderarbeit verboten und die Löhne so weit erhöht, dass Familien ohne den Verkauf der Arbeitskraft der Kinder überleben konnten. In einigen Ländern setzte sich das Ein-Ernährer-Modell durch, das es Männern ermöglichte, so viel Geld zu verdienen, wie sie zum Unterhalt einer Familie benötigten. Gleichwohl sorgte dieses Modell auch für eine neue Zementierung der ökonomischen Abhängigkeit und der geschlechtlichen Arbeitsteilung.

Trotz dieser Widersprüchlichkeit waren diese Errungenschaften ein wichtiger Schritt dahin, dass auch einige Menschen der ArbeiterInnenklasse die Möglichkeit bekamen, außerhalb von heterosexuellen Beziehungen zu leben. Dies betraf vor allem weiße Männer, die nun alleine ihren Lebensunterhalt erstreiten konnten.

Kapitalismus und Familie

Dennoch: Der Kapitalismus, so wie er historisch gewachsen ist, braucht die Familie als Ort, an dem kostenlose Reproduktionsarbeit geleistet wird. Sie ist notwendig, um die Arbeitskraft der ArbeiterInnenklasse zu erhalten und die nächste Generation des Proletariats heranzuziehen. Außerdem wird durch die Institution der Familie die Frauenunterdrückung immer wieder neu reproduziert, auf die das Kapital angewiesen ist, um eine geschlechtliche Arbeitsteilung durchzusetzen, die die Frauen auch außerhalb der familiären Sphäre einer besonderen Ausbeutung unterwirft. Es existiert also ein materielles Interesse der Bourgeoisie an der Weiterexistenz der bürgerlichen Kleinfamilie, die sich rechtlich und ideologisch in der Förderung der heterosexuellen Ehe ausdrückt.

Für revolutionäre MarxistInnen muss natürlich die Forderung nach einer Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe zum Programm gehören, da damit ein weiterer Teil der strukturellen Unterdrückung gegenüber LGBT*-Menschen beseitigt wird. Wir müssen immer an der Stelle sein, um an der Seite von unterdrückten Gruppen für ihre Rechte zu streiten. Dabei dürfen wir aber kein Vertrauen in den kapitalistischen Staat haben und uns nicht davon abhalten lassen, die Frage der sexuellen Freiheit grundsätzlicher zu stellen.

Für das Leben vieler LGBT* ist die „Ehe für alle“ keine zentrale Frage, weil sie von viel krasseren Formen der Unterdrückung und Ausbeutung betroffen sind. Die Forderung der gleichgeschlechtlichen Ehe greift diese Ausbeutung und Unterdrückung nicht grundsätzlich an. Der Kapitalismus kann möglicherweise in der Lage sein, bestimmte „anständige“ Sexualitäten und Identitäten in seine Familienideologie zu integrieren, solange sie sich an die Heteronorm anpassen und damit die Reproduktionsfunktion der Familie nicht angreifen. Der Kampf gegen die Unterdrückung der großen Mehrheit der LGBT*-Menschen benötigt aber viel grundsätzlicher den Kampf gegen die Familie und damit auch gegen die Ehe selbst.

Was tun für die Befreiung?

Der Kampf für die Befreiung von LGBT* ist ein Kampf gegen rechtliche Diskriminierung, gegen Homophobie und gegen Transphobie. Es ist auch ein Kampf für die Rechte der Jugend und anderer unterdrückter Sektoren. Dabei kann sich der Kampf letztlich aber nicht auf die Erweiterung von Rechten beschränken. Denn selbst „Gleichheit vor dem Gesetz ist noch nicht Gleichheit im Leben“, wie es Wladimir Lenin ausdrückte. Die Unterdrückung von LGBT*, in der Schule, in der Uni, bei der Arbeit, in der eigenen Familie, ist vor allem eine soziale Frage. LGBT* der ArbeiterInnenklasse werden zum Beispiel besonders ausgebeutet. Ihre Unterdrückung nutzt den KapitalistInnen und wird von ihnen deshalb nicht aufgegeben werden. Der Kampf für Befreiung ist also auch notwendigerweise ein Kampf gegen Ausbeutung.

Im Kampf gegen die Familie wird sichtbar, dass Frauenbewegung, LGBT*-Bewegung und ArbeiterInnenbewegung letztlich denselben Horizont haben. Die Institution der Familie verstetigt die Frauenunterdrückung und sie hält ideologisch Homo- und Transphobie am Leben. Sie ist außerdem als zentrale Institution des Kapitalismus ein Hindernis der ArbeiterInnenklasse für ihre Befreiung. Gegen die Familie als Reproduktionseinheit im Kapitalismus müssen wir die Forderung der Vergesellschaftung der Hausarbeit stellen.

Das oben genannte zeigt, dass die LGBT*-Befreiung materiell nur durch die Zerschlagung des bürgerlichen Staates und die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln möglich ist. Echte sexuelle Freiheit und Freiheit der geschlechtlichen Identität kann für niemanden – nicht nur für LGBT* – in einer Gesellschaft des Zwangs, der Ausbeutung und der Entfremdung existieren und benötigt damit die Abschaffung des Kapitalismus. Dafür braucht es eine kämpfende Bewegung der ArbeiterInnen, LGBT*, Frauen und Jugendlichen und aller Unterdrückten.

Schon heute muss dieser Kampf auf der Straße, in den Betrieben, Gewerkschaften, Unis und Schulen geführt werden – und er muss vor allem von der ArbeiterInnenklasse geführt werden, weil sie die politische und ökonomische Kraft entfalten können, um die Herrschenden zu stürzen. Gemeinsam müssen wir uns organisieren, damit wir der Ausbeutung und Unterdrückung ein endgültiges Ende setzen können – während LGBT* natürlich gleichzeitig eigene Forderungen für ihre Befreiung aufstellen und sich dafür selbst organisieren. Es ist klar, dass der Kampf gegen die ökonomische Ausbeutung, die politische Unterdrückung und für die sexuelle Befreiung – die alle miteinander zusammenhängen – nur über den Weg der sozialistischen Revolution führen kann.

Fußnoten

1. Die Abkürzung LGBT* steht für „Lesbian, Gay, Bisexuell und Trans“ – das Sternchen steht für diejenigen Menschen, die sich in keiner dieser Definitionen einordnen, aber auch nicht der Heteronorm entsprechen. Trans-Menschen sind Menschen, die sich nicht (oder nicht ausschließlich) mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei ihrer Geburt zugewiesen wurde.

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