Guerillaaktionen im Laden
// GewerkschafterInnen im Einzelhandel bereiten die nächste Tarifrunde vor //
In Riesenlettern stand es im Ladenfenster: „50 Prozent Reduzierung…“ Deutlich kleiner war auf dem Plakat zu lesen: „… des Personals“. Denn es war ein Streiktag im Einzelhandel, und die Beschäftigten standen vor der Tür. Die StreikbrecherInnen waren an dem Tag ohnehin überfordert – und mussten den KundInnen zusätzlich erklären, dass nicht die Preise um 50 Prozent reduziert waren.
Wegen kreativer Aktionsformen wie dieser wird der Arbeitskampf 2013 im Einzelhandel bei vielen GewerkschafterInnen in Erinnerung geblieben sein. Manche Beschäftigte hatten bis zu 100 Streiktage gesammelt, und während eines halben Jahres wurde mit verschiedenen „Guerillaaktionen“ experimentiert.
Das Ergebnis der letzten Streikrunde war gemischt. Der Manteltarifvertrag konnte verteidigt werden, aber dafür wurde eine neue Niedriglohngruppe eingeführt. Beschäftigte, die ausschließlich Waren verräumen, müssen statt 11,16 Euro nur noch 9,74 Euro pro Stunde bezahlt werden. Die Idee war, dass Unternehmen, die Verräumtätigkeiten an Werkvertragsfirmen ausgelagert hatten, diese Jobs dank Niedriglohn zurück in die Stammbelegschaft holen würden. „Das ist nicht wirklich passiert“, erläuterte Thomas Sielemann, Betriebsrat beim Buchhändler Thalia. „Es ist eher so, dass Firmen, die bisher keine Werkverträge hatten, nun Menschen in der Niedriglohngruppe einstellen.“
Zum 30. Juni wurde der Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel gekündigt – und die Berliner Betriebsgruppen von ver.di, genauso wie viele BetriebsaktivistInnen im ganzen Land, bereiten sich auf die nächste Runde vor. Über die künftige Eingruppierung wird bereits gestritten. Deswegen haben am Mittwoch Kollegen in der Berliner ver.di-Zentrale Erfahrungen aus dem letzten Streik ausgetauscht, um den nächsten vorzubereiten.
Wegen des niedrigen Organisierungsgrades im Einzelhandel ist die Solidarität aus anderen Berufsgruppen besonders wichtig. 2013 haben Betriebsräte aus der Metallindustrie in einem bestreikten Kaufhaus massenweise Schuhe anprobiert, um den Verkauf zu stören, während Studierende gleich eine H&M Filiale besetzten.
„Die Kollegen haben sich wahnsinnig selbst überwunden“, erinnert sich Jan Richter, damals Betriebsrat bei der Modekette H&M. Weibliche Kolleginnen – und die meisten im Einzelhandel Beschäftigten sind Frauen –, die am Anfang des Streiks eher schüchtern wirkten, konnten nach einigen Wochen Arbeitskampf selbstbewusst PassantInnen agitieren. Dazu ist es wichtig, dass die Streikenden auch über den Verlauf des Streiks aktiv auf Versammlungen diskutieren können.
„Wir müssen die Kunden irgendwie entertainen“, erklärte Kim Lange, Betriebsrätin bei H&M. Neben Flugblattverteilen könne man auch Straßentheater über Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie oder Kundgebungen mit Kaffee und Kuchen machen. Und solche Aktionen schweißten die Belegschaft zusammen. „Die Leute waren geflasht“, erinnert sich die Gewerkschafterin, „zum Beispiel, als wir selbst Schilder gemalt haben“.
Die Erfahrungen der letzten Runde zeigen außerdem: UnterstützerInnen, die nicht zum Betrieb oder zur Gewerkschaft gehören, können auch eine wichtige Rolle spielen, wenn sie zum Beispiel in einem Einkaufszentrum für etwas Unruhe sorgen.
Es ist gut möglich, dass die Streiks im Einzelhandel parallel zu anderen großen Arbeitskämpfen von ver.di stattfinden, etwa im Sozial- und Erziehungsdienst oder beim Onlinehändler Amazon. Auch dann ist die Solidarität unter den Kollegen der verschiedenen Branchen wichtig.