Großangriff bei VW: Das Ende der Sozialpartnerschaft von oben?

14.11.2024, Lesezeit 9 Min.
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VW in der Krise. Foto: harry_nl / Flickr.com

Die drohenden Schließungen bei VW könnten den größten Angriff auf Beschäftigungsverhältnisse seit der Agenda 2010 einläuten. Es braucht einen Abwehrkampf, der sich zum Widerstand gegen eine kommende Regierung ausweitet.

Anfang der 2000er Jahre machte ein Manager des Volkswagen-Konzerns auf sich aufmerksam: An der Seite von Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier heckte Peter Hartz das nach ihm benannte Konzept zur Neuordnung des Arbeitsmarktes aus. Mit Druck auf Löhne und Sozialleistungen schuf die Hartz-Reform als Teil der Agenda 2010 zeitweise den größten Niedriglohnsektor Europas.

Zwei Dekaden später ist es wieder ein VW-Manager, der einen Großangriff plant, Oliver Blume. Mindestens drei Werke will er in Deutschland schließen. Besonders gefährdet gelten die Standorte Emden und Osnabrück, zudem Salzgitter oder Braunschweig. Zehntausende Jobs könnten wegfallen. Die Wahl von Donald Trump mit seinen angedrohten Strafzöllen dürfte VW noch tiefer in die Krise werfen. Als Grund für die Sparziele nennt er die Konkurrenz aus den USA und China sowie hohe Lohnkosten im EU-weiten Vergleich. „Unser Arbeitskostenniveau ist beispielsweise hier oftmals mehr als doppelt so hoch wie der Durchschnitt unserer europäischen Standorte“, so Blume. 

Gehälter und Zulagen sollen nach dem Willen des Vorstandes um 18 Prozent gekürzt werden. Dafür kündigte VW im September den Haustarifvertrag inklusive der Jobgarantie und der Übernahmepflicht für Azubis. Dies ist ein Signal, nicht nur an die Autobranche, sondern an die gesamte Arbeiter:innenklasse. Nachdem die Löhne schon durch die Inflation der letzten Jahre angefressen wurden, werden nun sichere Beschäftigungsverhältnisse und solide Tarife grundsätzlich in Frage gestellt. 

Die Manager stört das nicht besonders: Oliver Blume war im vergangenen Jahr mit 10,3 Millionen Euro Jahresgehalt der bestbezahlte Vorstand eines DAX-Konzerns. Selbst seinen längst nicht mehr im Dienst befindlichen Ex-Managern zahlt VW üppige Summen von insgesamt über 100 Millionen Euro jährlich. Seinen Aktionären schüttete VW letztes Jahr noch 4,5 Milliarden Euro an Dividende aus. Trotz sich abzeichnender Krise nannte Wirtschaftsminister Robert Habeck dies „nicht sonderbar“.

Wäre es nach Scholz und Habeck gegangen, hätte die Regierung massiv Steuergelder in den VW-Konzern gepumpt, um dessen Konkurrenzfähigkeit in der Elektromobilität zu sichern. Mit dem Haushaltsstreit und dem Platzen der Koalition ist diese Perspektive vom Tisch. Keine Regierung wird es sich leisten, angesichts von harter Kürzungspolitik bei gleichzeitigen Unsummen für die Aufrüstung, dem krisenhaften VW-Konzern eine Generalsanierung zu verpassen. Zumindest nicht, bevor die Belegschaft ordentlich geblutet hat. 

Ein Wunsch, den auch Friedrich Merz hegt, der das Problem darin sieht, dass in Deutschland „zu teuer produziert wird“. Ihm könnte der Angriff bei VW als Rammbock dienen, um insgesamt gegen Löhne, Renten und Arbeitsbedingungen vorzugehen und die Macht der Gewerkschaften zu schwächen. Zugleich versucht er, den Verbrennermotor als zukunftsträchtig zu verkaufen, obwohl er immer weiter an Konkurrenzfähigkeit verliert. Auch für AfD und BSW besteht die „Lösung“ darin, wieder stärker auf den Verbrenner zu setzen. Eine Vorstellung für eine grundsätzliche Mobilitätswende mit einem Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel bei gleichzeitigem Erhalt aller Arbeitsplätze haben sie nicht – dafür müsste man ja an die Profite der Konzerne ran.

