Hamburgs Gefahrenzone

16.03.2014, Lesezeit 10 Min.
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// Probeauftritte eines selbstbewussteren deutschen Imperialismus im Inneren //

Hamburg an einem kalten Januarabend. Im flackernden Licht einer alten Straßenlaterne huscht ein dunkler Schatten durch die Häuserzeilen. Plötzlich heulen Sirenen auf, Blaulicht zerreißt die Dunkelheit. PolizistInnen stürzen sich auf den Schatten und drücken ihn an die Wand. Einer reißt den großen Rucksack des Schurken an sich. Mit zitternder Hand zieht er den Reißverschluss auf und beginnt darin zu wühlen. Plötzlich scheint er etwas gefunden zu haben. Zum Vorschein kommt – eine strahlend weiße Klobürste.

Als diese Szene im deutschen Fernsehen gesendet wurde, lachte die Öffentlichkeit laut über die Hamburger Polizei. Doch wie konnte es dazu kommen?

Was bisher geschah: Durch Hamburg tobt ein politischer Sturm, der in der letzten Hälfte von 2013 ordentlich an Fahrt aufgenommen hat. Seit April des Jahres organisieren sich vornehmlich AfrikanerInnen in der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ gegen die rassistische Politik des deutschen Staates. Sie lebten als migrantische ArbeiterInnen in Libyen und mussten infolge des imperialistischen Angriffskrieges nach Europa flüchten. Die unnachgiebige Haltung des Senats entfachte einen breiten Unmut in der Hamburger Bevölkerung, was schließlich am 12. Dezember zum ersten Schulstreik in Solidarität mit den Geflüchteten führte.

Dies kombinierte sich mit dem in Hamburg immer schwerer wiegenden Problem der Gentrifizierung. Exemplarisch dafür war die Kontroverse um die Esso-Häuser in Sankt Pauli, die die Bayerische Hausbau GmbH 2009 gekauft hatte, um sie abreißen und durch hochpreisige Neubauten ersetzen zu können. Begleitet wurde dies durch die seit Jahren laufenden Konflikte um die Rote Flora. Das legendäre besetzte Kulturzentrum im Schanzenviertel will der Eigentümer Klausmartin Kretschmer endlich gewinnbringend verkaufen, nachdem er es im Jahre 2001 vom damals rot-grünen Senat über die Köpfe der BesetzerInnen hinweg gekauft hatte.

Ausschreitungen am 21. Dezember

Am 21. Dezember führte all das zu einer Demonstration, die sowohl den Erhalt von Esso-Häusern und Roter Flora wie auch die Erfüllung der Forderungen der Geflüchteten forderte. Nach nur wenigen Minuten stoppte die Polizei den Demonstrationszug und die schwersten gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei in Hamburg seit Jahren begannen. Bilanz des Tages: 150 (angeblich) verletzte PolizistInnen und über 500 verletzte DemonstrantInnen.

Bürgerliche Presse und Politik, im Einklang mit den „Gewerkschaften“ der Polizei, begannen nun eine große Kampagne gegen „linksextremistische Gewalttäter“ – allerdings war die Situation so offensichtlich, dass mehrere bürgerliche Medien zugeben mussten, dass die Gewalt im Ursprung von der Polizei ausging. Die taz schrieb: „Zu viel deutet darauf hin, dass die Konfrontation mit der Demonstration geplant war. […] ein Stück die Straße hinunter […] habe ein Hamburger Einsatzleiter zu einem Offizier der Bundespolizei gesagt: ‚Es läuft alles nach Plan.‘“1

Nachdem am 28. Dezember PolizistInnen auf der Reeperbahn in einer Schlägerei verletzt wurden, wurde daraus ein gezielter linker Anschlag auf die Davidwache konstruiert – womit dann die Errichtung eines Gefahrengebietes am 4. Januar gerechtfertigt wurde. Damit konnte die Polizei in großen Teilen der Hamburger Innenstadt verdachtsunabhängige Personenkontrollen durchführen, Platzverweise und Aufenthaltsverbote aussprechen. Teilweise durften AnwohnerInnen sich in ihren eigenen Nachbarschaften tagelang nicht auf den Straßen aufhalten – diese Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und die willkürlichen Personenkontrollen sind ein skandalöser Angriff auf grundlegende demokratische Rechte. Doch die Bewohner­Innen der betroffenen Stadtteile und die radikale Linke Hamburgs reagierten nicht etwa mit roher Gewalt, sondern mit satirischen Aktionen: Man verabredete sich zum Beispiel zu „Kiezspaziergängen“ in schwarzen Klamotten, während derer man in seinen Taschen kleine Plastikbeutelchen mit getrockneten Kräutern oder Mehl mitnahm – oder eben Klobürsten. Nachdem die Polizei die Zone kontinuierlich verkleinert hatte, löste sie sie schließlich am 13. Januar auf.

