Großdemonstration: Warum sich eine Antikriegsbewegung nicht für Waffen und Aufrüstung einsetzen darf
Eine halbe Million gingen gestern in Berlin für den Frieden auf die Straße. Die Stimmung war gegen den Krieg, aber für Sanktionen - und zu neuen Militärausgaben wurde geschwiegen. Eine strategische Debatte mit der Antikriegsbewegung.
Der vergangene Sonntag war ein historischer Tag in der Geschichte der Bundesrepublik. Die riesigen Demonstrationen gegen den Irakkrieg liegen inzwischen 18 Jahre zurück. Damals demonstrierten mehr als eine halbe Million gegen eine deutsche Beteiligung an dem Krieg und gegen die Kriegstreiberei westlicher Imperialismen.
Gestern Nachmittag gingen nun erneut mehrere hunderttausend Menschen in der Hauptstadt auf die Straße – mit der Intention, für Frieden in der Ukraine zu demonstrieren. Doch ist dieser Sonntag letztendlich ein äußerst bitterer Tag für die Arbeiter:innenklasse und die internationale Solidarität gewesen, da sich auf der Kundgebung so gut wie niemand gegen die Militarisierung Deutschlands stellte.
Die Straße des 17. Juni war zwar voll, doch war das Bild dieser Friedensdemo eines, das von mehreren Widersprüchen geprägt war. Neben einem blau-gelben Fahnenmeer waren überall Flaggen der Europäischen Union zu sichten. In den Reden wurde gleichzeitig – richtigerweise – von der Aufnahme von Geflüchteten aber auch von der „demokratischen EU“ gesprochen. Zynischer geht es kaum, wenn man beispielsweise Verbrechen der EU gegenüber Geflüchteten bedenkt oder in Betracht zieht, dass es Migrant:innen momentan unmöglich gemacht wird, aus der Ukraine auszureisen. Am Nicht-Thematisieren dieser Heuchlerei, ist das rassistische Weltbild der Organisator:innen zu erkennen.
Dieselben Akteur:innen, die die Festung Europa zu verantworten haben und mit ihrer Politik dafür sorgen, dass Geflüchtete an den Grenzen Europas in Lagern interniert werden, im Mittelmeer ertrinken oder vor Stacheldraht erfrieren, rufen jetzt zur Solidarität mit Geflüchteten auf, beispielsweise die SPD. Solidarität und Sympathie scheint dabei nur denjenigen zu gelten, die weiß, europäisch und nicht muslimisch sind. Auch die westliche Presse verbreitet diesen Rassismus, so sprach ein ukrainischer Politiker und Staatsanwalt im BBC Interview davon wie schrecklich es sei für ihn zu sehen wie „europäische, blauäugige und blonde Menschen getötet werden“. Auch bezeichnend für den in Teilen chauvinistischen Charakter der Demonstration war die hohe Präsenz von geschichtsrevisionistischen Plakaten, die Putin mit Hitler oder der NS-Diktatur gleichsetzen.
Nationale Einheit wiederhergestellt – DGB, PdL und NGOs Kompliz:innen
Auch wenn es einigen Teilnehmer:innen besonders negativ aufgestoßen ist, kann das Bild, das eine Demonstration abgibt, natürlich nicht der Fokus einer Kritik sein. Im Vordergrund müssen die programmatischen Forderungen stehen, für die auf die Straße gegangen wird. In diesem Fall handelt es sich um ein Programm, das die Bildung einer Volksfront 1 zur Folge hat, die – wieder einmal – der nationalen Einheit und dem bürgerlichen Staat in Krisenzeiten dient.
Diese konnte zustande kommen, weil die Führungen der reformistischen Arbeiter:innenorganisationen zum Aufruf zu dieser Demonstration unter dem Vorwand von „nationalen Sicherheitsinteressen“ einen Burgfrieden mit Repräsentant:innen des Kapitals schlossen. Tonangebend waren zwar nicht Vertreter:innen der Bundesregierung, jedoch überließ diese ihren nicht-staatlichen Akteuren und Sozialpartnern in den Gewerkschaften sowie NGOs und politischen Bürokratien wie der Linkspartei die Überzeugungsarbeit für den militaristischen Kurs der Ampelkoalition.
Die neue deutsche Regierung wurde auf der Demo zwar mehrmals kritisiert, jedoch kamen diese Angriffe inhaltlich nicht selten von rechts. So kam es zu der verstörenden Szene, in der ver.di-Vorsitzender Frank Werneke noch härtere und weitreichende Sanktionen forderte. Sanktionen, die sich nicht erst in letzter Instanz gegen russische Arbeiter:innen richten. Kurz darauf befürwortete eine Rednerin die Entscheidung der Bundesregierung, der Ukraine Waffen zu liefern. Eine „Friedensdemo“, die eine Eskalationsspirale in Gang setzen möchte, wird keinen Frieden schaffen können, sondern für eine Zuspitzung des Konfliktes mitverantwortlich werden.
Gleichzeitig beschlossen die Vertreter:innen der Rüstungsindustrie um Olaf Scholz und seine Bundesregierung gestern Mittag eine noch nie in der Geschichte der BRD dagewesene Militarisierung. Auf der Demonstration fiel dazu kein Wort. Keine:r der Redner:innen kritisierte die Einberufung der Reservist:innen oder die Möglichkeit der Rückkehr zur Wehrpflicht. Keine:r von ihnen warnte vor einer Intervention der NATO – einige forderten sie sogar explizit ein. Doch eine Friedensbewegung muss sich klar gegen jede Aufrüstung und jede militärische Eskalation stellen. Denn wie wir an den Kriegen in Afghanistan, Syrien und dem Irak sehen können, sind diese Mittel der kapitalistischen Parteien zum Scheitern verurteilt.
