Hafenarbeiter*innen in Schweden gehen auf die Barrikaden

28.02.2017, Lesezeit 10 Min.
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Im Hafen von Göteborg befinden sich Hafenarbeiter*innen in einer längeren Auseinandersetzung mit dem Konzern APM Terminals (APMT). Im Konflikt zwischen den Mitgliedern der Schwedischen Hafenarbeiter*innen-Gewerkschaft (SHG) und der APMT wurde das Recht der Gewerkschaft auf Vertretung ihrer Mitglieder angegriffen. Außerdem ignoriert APMT schwedisches Arbeitsrecht. Der Konzern droht nun, mindestens 100 Hafenarbeiter*innen zu entlassen.

„Respektiert die Demokratie – Tarifverhandlungen und die Mehrheitsgewerkschaft.“ (Aufgenommen während des Streiks am 24. Januar. Quelle: Hamn4an, Ortsgruppe der Hafenarbeiter*innen-Gewerkschaft in Göteborg)

Laut dem Gewerkschaftsaktivisten Erik Helgeson geht es in dem Konflikt mit APMT um „Grundlegende Rechte der Gewerkschaften“. „Es geht tatsächlich um grundlegende Fragen. Wir stellen keine aggressiven Forderungen, wir verteidigen lediglich unsere Rechte und unsere Arbeitsplätze“, wie er gegenüber der Zeitung Internationalen (der Zeitschrift der schwedischen Sektion des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale) erklärte.

Der langanhaltende Konflikt begann 2015, als bei APMT in Göteborg das Management wechselte. Das neue Management zeigte früh seine Konfliktbereitschaft, indem es schwedische Gesetze zur Regelung von Tarifverhandlungen sowie Vorgaben zum Arbeitsschutz missachtete, und indem es von der Belegschaft gewählte Vertreter*innen nicht als Verhandlungspartner*innen akzeptierte. Die Bereitschaft zum Konflikt eskaliert nun in der drohenden Massenentlassung.

Seit April 2016 haben Mitglieder der SHG mehrere eintägige Streiks und kürzere Warnstreiks organisiert, außerdem verweigern sie monatelang, Überstunden zu machen. Die letzte Aktion war ein achtstündiger Streik, am 24. Januar. Für Ende Februar geplante Aktionen wurden abgesagt, um mögliche Verhandlungen nicht zu gefährden.

In diesem Konflikt steht viel auf dem Spiel. Der Hafen von Göteborg ist der größte Hafen in Skandinavien und wickelt rund die Hälfte des schwedischen Container-Verkehrs ab. APMT, der die Konzession für den Hafen Anfang 2012 erhielt, ist der weltweit drittgrößte Betreiber von Umschlagplätzen für Container und gehört zur dänischen Maersk-Gruppe, der weltweit größten Reederei für Container-Schiffe.

Der Hafen von Göteborg ist zudem eine traditionelle Hochburg der SHG (Svenska Hamnarbetarförbundet oder einfach Hamn, auf Schwedisch), welche die Mehrzahl der Hafenarbeiter*innen in ganz Schweden vertritt und rund 85 Prozent der Hafenarbeiter*innen in Göteborg organisiert.

Die Konfliktbereitschaft des Managements

Im Kern des Konflikts geht es um den Umgang des neuen Managements mit der SHG. Seit 2015 hat das neue Management angefangen, das Recht der Gewerkschaft zu untergraben, die Hafenarbeiter*innen zu vertreten. Sie haben versucht zu bestimmen, wie viele und welche Gewerkschaftsvertreter*innen an den Tarifverhandlungen teilnehmen dürfen, und Gewerkschaftsfunktionär*innen davon abzuhalten, die Mitglieder der SHG über den aktuellen Stand der Auseinandersetzung zu informieren.

Schwedische Arbeitsgesetze, Tarifverträge und Arbeitsschutzvorschriften wurden einfach ignoriert. Hafenarbeiter*innen, die Überstunden gemacht haben, erhielten keine Kompensationen. Ein erkrankter und älterer Hafenarbeiter wurde in den Verhandlungen benutzt, das Unterlassen von Streiks und weitere Zugeständnisse auszuhandeln, im Austausch für die Umschulung und die Vergabe leichterer Aufgaben, die der ältere Hafenarbeiter jedoch längst erhalten haben sollte. Dann gab es den Versuch, Aufgaben, die bisher von Hafenarbeiter*innen erledigt wurden, durch andere Teile der Belegschaft erledigen zu lassen. Gewählte Arbeitsschutzbeauftragte wurden von Arbeitsplatzrisikobewertungen und Unfalluntersuchungen ausgeschlossen. Jahresurlaub und Elternzeit wurden durch verspätete Eintragungen und rechtswidrige Verweigerung verhindert.