Besonders delikat: Der Senat, unter dessen Regentschaft der Kessel hochkocht, ist eine SPD-Alleinregierung. Diese wird seit 2011 nach einer absoluten Mehrheit der Sozialdemokratie bei den Bürgerschaftswahlen von Olaf Scholz angeführt. Der war bereits Innensenator, als der rot-grüne Senat 2001 die Flora verkaufte.

Eine neue Qualität der Repression

Es ist sicherlich keine Übertreibung, anlässlich der Angriffe auf die Demo, der folgenden medialen Hetze und des Gefahrengebietes von einer neuen Qualität der Repression in Deutschland zu sprechen. Angesichts der großen Bedeutung gerade der Proteste rund um die Esso-Häuser und die Lampedusa-Geflüchteten weit über die radikale Linke hinaus, ist es offensichtlich, dass die SPD sich als Partei der starken Hand profilieren und sich als Option für die Bourgeoisie anbieten möchte. Hier wird die Bereitschaft erklärt, die bürgerlichen Interessen gegen den Widerstand großer Teile der Bevölkerung mit Gewalt durchzusetzen – und dabei „gesellschaftliche Bündnisse“ gegen „linke Gewalt“ zu beschwören.

Dies geschieht im Schulterschluss mit den sich „Gewerkschaften“ schimpfenden Lobbyverbänden der Polizei: GdP (im DGB) und DPolG (im dbb beamtenbund und tarifunion). Bei einer „Mahnwache“ der beiden Gruppen vor dem Hamburger Rathaus erklärte Scholz seine Unterstützung. Bei der gleichen Gelegenheit sagte Parteikollege und Fraktionsvorsitzender Andreas Dressel: „Unsere Polizei hat unsere volle Solidarität. Nicht nur in Sonntagsreden.“ Dritter im Bunde aus Polizeilobby und SPD ist die Bourgeoisie. Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer forderte bei seiner Jahresansprache „das entschiedene Eintreten des wehrhaften Rechtsstaats“.2

Die Polizei selbst will dabei auch die Erweiterung ihrer Möglichkeiten proben: Auch wenn der Einsatz des Gefahrengebietes nicht neu ist (in Hamburg existieren aufgrund von „Drogenkriminalität“ zwei kleinere, dauerhafte Gefahrengebiete, in einigen Bundesländern gibt es vergleichbare Regelungen), sind doch Qualität und Quantität dessen, was die Polizei hier vom 4. -13. Januar betrieb, ungekannt. Nicht nur, dass hier über große Teile der Innenstadt einer europäischen Metropole quasi der Ausnahmezustand verhängt wurde – vor allem bedeutsam ist die politische Begründung: Die Polizei müsse repressiver werden, weil Linke die Sicherheit (vor allem der PolizistInnen selbst…) gefährdeten.

Gerade die Hamburger Boulevardzeitung MoPo tat sich als Hofberichterstatterin der Polizei hervor. Mit einer geschätzten Reichweite von 360.000 LeserInnen spielte sie eine zentrale Rolle dabei, das Gefahrengebiet zu legitimieren. Mit ihren Berichten von „stumpfer Gewalt“ von „Störern“ und den Erlebnissen der PolizistInnen bei ihrem „Horror-Einsatz“ bereitete sie propagandistisch die Maßnahmen der Polizei vor.

So sehen wir zweierlei: zum Einen eine SPD, die sich damit hervorzutun versucht, mit allen Mitteln die Interessen der herrschenden Klasse zu verteidigen – auch gegen härtesten und breitesten Widerstand; zum Andern den Versuch, den Staatsapparat, insbesondere seine Repressionsorgane, selbstständiger agieren zu lassen und das mit dem Werben um breite Unterstützung zu verbinden – über die Kanäle sämtlicher bürgerlicher Medien.

