GroKo: Die Parteispitzen zittern vor der Entscheidung
Schulz wird gedemütigt, die SPD gleicht einer Chaos-Truppe und auch in der Union brodelt es. Statt beschwingt aus der Einigung über den Koalitionsvertrag zu gehen, liegen die Nerven bei den Parteispitzen von SPD und CDU blank.
Alle wurden über den Tisch gezogen. Dies ist zumindest der Eindruck, den die Kritiker*innen aus den eigenen Reihen von Union und SPD am Koalitionsvertrag erwecken. Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich für ihren eigenen Machterhalt inhaltlich und bei den Posten der Sozialdemokratie angepasst. In der SPD wiederum heißt es, die Partei habe sich für Merkels Weiter-so kaufen lassen, mit kleinen sozialen Teilerfolgen, aber dem Kompromiss mit der rechten Hardliner-CSU.
Die SPD zerlegt sich selbst
Am Freitag Nachmittag gab der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz bekannt, dass er doch nicht, wie geplant, den Posten des Außenministers bekleiden wird. Nachdem er am Tag nach der Bundestagswahl noch vollmundig verkündet hatte, er werde nicht in eine Regierung Merkel eintreten, hinterließ sein Griff nach dem Auswärtigen Amt einen zu bitteren Geschmack in der Partei. Der Druck kam sowohl von der Basis, seinem Landesverband aus Nordrheinwestfalen als auch dem geschäftsführenden Außenminister Sigmar Gabriel. Dieser reagierte ziemlich gereizt auf das Vorhaben von Schulz, ihm den Posten wegzunehmen. Er bedauerte öffentlich Respektlosigkeiten und Wortbrüche in der SPD, womit offensichtlich Schulz gemeint war.
Nach der wachsenden Kritik an seinen Plänen, einen Ministersessel in Anspruch zu nehmen, sah sich Schulz schon am Mittwoch zur Ankündigung gezwungen, seinen Parteivorsitz an Andrea Nahles abgeben zu wollen. Anstatt sich mit diesem Manöver Luft zu verschaffen, hagelte es weiter Kritik, dass Schulz für seine Karriere die Partei im Stich lasse. Teile der SPD plädieren bereits für eine Urabstimmung über den Parteivorsitz. Ziemlich sicher ist aber: Schulz ist raus. Und Gabriel darf wohl doch weiter im Auswärtigen Amt sitzen bleiben.
Um Merkel wird es einsam
Auch in der CDU rumort es. Mit dem bisherigen Innenminister Thomas de Mazière geht einer der engsten Vertrauten Merkels ohne Posten aus. Dieses Amt darf nun der immer wieder als Merkel-Kritiker auftretende Horst Seehofer übernehmen, verbunden mit der Zuständigkeit für „Heimat“. Als CSU-Chef wird er gerne eine restriktive Innenpolitik mit bayerischen Extra-Wünschen im Bund einbringen.
Schmerzhafter wiegt der Verlust des Finanzministeriums. Für Wolfgang Schäuble kommt Olaf Scholz von der SPD, der auch gleichzeitig Vize-Kanzler werden soll. Er will wie Schäuble strikte Haushaltsdisziplin wahren. Die SPD wollte zudem eine stärker koordinierte europäische Finanzpolitik in Zusammenarbeit mit Frankreich vorantreiben. Dieses Vorhaben dürfte durch den Abgang von Martin Schulz, der in der Brüsseler Bürokratie Karriere gemacht hat, zurückgeworfen werden.
Dennoch ist die Vergabe von zentralen Posten an die Koalitionspartner ein Thema, das in der CDU sauer aufstößt und die Rufe nach einer Nachfolgeregelung für Merkel lauter werden lässt. Die Kritik kommt vor allem aus den mittleren Funktionärsebenen und Jugendverbänden. Ein heimlicher Star unter rechten Union-Angehörigen, Friedrich Merz, kommentierte: „Wenn die CDU diese Demütigung auch noch hinnimmt, dann hat sie sich selbst aufgegeben.“ Noch wird die Kritik nicht in der Führungsspitze der CDU mitgetragen, anders als der offene Streit im Vorstand der SPD. Aber die Vertrauten um Merkel werden weniger.