Doch die gewerkschaftlich organisierten Hafenarbeiter*innen ließen sich nicht einschüchtern. Die erste Runde kämpferischer Aktionen startete mit vier 24-stündigen Streiks zwischen April und Mai 2016. Am 8. November begann die Verweigerung von Überstunden und Neueinstellungen. Zwischen dem 15. und dem 18. November fanden mehrere kleine Streiks statt, mit einer Gesamtlänge von 28 Stunden.

Um den Stillstand der Verhandlungen zu durchbrechen, rief die Ortsgruppe der SHG in Göteborg für den 15. Dezember zu einer Mitglieder-Versammlung auf, in der über zwei Vorschläge abgestimmt wurde, in Absprache mit der Führung der SHG und der Internationalen Organisation der Hafenarbeiter*innen (IDC). Der erste Vorschlag beinhaltete ein Angebot gegenüber der APM Terminal, in den nächsten drei Monaten keinerlei Arbeitskampfmaßnahmen durchzuführen, wenn sie im Gegenzug zwei Dinge tun: erstens, über die Übernahme eines neuen Betriebsablaufs abzustimmen, der bereits in anderen europäischen Häfen zum Einsatz kommt und zu einer erhöhten Flexibilität und Produktivität führt, ohne die Gesamtkosten ansteigen zu lassen; zweitens, einen Handlungsrahmen zu setzen, in dem offene Fragen gelöst werden können, wie bezüglich mangelndem Arbeitsschutz, Beziehungen zum Arbeitsplatz und weiteren Fragen. Der zweite Vorschlag beinhaltete eine Fortführung des Arbeitskampfes, eine Ausweitung der momentanen Verweigerung von Überstunden, neue Streiks und ein Aufruf der IDC zu weltweiten Solidaritätsaktionen.

Die Mitgliederversammlung der lokalen Ortsgruppe der SHG in Göteborg stimmte einstimmig für die Unterstützung der beiden Vorschläge, welche daraufhin der APM Terminal am 16. Dezember vorgelegt wurden. Das Management in Göteborg versprach innerhalb einer Woche zu antworten.

Ankündigung von Entlassungen

Während die Hafenarbeiter*innen auf eine Antwort warteten, kündigte das Management neue Entlassungen an. Dazu zählte die Reduzierung der Kran-Besatzungen von neun auf acht Personen, also weniger als in anderen europäischen Standorten von APM Terminals, sowie Änderungen an der Arbeitszeit. Diese angeblichen Sparmaßnahmen würden zur Entlassung von 60 Hafenarbeiter*innen führen, darunter alle Beschäftigten mit befristeten Verträgen, sowie 24 unbefristet beschäftigte Hafenarbeiter*innen. Mittlerweile hat APMT die Zahl auf 40 unbefristet beschäftigte Hafenarbeiter*innen und sämtliche temporär Beschäftigte erhöht, insgesamt also 100 Entlassungen, was annähernd einem Drittel der Belegschaft entspricht.

Am 23. Dezember trafen sich Gewerkschaftsvertreter*innen aus Göteborg mit APMT, wo sie die formale Antwort auf die Vorschläge der Gewerkschaft erhielten: ein einseitiges Dokument, das die bisherige Position des Unternehmens wiederholte. Das Management beendete das Treffen, indem es den SHG-Vertreter*innen mitteilte, dass es ihnen nicht erlaubt sei, an den Verhandlungen zu den Kündigungen teilzunehmen, obwohl alle von den Kündigungen bedrohten Arbeiter*innen Mitglieder der SHG sind.

Die Mitglieder der SHG Göteborg reagierten auf diese Provokation zum Jahresende mit einer Verlängerung der Verweigerung von Überstunden und Neueinstellungen und einer achtstündigen Arbeitsniederlegung am 24. Januar.