Dass Nord Stream 2 auf Eis gelegt wurde, hilft der Klimabewegung nicht
Genauso muss sich eine Friedensbewegung auch gegen Sanktionen stellen. Denn auch Sanktionen verschärfen den Konflikt, weil sie der unbeteiligten russischen Bevölkerung das Leben massiv erschweren. Momentan bewirken sie schon einen eklatanten Anstieg der Inflationsrate. Das heißt: Auch wenn bestimmte Sanktionen vorgeben, nur die reiche Oligarchie zu treffen, wird dies nicht der Fall sein. Sanktionen sind der verkehrte Weg und Frieden kann man nicht durch einen imperialistischen Krieg um jeweilige Kapitalinteressen herstellen.
In ihrer Rede brachte Greenpeace selbst nach bürgerlicher Logik ein besonders wiedersprüliches Argument vor: Die Sanktionen gegen Russland seien gut für das Klima, weil sie durch das fehlende, von Russland exportierte Gas zu einem schnelleren Umstieg auf erneuerbare Energien führen. Doch die Reaktion des Brandenburger Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD) zeigt, dass das Gegenteil der Fall sein wird. Dieser stellte den Kohleausstieg 2030 aufgrund der Sanktionen infrage. Deutlich gemacht hat die Ampelregierung auch schon, dass dieses massive Hochrüsten auf dem Rücken der Arbeiter:innenklasse getragen werden soll.
Hinzu kommt der Aspekt, dass die Bundeswehr neben ihrer Funktion als imperialistische Armee des deutschen Staates zu den größten Klimakillern gehört: Mehr Waffen und Krieg schaden dem Klima, weil bei der Verwendung und Herstellung von Kriegsgerät sehr viel CO2 ausgestoßen wird. Außerdem hat die Regierung mit dem dystopisch hohen Militärhaushalt nun auch noch den perfekten Vorwand, weniger Geld für Klimaschutz bereitzustellen.
Ausgesprochen wenig Protest gegen diesen Kriegskurs im Interesse der Kapitalist:innenklasse war von der DGB-Bürokratie zu vernehmen. Bereits vor dem Antritt der neuen Bundesregierung wurde befürchtet, dass es zu einer völligen Verschmelzung zwischen dieser SPD-geführten Koalition und der Gewerkschaftsbürokratie kommen würde. Diese Befürchtung scheint jetzt, wo die Gewerkschaftsführungen sich kritiklos hinter den Kurs der deutschen Sozialdemokratie stellen, wahr geworden zu sein.
Wir hingegen rufen alle fortschrittlichen Gewerkschaftsmitglieder dazu auf, dem Kurs ihrer Führung aktiv nicht zu folgen und ihr genauso wie der Regierung mit ein antimilitaristischen Programm entgegenzustellen.
Was tun?
Nur die Arbeiter:innen können diesen Krieg beenden. Gegen Putin zu sein, darf nicht bedeuten, zum Handlanger des NATO-Imperialismus zu werden. Vielmehr braucht es, mehr denn je zuvor, eine unabhängige, antikapitalistische und internationalistische Friedensbewegung. Die Arbeiter:innen Russlands, die in wachsender Zahl gegen Krieg und das chauvinistische Putin-Regime protestieren, und dabei scharfe Repression erfahren, benötigen unsere internationale Solidarität.
Trotz alledem werden wir weiter kämpfen, hier und heute.
Lasst uns an den Orten, an denen wir sowieso sind, egal ob Schulen, Unis oder den Betriebe Anti-Krieg-Komitees aufbauen. Erst wenn wir uns selbst organisieren, können wir unsere volle Kraft entfalten. Denn niemand wird uns dann mehr eindämmen. Kein Wernecke, keine NGO und keine etablierte Partei kann uns davon abhalten, uns zu versammeln und darüber zu diskutieren, was wir gegen den Krieg in der Ukraine machen können. Gemeinsam können wir sie sogar dazu bewegen, all unsere Mitschüler:innen, Kommiliton:innen und Kolleg:innen zu tatsächlichen Friedensdemos und Streiks gegen die Waffenlieferungen und eine deutsche Beteiligung am Krieg aufzurufen.
Wir werden das aber nur mit dem richtigen Programm schaffen:
Nein zur Aufrüstung!
Russland raus aus der Ukraine!
Nieder mit der Nato und den Kriegsvorbereitungen!
Grenzen auf! Aufnahme aller Geflüchteten!
Für eine freie, unabhängige & sozialistische Ukraine!
Kommt zu unserem offenen Treffen am 5. März in Berlin. Lasst uns dort gemeinsam die aktuelle Situation im Hinblick auf den feministischen Kampftag diskutieren. Kontaktiere uns für Details!
Fußnoten
1. Trotzki zur Volksfront: Ein „Sozialist“, der die nationale Verteidigung predigt, ist kleinbürgerlicher Reaktionär im Dienste des faulelenden Kapitalismus. Während des Krieges sich nicht an den Nationalstaat ketten, sich leiten lassen nicht von der Kriegskarte, sondern der Karte des Klassenkampfes, kann nur die Partei, welche dem Nationalstaat schon in Friedenszeiten unversöhnlichen Krieg erklärt hat. Nur wenn sie die objektiv reaktionäre Rolle des imperialistischen Staates vollauf begreift, kann die proletarische Vorhut gefeit sein gegen Sozialpatriotismus aller Art. Das bedeutet: der wirkliche Bruch mit Ideologie und Politik der „nationalen Verteidigung“ ist möglich nur vom Standpunkt der internationalen proletarischen Revolution. Quelle.