Griechenland: Neuwahlen trotz großem Vorsprung der Konservativen?
Bei den Parlamentswahlen in Griechenland erreichte Premierminister Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Partei "Neue Demokratie" 40,8 Prozent der Stimmen. Es ist aber fraglich, ob er einen Koalitionspartner findet. Nun drohen Neuwahlen.
Update 23. Mai: Mit überraschend großem Abstand gewann die „Neue Demokratie“ ND vor der Linkspartei Syriza, die auf etwa 20 Prozent kam. Die sozialistischen Partei PASOK erreichte 11,5 Prozent, die stalinistische KKE 7,2 und die Rechtsextremen der Partei „Griechische Lösung“ kamen auf 4,5 Prozent.
Eine Koalition aus ND und PASOK wäre politisch durchaus möglich, doch das Verhältnis der Mitte-Links-Partei mit den Konservativen gilt als angespannt, nachdem letztes Jahr bekannt wurde, dass die Regierung den PASOK-Vorsitzenden durch den Geheimdienst ausspioniern ließ. Wenn die ND keinen Koalitionspartner findet, dürfte sie Neuwahlen einberufen. Ihre Hoffnung liegt darauf, im zweiten Wahlgang von der – von ihr selbst wieder eingeführten – Klausel zu profitiern, nach der eine Partei mit mindestens 40 Prozent Stimmen einen Bonus von 50 Sitzen im Parlament erhält.
Syriza saß in den letzten vier Jahren in der Opposition, nachdem sie 2015 bis 2019 die Regierung gestellt hatte. Ihr schwaches Ergebnis deutet darauf hin, dass die Griech:innen ihr nicht verzeiht haben, dass sie trotz anderslautender Versprechungen die Sparpolitik von EU, EZB und IWF durchsetzte.
Zugunglück, Generalstreik, Wahlen
20. Mai (vor der Wahl):
Nachdem die Parlamentswahl in Griechenland ursprünglich im April stattfinden sollte, wurde diese aufgrund des größten Zugunglücks in der Geschichte des Landes auf Sonntag, den 21. Mai 2023 verschoben.
Durch das Zugunglück, zu dem es aufgrund der zunehmenden Privatisierung und der von den Troika angestoßenen Sparpolitik früher oder später kommen musste, gab es wochenlang große Proteste und Streiks in verschiedenen Städten des Landes. Zeitweise traten einige Bereiche der Wirtschaft wie der öffentliche (Nah-)Verkehr in einen Generalstreik.
Die Proteste waren stark von Studierenden, Schüler:innen und Auszubildenden geprägt, was auf die hohen Opferzahlen von Studierenden beim Zugunglück und die allgemeine wachsende Perspektivlosigkeit der Jugend zurückzuführen ist. Die Streiks und Proteste brachten den amtierenden Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und seine konservative Partei „Neue Demokratie“ in Bedrängnis. Seine Partei verlor im Vergleich zur Parlamentswahl 2019 vier Prozentpunkte und liegt in jüngsten Umfragen bei 36 Prozent.
Wie in der Bundesrepublik wird das Parlament in Griechenland alle 4 Jahre gewählt. Es besteht jedoch nur aus 300 Abgeordneten, was auf die Bevölkerungszahl gerechnet hingegen deutlich größer ist als der Bundestag. Die Abgeordneten müssen mindestens 25 Jahre alt sein und die griechische Staatsangehörigkeit besitzen. Zur Wahl zugelassen sind alle Menschen ab 18 Jahren mit griechischer Staatsangehörigkeit. Im Unterschied zur BRD herrscht in Griechenland jedoch Wahlpflicht, wobei Verstöße dagegen nicht verfolgt werden.
Eine Änderung zu früheren Wahlen ist, dass die stärkste Kraft keine zusätzlichen 50 Mandate – von den 300 Gesamtmandaten – bekommt. Diese undemokratische Regelung wurde durch die Syriza-Regierung abgeschafft . Für weitere Wahlgänge wurde die alte Regelung erneut durch die aktuelle ND-Regierung eingeführt.
Das bedeutet, sollte die ND wie in Umfragen unter 38 Prozent der Stimmen bekommen (das ist die Anzahl an Stimmen für eine Absolute Mehrheit durch diese Regelung), könnte diese daraufhin einen zweiten oder gar dritten Wahlgang durchführen, mit dem Ziel, dass sich die griechischen Wähler:innen für sie entscheiden um das Land regierbar zu halten.