Weitere Maßnahmen wurden für Ende Februar geplant. So sollte es am 21. Februar zwei vierstündige Streiks geben, einen achtstündigen Streik am 23. Februar und einstündige Solidaritätsstreiks zur Mittagszeit des selben Tages in anderen Häfen. Diese wurden allerdings am 17. Februar abgesagt, nachdem der Firmenchef von APMT, Henrik Kristensen, sich zu einem Treffen mit der Führung der SHG und der IDC für den 23. Februar bereit erklärte.

Die Mitglieder der SHG haben einen beschwerlichen Weg vor sich. Neben der Konfliktbereitschaft des neuen Managements, gibt es noch zwei weiteren Hürden zu bewältigen. Die eine Hürde ist, dass die SHG nach schwedischem Recht nie an einer Tarifvereinbarung beteiligt war. Die zweite Hürde ist die Rolle der Schwedischen Transportarbeiter*innengewerkschaft, die ebenfalls einen Teil der Hafenarbeiter*innen in Schweden vertritt.

Kein Recht zur Tarifverhandlung für die Schwedische Hafenarbeiter*innengewerkschaft

Seit ihrer Gründung 1972 hat die Schwedische Hafenarbeiter*innen-Gewerkschaft nie eine Tarifvereinbarung mit den Bossen der schwedischen Häfen oer irgendeiner anderen Gesellschaft zur Verladung von Gütern abgeschlossen. Das ist zum Teil auf die Beziehungen innerhalb der schwedischen Wirtschaft zurückzuführen, welche die große alte Transportgewerkschaft, die Schwedische Transportarbeiter*innengewerkschaft (STAG – in Schweden bekannt als Svenska Transportarbetareförbundet oder einfach nur Transport) bevorzugt. Unter diesen Bedingungen besitzt die STAG den Status einer Interessenvertretung, die SHG jedoch nicht. Also selbst wenn die SHG die Mehrheit der Hafenarbeiter*innen in Schweden organisiert, schließt dennoch die STAG Tarifvereinbarung ab. (Trotz dessen haben die kämpferischen Aktionen der SHG die STAG wiederholt dazu gezwungen die Interessen aller Hafenarbeiter*innen in Schweden zu vertreten.)

Die Bosse und die STAG haben gemeinsam die SHG daran gehindert an Tarifverhandlungen mitzuwirken. Die Bosse bevorzugen es mit der STAG-Bürokratie zu verhandeln, die traditionell Abkommen abschließt, ohne vorher (oder nur unzureichend) ihre Mitglieder zu befragen. Zudem möchte die STAG ihre jüngere und kämpferischere Konkurrentin fernhalten.

Der fehlende Status der SHG als Interessenvertretung erklärt auch den Gegenvorschlag der APMT Göteborg, dass die SHG zu der bestehenden Tarifvereinbarung mit der STAG einen Zusatzvereinbarung unterschreibt. Das Management behauptet, dass sich damit viele der offen Fragen „automatisch“ klären würden. Das ist natürlich Unsinn, denn die Handlungen des Unternehmens betreffen alle Arbeiter*innen, unabhängig davon welcher Gewerkschaft sie angehören.

Die SHG lehnt es weiterhin ab, Zusatzvereinbarungen zu unterschreiben, da sie damit alle Verantwortlichkeiten und Einschränkungen einer Interessenvertretung mittragen müsste, aber im Gegenzug nur einen Teil der Rechte erhalten würde. Zum Beispiel könnte die Arbeitgeberseite ein Abkommen mit der Minderheitsgewerkschaft (STAG) abschließen und die Gewerkschaft der Zusatzvereinbarung (SHG) ignorieren, wenn ihr die Änderungen nicht gefallen. Solch eine Vereinbarung zwischen der STAG und der Arbeitgeberseite, wäre trotz der Ablehnung durch die SHG, sowohl für STAG-, wie auch für SHG-Mitglieder verbindlich. Solche Zusatzvereinbarungen zu unterschreiben, würde bedeuten, dass die SHG sich ihres Streikrechts berauben ließe, ohne dafür wirklich etwas zu bekommen und sich mit der untergeordneten Rolle, gegenüber der interessenvertretenden Gewerkschaft STAG, zufrieden zu geben.

Die APMT Göteborg ist sich der langen Tradition der SHG, solche Zusatzvereinbarungen nicht zu unterschreiben, durchaus bewusst. Ihr Vorschlag gegenüber der SHG, dies zu tun, soll lediglich ihren Unwillen zur Verhandlung kaschieren.