Zittern vor der SPD-Mitgliederbefragung
Während der CSU-Vorstand den Koalitionsvertrag bereits abgesegnet hat, stehen bei der CDU ein Parteitag am 26. Februar in Berlin und bei der SPD die Mitgliederbefragung vom 20. Februar bis zum 2. März an. Der Sonderparteitag der SPD im Januar hatte mit 56 Prozent die Aufnahme der GroKo-Verhandlungen beschlossen. Eine Probe für den Vorstand, der gerade noch ein Scheitern abwehren konnte, mit dem Versprechen, bei Merkel nachverhandeln zu wollen. Was dann herauskam, waren einige wichtige Ministerien.
Aber in den drei Streitpunkten – die Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin, die Ausweitung des Familiennachzuges und ein Ende der sachgrundlosen Befristung – kam die Union der SPD kaum entgegen. Lediglich im letzten Punkt konnte die SPD einen kleinen Erfolg erreichen: Nur noch ein Teil der Belegschaften – 2,5 Prozent in Betrieben über 75 Beschäftigten – darf ohne Sachgrund befristete Verträge erhalten und das auch nur für maximal 18 statt 24 Monate.
Reicht das aus, um vor der Basis eine neue GroKo zu rechtfertigen? Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Civey wären 60 Prozent der SPD-Mitglieder für eine erneute Regierungsbeteilgung. Die No-Groko-Kampagne, die vom Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert angeführt wird, versucht neue SPD-Mitglieder für ein Nein bei der Abstimmung zu gewinnen. Tatsächlich gab es 24.000 Neueintritte seit Januar, was jedoch angesichts einer Gesamtmitgliederzahl von 463.000 Stimmberechtigten kaum ausschlaggebend sein dürfte. Nach wie vor bleibt die wahrscheinlichste Variante, dass trotz all seiner Zerstrittenheit das Gewicht des Parteiapparates noch ausreicht, um die traditionell passive Parteibasis auf ein Bündnis mit Merkel einzustimmen. Aber die letzten Wochen zeigen, wie angeschlagen die Führung ist.
Die schwächste GroKo aller Zeiten
Nach der monatelangen Hängepartie wird sich voraussichtlich im März eine neue Regierung bilden. Die Kanzlerin wird mit der instabilsten SPD seit Jahren zu tun haben. Merkel hat Personal aus ihrem Vertrautenkreis geopfert, um den Laden nochmal zusammenzuhalten. Noch reicht ihre Integrationskraft aus, um die Tendenzen der Polarisierung in Deutschland unter ihrer Führung zu vereinigen. Aber die SPD verliert wegen ihrer unsozialen Politik weiter an Glaubwürdigkeit, während die Union von rechts durch die AfD in Frage steht.
Insofern wird die nächste GroKo sich durchaus von ihren Vorgängerregierungen unterscheiden: Um dieser Polarisierung gerecht zu werden, wird sie auf der einen Seite harte reaktionäre innenpolitische Maßnahmen durchsetzen. Zum anderen ist es durchaus möglich, dass in einigen sozialen Fragen kleine Zugeständnisse kommen, um die SPD-Wähler*innenschaft bei Laune zu halten. Die Schwierigkeit für Merkel ist, dass diese gegensätzlichen Positionen sich nur gegen die parteiinternen Widerstände vereinen lassen.
Weder Union noch SPD haben sich über den Tisch ziehen lassen, wie das manche Kommentator*innen behaupten mögen. In einer fortschreitenden Polarisierung wird es schlichtweg komplizierter, die Balance zu halten. Das Taumeln der Börsen, welche in den letzten Tagen die Regierungsbildung begleitet hat, könnte dieses Dilemma weiter verstärken: In einer möglichen Wirtschaftskrise werden neoliberale Hardliner noch weniger zu Kompromissen mit der Sozialdemokratie bereit sein. Vor dem Donnern der Aktienmärkte und den außenpoltischen Herausforderungen wie der Entwicklung der EU und der Rivalität gegenüber den USA, wird es für die deutsche Bourgeoisie höchste Zeit, eine stabile Regierung zu bekommen. Es wird aber auch die letzte GroKo und die letzte Regierung der „Mitte“ sein. Ein*e Nachfolger*in von Merkel wird die gegensätzlichen Tendenzen nicht mehr so leicht moderieren können.