Die strategische Sackgasse der IG Metall-Bürokratie

Die jetzigen Schließungsdrohungen stellen einen Paradigmenwechsel in der Führungsetage des wichtigsten Konzerns des Landes dar: Jahrelang wurden die Betriebsräte und Vertrauensleute im Co-Management bereits darauf getrimmt, die Sparvorgaben mit umzusetzen, um doch noch irgendwie die Jobs zu erhalten. Nun erfolgt also der Angriff von oben. All das Buckeln und die Opfer haben nichts gebracht. Das VW-Management geht einen Schritt, von dem es kein zurück mehr gibt: Es pfeift auf die Illusion der Sozialpartnerschaft „auf Augenhöhe“ – es erklärt Belegschaft und Gewerkschaft offen den Kampf.

Der Großangriff auf die Kernbelegschaften wird unweigerlich Konsequenzen haben für die Handlungsfähigkeit der IG Metall – und ihr ideologisches Selbstverständnis. Was bleibt von den Versprechen auf sichere und gut bezahlte Industriearbeitsplätze sowie Mitsprache im Betrieb? VW läutet das Ende der Sozialpartnerschaft von oben ein, zumindest in der Form wie wir sie jahrzehntelang kannten. Dies bedeutet nicht, dass dabei die Kollaboration der Gewerkschaftsbürokratie mit den Konzernen enden wird. 

Seit 2019 fordert die IG Metall die Förderung von E-Autos – im Schlepptau von VW, das damals verkündete, die Umstellung vom Verbrenner zur Batterie gehen zu wollen. Völlig gehorsam passte sich die Bürokratie den Vorschlägen aus der Spitze von Deutschlands wichtigsten Konzern an. Keinerlei Eigeninitiative, keine alternative Vision für einen sozial und ökologisch gestalteten Umbau der Wirtschaft.

Auch bei den weitreichenden Drohungen von VW ist es wahrscheinlich, dass die IG Metall Sozialpläne aushandeln wird. Daraus allein wird sie noch versuchen, ihre Legitimität zu schöpfen. Trotzdem könnten auch damit tausende Beschäftigte ihre Jobs verlieren, während die künftigen Generationen weniger Arbeitsplätze vorfinden, Familien entwurzelt und ganze Regionen geschwächt werden. Die Bürokratie wird nicht im Entferntesten daran denken, alle Kampfmöglichkeiten zu nutzen, um alle Arbeitsplätze zu erhalten.

Dies liegt an einem strategischen Problem der IG Metall Bürokratie, in das sie sich durch ihre Unterwürfigkeit unter das deutsche Kapital hineinmanövriert hat: In der Logik, deutsche Arbeitsplätze zu sichern, unterstützt sie außen- und wirtschaftspolitisch weitgehend den Kurs der Bourgeoisie. Zur Stärkung des „Standort Deutschlands“ in der globalen Konkurrenz verzichtet sie darauf, gegen den Kriegskurs der Bundesregierung zu positionieren. Für die Autokonzerne fordert sie Milliardensubventionen mit Steuergeldern, statt die Enteignung der Konzerne unter Kontrolle der Beschäftigten.

Kahlschlag oder Verstaatlichungen?

Der Angriff bei VW ist historisch. Aber aufgrund ihrer programmatischen Unterwürfigkeit ist die Bürokratie der IG Metall vollkommen unfähig, adäquaten Widerstand zu organisieren. Gut möglich zwar, dass sie längere Streiks durchführt, um ein halbwegs annehmbares Verhandlungsergebnis erzielen zu können. Doch sie hat keinerlei grundsätzlichere Idee, um aus dem Schlamassel herauszufinden. Mit dem Bruch der Ampel-Koalition dürfte sich nun auch die Hoffnung der IG Metall Führung zerschlagen, dass die Regierung Steuergelder zur Rettung und dem Umbau von VW bereitstellt.