Die SHG kämpft für ihren Status einer Interessenvertretung in der landesweiten Vereinbarung und hat fortwährend eine Lösung vorgeschlagen, dass die Gewerkschaft die Verträge zwischen dem schwedischen Arbeitergeberverband der Häfen und der STAG mitunterzeichnet. Dieser Vorschlag wird sowohl von Arbeitgeberseite als auch von der STAG weiterhin abgelehnt.

STAG-Führung erreicht neuen Tiefpunkt

Die Rivalität zwischen der SHG und der STAG war zwischenzeitlich außerordentlich rau. Diese Rivalität begann mit der Gründung der SHG 1972, nachdem 1.000 rebellische Hafenarbeiter*innen aus der STAG ausgeschlossen wurden. Die Mitgliedschaft der SHG im International Dockworkers Council (IDC) und die Mitgliedschaft der STAG in der International Transport Workers Federation (ITF) erschwerte die Angelegenheit zusätzlich.

APMT hat versucht, sich diese Rivalität zunutze zu machen, indem sie fälschlicherweise behaupteten, die Ursache der Streitigkeiten wären in Wahrheit Konflikte zwischen den Gewerkschaften, trotz der Tatsache, dass lokale Vertreter*innen beider Gewerkschaften gemeinsam verhandeln und als Einheitsfront agieren.

Eine Erklärung des STAG-Präsidenten Lars Lindgren vom 8. November 2016 unterminiert diese gemeinsame Front. In der Erklärung, die die SHG wiederum als „neuen Tiefpunkt“ beschreibt, heißt es: “Die APMT hält sich an schwedisches Recht und folgt den Regeln im Umgang mit ihrem offiziellen Gegenpart, der STAG. Die APMT ist nicht besser oder schlechter als jeder andere Hafenbetreiber in Schweden.“ Dass das lokale Management von APMT mehrmals gegen Gesetze zur Regelung von Urlaubszeiten für Arbeiter*innen und der Elternzeit verstoßen hat und dass APMT in ganz Europa bekannt ist für ihre gewerkschaftsfeindliche Politik, scheint für Lindgren nicht von Bedeutung zu sein. Eine weitere Erklärung von STAG einige Tage später spricht sich gegen eine weitere Beteiligung von gewählten SHG-Vertreter*innen an Fragen zum Arbeitsschutz aus. Beide Erklärungen wurden aber wieder von der STAG-Webseite entfernt.

Lindgrens Erklärung spielte dem örtlichen Management von APMT so gut in die Hände, dass sie einzelne Passagen davon in einer Erklärung wiedergaben, die sie an Kund*innen von APMT verschickten. Die Kehrseite der Medaille ist, dass einige STAG-Mitglieder darüber so empört waren, dass sie ihre örtlichen Zuständigen telefonisch direkt damit konfrontierten, während andere endgültig resignierten und der SHG beitraten.

Die schwedischen Hafenarbeiter*innen brauchen unsere Solidarität

Es sieht so aus, als als würde der Schwedischen Hafenarbeiter*innen-Gewerkschaft ein langer Kampf bevorstehen. APMT Göteborg droht mit der Entlassung von hundert Hafenarbeiter*innen und verwehrt ihnen gewerkschaftliche Vertretung während der Verhandlungen. Die SHG hat sechs grundlegende Forderungen aufgestellt, um den Konflikt erfolgreich beizulegen: Die APMT muss grundlegende Gewerkschaftsrechte garantieren; die Rechtsprechung und den Wunsch zum Erhalt der Arbeitsplätze der Hafenarbeiter*innen respektieren; bestehende Vereinbarungen anerkennen; aufhören erkrankte und ältere Arbeiter*innen als Verhandlungsmasse zu benutzen; die Zusammenarbeit beim Arbeitsschutz wieder herstellen; und Gesetze und Verträge, bestehende gültige Gesetze und Vereinbarungen zur Regelung zum Urlaub und zur Elternzeit anerkennen.

Die Mitglieder der Schwedischen Hafenarbeiter*innen-Gewerkschaft benötigen unsere internationale Solidarität im Kampf gegen die geplanten Entlassungen und die gewerkschaftsfeindliche Agenda der APMT Göteborg.

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Unterstützt die kämpfenden Hafenarbeiter*innen!

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SHG Göteborg (Hamn4an) Facebook-Seite

Dieser Artikel erschien am 23. Februar bei Left Voice.

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