„Habt keine Angst, für euer Recht zu kämpfen“
In Hamburg haben Kolleg:innen vor einigen Wochen einen offenen Brief gegen die Annahme des Schlichtungsergebnisses im öffentlichen Dienst verfasst. Wir haben mit ihnen über das Ergebnis geredet und was ihrer Meinung nach notwendig wäre, um Gewerkschaften wieder zu kämpferischen Organisationen im Dienst der Arbeiter:innen zu machen.
Das Interview haben wir geführt mit: Rene Scheffler, FHG Gruppe, ver.di Hamburg // Katharina Doll, Vertrauensfrau Elbkinder, ver.di Hamburg // Patrick Berndt, Vertrauensmann Hamburg Port Authority, ver.di
Ihr habt ja bereits mit einer Unterschriftenliste zur Ablehnung des Schlichtungsergebnisses aufgerufen. Wie bewertet ihr das Ergebnis, was am Samstag den Kolleg:innen vorgelegt wurde?
Rene: Das Ergebnis der Unterschriftenliste spiegelt in Kurzform das wider, was die Kollegen über das Schlichtungsergebnis denken. Es ist schlichtweg eine Nullnummer. Dieses Jahr gehen wir mit einer Nullrunde nach Hause.
Patrick: Es ist simpel gesagt einfach schlecht. Die letzte Reallohnerhöhung war im April 2022. Das heißt, wenn 2024 erst die nächste Reallohnerhöhung stattfindet, verlieren wir 2 Jahre Geld durch die Inflation. Die gesplittete Einmalzahlung soll da zwar drüber hinwegtäuschen, allerdings ist sie einfach 0 nachhaltig.
Mehrere Hundert Leute haben eure Unterschriftenliste unterzeichnet aus dem Krankenhaus, dem Hafen usw. Wie läuft die Vernetzung unter den Kolleg:innen? Gibt es einen Austausch über die Sektoren hinweg?
Patrick: Durch die verschiedenen Streiks der letzten Monate haben wir viele Kontakte geknüpft. Viele von uns sind derselben Meinung, dass wir nur gemeinsam eine starke Position gegen die Arbeitgeber aufstellen können, auch wenn wir nicht alle in demselben Tarifvertrag sind.
Rene: Es sind viele Kollegen aus verschiedenen Bereichen in Kontakt. Sei es HPA, Elbkinder, Müllbetriebe, Krankenhäuser, Lotsen, Flughafen etc.
Die ver.di-Führung präsentiert das Ergebnis als Erfolg. Doch gerade auf social media und auch in vielen Betrieben zeigen viele Kolleg:innen ihre Unzufriedenheit. Wie ist die Stimmung in Hamburg und schlagt ihr den Kolleg:innen vor, die gegen das Ergebnis sind?
Patrick: Die Stimmung ist leider durchwachsen. Viele, mit denen ich gesprochen habe, lehnen das Angebot ab und werden mit Nein stimmen. Allerdings scheint es auch so, dass viele Leute Angst vor einem längeren Erzwingungsstreik haben. Ich kann nur jedem raten: Stimmt mit „Nein“. Habt keine Angst davor, für euer Recht zu kämpfen.
Rene: In meinem Bereich ist die Stimmung im Allgemeinen sehr enttäuscht, da die ver.di sagte, dass wir für unsere aufgestellten Forderungen kämpfen werden. Es ist so, dass man denkt, ver.di hat der Mut verlassen zu kämpfen und geht lieber Kompromisse ein.
In Berlin hat sich die Delegiertenversammlung gegen das Schlichtungsergebnis positioniert. Das ist zwar nicht bindend für die BTK, aber schon ein Schritt nach vorne. Gibt es in Hamburg auch vergleichbare Strukturen von Beschäftigten oder zumindest Ansätze davon in den Betrieben, die über das Ergebnis diskutieren?
Kathi: In Hamburg hat es an zwei Terminen Arbeitsstreiks gegeben, auf denen sich Kolleginnen und Kollegen aller Bereiche über den Streik ausgetauscht haben. An beiden Terminen war die Stimmung, egal welche Bereiche man sich ansieht – Flughafen, Lotsenversetzer, Hafen, Kindergärten, Krankenhäuser, Stadtreinigung – eindeutig: Wir wollen keine Prämienzahlung, die statt einer Lohnerhöhung ausgezahlt wird. Wenn das im Raum steht, wollen wir den Streik!
Kollegen und Vertrauensleute aller Bereiche haben sich zu Wort gemeldet und diese Forderung bekräftigt. Unter uns hat absolute Einigkeit an dieser Frage geherrscht!
Gerade auch deshalb fragen wir uns, wie es in der Bundestarifkommission zu einer so hohen Zustimmung für ein Ergebnis kommen konnte, das wir ausdrücklich nicht wollten.
Ich finde, das macht ganz deutlich, dass wir viel häufiger bereichsübergreifende Streikversammlungen, und viel direktere demokratische Entschlüsse der Kollegen und der Streikdelegierten über Verhandlungsergebnisse brauchen, die auch mit einer 50%-Mehrheit für die Entscheidung bindend sind.