Mit den Plänen bei VW setzt die Bourgeoisie zum Großangriff auf die Beschäftigungsverhältnisse an. Die kürzlich stattgefundenen Warnstreiks in der Metall- und Elektrobranche haben einen ersten Eindruck vom Kampfeswillen der IG Metall Führung gezeigt: Statt angesichts von Schließungen und Regierungskrise in die Offensive zu gehen und selbstbewusst die Verteidigung von Jobs und Löhnen einzufordern, einigte sich die Verhandlungsführung nach nur kurzer Phase der Warnstreiks auf einen Abschluss. 5,1 Prozent mehr Geld über 25 Monate soll es geben, aber vor allem soll es Ruhe geben. In der schwierigen Übergangszeit zwischen zwei Regierungen will die IG Metall offenbar der Politik keinen zusätzlichen Stress besorgen. 

Für die Beschäftigten von VW bedeutet dies nichts Gutes. Die Bürokratie könnte noch mehr versucht sein, sich um größere Kämpfe zu drücken. Eine schwere Niederlage dürfte die Türen öffnen für eine ganze Reihe von neuen Angriffen, etwa bei den kommenden Tarifrunden im öffentlichen Dienst und bei der Post. Umfangreiche Entlassungswellen drohen auch bei den Zulieferbetrieben Bosch, ZF und Continental an sowie bei der Deutschen Bahn oder im öffentlichen Rundfunk.

Wie vor 20 Jahren gibt ein VW-Manager also das Signal für einen Großangriff. Aufgrund der katastrophalen Führung der IG Metall ist es umso notwendiger, dass die VW-Beschäftigten den Kampf in die eigenen Hände nehmen. Kämpferische Betriebsräte und Vertrauensleute müssen mit den Kolleg:innen einen Kampfplan erarbeiten, mit Streiks und weiteren Maßnahmen bis hin zu Blockaden und Besetzungen der Werke. Durch die Demokratisierung des Kampfes muss die Bürokratie von innen bekämpft und ihr die Führung entrissen werden.

Um die Belegschaft zu unterstützen, braucht es die Solidarität der gesamten Arbeiter:innenbewegung. In allen großen Betrieben sollte es Versammlungen geben, um über die Angriffe zu diskutieren und branchenübergreifend Kampfmaßnahmen vorzubereiten. In der Bevölkerung müssen Solidaritätsaktionen organisiert werden. Auf die Agenda 2010 folgten die größten Sozialproteste in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik, inklusive einer Spaltung der SPD. Es ist notwendig, dass sich auch die Kämpfe gegen die Schließungen bei VW zu einem Widerstand gegen die Kürzungspolitik insgesamt ausweiten. Die kommende Bundesregierung muss mit einer Welle von Streiks und Protesten begrüßt werden, um ihre Angriffe abzuwehren. 

Als Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) wollen wir in einem Bündnis eine Wahlkampagne zu den Bundestagswahlen machen, um Orte des Widerstandes zu schaffen. Von dort aus wollen wir solidarisch an der Seite der Kolleg:innen in der Autoindustrie und in anderen Branchen kämpfen. Dafür schlagen wir ein Programm vor, das unter anderem die Umstellung der Industrie und des Verkehrswesens nach sozialen und ökologischen Kriterien vorsieht, verbunden mit einer Verstaatlichung schließender Betriebe unter Arbeiter:innenkontrolle sowie einer gesamtgesellschaftlichen Planung der Wirtschaft. 

Werde aktiv gegen Lohnverlust und Entlassungen!

Bundesweite Online Veranstaltung der Vernetzung für Kämpferische Gewerkschaften: 10. Dezember um 19 Uhr

Zoomlink auf Anfrage unter info@vernetzung.org

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