Ende Januar machte die SPD dann auch noch ein bisschen deutlicher, worum es eigentlich geht: Aus der „Allgemeinen zentralen Reserve“ der Senatskanzlei, die zur „Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der Stadt in unerwarteten und außergewöhnlichen Situationen“ dient, stellte der Senat zehn Millionen Euro außerplanmäßig der Hamburger Polizei zur Verfügung. Dies solle zur besseren Ausrüstung von Wachen und der Prügeltruppen der Bereitschaftspolizei dienen. Die Polizei soll sich also handlungsfähiger in Sachen Repression machen. Außerdem sollen Überstunden bezahlt werden (im öffentlichen Dienst werden sie mit weniger Regelarbeit ausgeglichen) und die Möglichkeiten für Beförderungen innerhalb des Apparates verbessert werden – gut bezahlt und ausgeruht prügelt es sich nun mal besser.

Bleibende Folgen?

Seit Beginn der Wirtschaftskrise sehen wir im politischen Regime der europäischen Staaten anfängliche Tendenzen zum Bonapartismus, also hin zu einem eigenständigeren Staatsapparat, der in einer Krisensituation zwischen den Klassen und ihren Fraktionen zu vermitteln versucht.3 Seien es Regierungen von „Experten“ oder solche der „nationalen Einheit“ in Italien und Griechenland, sei es die „Alternativlosigkeit“ von Merkel und Achtzig-Prozent-Regierung in Deutschland: Die herrschende Klasse versucht in den letzten Jahren immer wieder, einen stärkeren, auch eigenständigeren Staat aufzubauen. In Deutschland ist dieser Prozess trotz der Omnipräsenz Merkels angesichts der höheren sozialen und wirtschaftlichen Stabilität bisher noch nicht allzu weit fortgeschritten. Welche Rolle spielt die Situation in Hamburg dabei?

Es ist zunächst augenfällig, welche Rolle die SPD eingenommen hat. Sie hat in ihrer Geschichte zwar durchaus immer wieder bereitwillig den Bluthund für die Bourgeoisie gespielt. Doch sie konnte sich gerade in der Bundesrepublik vom Mythos des Wohlfahrtsstaats und der SPD als Partei des „Kleinen Mannes“ ernähren.

Hier hingegen hat die SPD als allein regierende Partei die politische Verantwortung für eine massive Verteidigung der bürgerlichen Ordnung auf sich genommen. Pikant ist es gerade in Hamburg, dass sie dabei in Person von Bürgermeister Scholz ihre Aufgabe als die Sorge um Recht und Ordnung definiert, angesichts der in der Stadt noch lebendigen Erinnerung an den rechtspopulistischen Innensenator Schill (dessen Günstlinge heute noch die Hamburger Polizei anführen), der sich Anfang des Jahrtausends mit „Law and Order“-Politik profilierte. Die Polizei spielt in Hamburg eher mit den Muskeln als schon am Ziel angekommen zu sein. Zwar gibt es mit den zehn Millionen Euro auch ein materielles Ergebnis der Kampagne, aber die Repressionsorgane haben keine entscheidenden neue Befugnisse gewonnen. Allerdings zeigten sie die Bereitschaft, großflächig und längerfristig Repression gegen gesellschaftliche Bewegungen auszuüben. Mit dieser Nutzung ihres Mittels „Gefahrengebiet“ sendeten sie deutliche Signale, zumal hier bei weitem nicht nur „linksextremistische Gewalttäter“, sondern eben ein großer Teil der innerstädtischen Bevölkerung Hamburgs betroffen war.

Zusammenfassend kann man sagen, dass wir hier noch keine ernsthaften Schritte des deutschen Regimes in Richtung Bonapartismus sehen. Sehr wohl aber haben die Herrschenden hier einen Präzedenzfall geschaffen. Mit der donnernden Stimme von Wasserwerfern und Druckerpresse sagt die Bourgeoisie allen, die sich gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise wehren wollen: Und seid ihr nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt!

Fußnoten

1. Magda Schneider: Staatsstreich am Schulterblatt.

2. André Zand-Vakili und Andreas Dey: Polizisten protestieren mit Mahnwache.

3. Siehe: Wladek Flakin: Was ist Bonapartismus? In: Klasse Gegen Klasse Nr. 3. Siehe auch: Juan Chingo. Ein neuer bonapartistischer Kurs in Europa. In: Klasse Gegen Klasse Nr. 2.

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