Viele Kolleg:innen auf social media drohen jetzt mit dem Austritt aus ver.di. Was antwortet ihr den Kolleg:innen?
Patrick: Dass ich zwar ihre Wut und ihren Frust auf das Ergebnis teile, aber ein Austritt nicht der richtige Weg ist! Die ver.di will dieses Ergebnis annehmen, weil sie nicht daran glaubt, genug Streikkraft auf die Straße zu bekommen in einem Erzwingungsstreik. Jeder, der jetzt austritt, spielt also eigentlich den Arbeitgebern in die Hände, da es diesen Glauben noch unterstützt. Jeder, der einen besseren Abschluss will, muss verstehen, dass es nur geht, wenn mehr Leute auf die Straße gehen und für ihr Recht kämpfen.
Kathi: Deshalb tun wir in unseren Betrieben ja auch alles, um die Kollegen zu organisieren. In diesem Jahr sind mehr als 80.000 Neumitglieder in die ver.di eingetreten – ein eindeutiger Aufruf zum Kampf! Als Gewerkschaftsmitglieder müssen wir nun auch dafür sorgen, dass diese Kampfkraft auch dazu genutzt wird, eine entschlossenere Kampfstrategie zu verfolgen. Es ist ganz eindeutig, dass derzeit die höchsten Reallohnverluste seit Bestehen der BRD anstehen. Es ist völliger Mumpitz, in einer solchen Situation von einem „historischen Abschluss“ zu reden oder von „viel Geld für die Beschäftigten“, wie die publik titelt. So etwas verärgert die Beschäftigten. Nur wenn wir streiken, wie es die Kollegen in Frankreich tun, können wir die Angriffe der Bosse auf unseren Lebensstandard zurückschlagen.
Rene: Wir müssen zusammenhalten, denn wenn wir alle austreten, sind nur Ja-Sager da, die jedem Ergebnis zustimmen. Sprich: Wir müssen gemeinsam einen Weg finden, die Kampfbereitschaft von ver.di wieder dahin zu bringen, wo sie eigentlich sein sollte. Wir müssen die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder durchsetzen, ohne anderen Interessen Priorität zu geben. So gesehen dürfen wir kein Ergebnis feiern, das so schlecht ist wie der vorgelegte Abschluss. Mal als Beispiel: Ver.di forderte 500 € auf 12 Monate. Bei Entgeltgruppe 4-4 sind es aber nur 180 Euro auf 12 Monate gerechnet. Sprich es ist etwa 1/3 dessen, was ver.di gefordert hat. Für die Mitglieder ein sehr unbefriedigendes Ergebnis, und ich denke, das ist verständlich bei den immer weiter drastisch steigenden Preisen. Alle haben Angst vor der Zukunft. Die ver.di muss mehr auf die Gewerkschaftsmitglieder zugehen, auf sie hören und danach handeln.
Insgesamt ziehen sich solche schlechten Ergebnisse durch die Tarifrunden der letzten Monate. Was braucht es eurer Meinung nach in den Betrieben, um in Zukunft die Kämpfe stärker im Interesse der Kolleg:innen zu führen?
Patrick: So dumm es auch klingt, es braucht mehr Einsatzbereitschaft. Gerade die Kolleg:innen, die zwar in der Gewerkschaft sind, aber sich nicht an den Maßnahmen beteiligen, müssen einsehen, dass ihr Verhalten genauso schädlich für unsere Sache ist wie das derjenigen, die nicht organisiert sind. In der HPA gibt es ca. 500 organisierte Mitglieder, von denen gerade mal 254 gestreikt haben. Wenn das in allen anderen Bereichen genauso ist, kann man sagen, dass da noch ein sehr viel längerer Hebel war, den wir hätten nutzen können.
Kathi: Wir hatten in den vergangenen Wochen ja auch viele Probleme mit Streikbruch in Hamburg. Auch das gehört zu einer entschlosseneren Kampfstrategie der Gewerkschaften – endlich wieder resoluter und organisierter gegen Streikbrecherei vorzugehen. Dass Blockaden an den Werkstoren und im Hafen organisiert werden, nicht nur von Beschäftigten, sondern auch breit mobilisiert von Nachbarn, Schülern und Studenten, ist das Mindeste. Das haben wir ehemals beim Becherhersteller Neupack gemacht, und das können wir wieder tun!
Denn eines ist doch offensichtlich: Die kapitalistischen Verhältnisse werden in den nächsten Monaten dazu führen, dass breite Teile der arbeitenden Bevölkerung und Jugend immer stärker verarmen. Wer darauf vertraut, dass Arbeitgeber und Ampelregierung uns dabei irgendwie helfen, hat den Schuss nicht gehört. Nur wenn wir uns direkt organisieren, gemeinsam auf die Straße gehen und kämpfen, wird sich etwas für uns ändern!