Die Wahrscheinlichkeit für solch eine Situation ist ziemlich hoch, da das Vertrauen sowohl in die ND nach dem Zugunglück im März und einem riesigen Abhörskandal im letzten Jahr, bei welchem der Vorsitzende der sozialdemokratischen Pasok, sowie mehrere Journalist:innen, Politiker:innen und Generäle vom griechischen Geheimdienst EYP und/oder durch die Spyware „Predator“ abgehört wurden, kaum vorhanden ist. Weniger als 15 Prozent der griechischen Wähler:innen halten die Partei ND als geeignet für die Regierung.
Doch der größten „Opposition“, der neoreformistischen Partei Syriza, wird mit 13 Prozent noch weniger Regierungsfähigkeit zugesprochen. Für die griechischen Jugendlichen und Arbeiter:innen, sowie den Renter:innen, die unter Altersarmut leiden, ist Syriza ebenfalls keine Option. Nach dem Verrat durch die Troika verlor die Partei weiter Prozente, so liegt sie in aktuellen Umfragen 2 Prozent niedriger als ihr Ergebnis 2019. Das „neue Programm“ zielt auf die erneute Mitverwaltung des Kapitalismus in einer „progressiven Koalition“ mit Pasok und Mera25 ab.
Keine der großen Lager, weder die Konservativen noch die Neoreformist:innen, greifen die Fragen der Jugendlichen und Arbeiter:innen auf. Im Bildungs- und Gesundheitswesen wird eingespart, der ÖPNV privatisiert und Proteste werden mit brutaler Polizeigewalt niedergeschlagen. Und auch die Inflation liegt seit Beginn des Krieges bei 10 Prozent. So verliert die griechische Bevölkerung immer mehr das Vertrauen ins System: 69 Prozent der Griech:innen vertrauen weder Justiz noch Parlament.
Einzige Alternative für die Jugend und Arbeiter:innen Griechenlands scheint die stalinistische KKE zu sein, welche in Umfragen knapp 2 Prozent gewinnen konnte. Ein großer Teil der Stimmen kommt vermutlich von den 420.000 Jugendlichen, die 2019 noch kein Wahlrecht hatten. Schon bei den Wahlen zu den Studierendenparlamenten im Mai konnte die KKE 35 Prozent der Stimmen erlangen, während Kommunist:innen insgesamt über 52 Prozent der Stimmen erhielten.
Auch am vergangenen Mittwoch versammelten sich tausende Demonstrierende im Zentrum Athens, um Dimitris Koutsoumbas, dem Generalsekretär des Zentralkomitees der KKE, bei seiner Ansprache zur Wahl am Sonntag zuzujubeln.
Hervorzuheben ist dabei die Rolle der KKE im Bezug auf den Imperialismus Deutschlands und Frankreichs unter der Hegemonie der USA, welche als einzige (relevante) Kraft auf der Straße und in den Gewerkschaften, die Umwandlung des Landes in einen NATO-Stützpunkt und Waffenlieferungen in die Ukraine anprangert. Jedoch ist bei der KKE, wie auch in der Deutschen Kommunistischen Partei DKP, eine pro-russische Tendenz vorzufinden.
Doch auch die KKE wird ohne Änderung der Strategie keinen Ausweg aus den Krisen und der Troika bieten, da sie mit ihrer permanenten Weigerung zur Entwicklung einer Einheitsfront, die Mobilisierung der Arbeiter*innen blockiert. Besonders für queere Menschen und Migrant:innen bietet die KKE keinen Ausblick auf Verbesserungen. So verwenden sie das reaktionäre Argument, dass Geschlecht „objektiv“ durch die Biologie bestimmt sei und Heterosexualität genau aus diesem Grund „überwiege“.
Konkret äußerte sich der Chauvinismus der KKE 2017 als sie mit Konservativen und Faschist:innen gegen ein Gesetz stimmten, das trans Personen ermöglicht durch eine Stellungnahme die Änderung ihres Geschlechts in den Unterlagen durchzuführen, anstatt, nachweisen zu müssen sich einem chirurgischen Eingriff unterzogen zu haben und zusätzlich die Bestätigung eines Psychiaters zu benötigen, der eine „Geschlechtsstörung“ diagnostiziert.
Eine Antwort auf die Probleme der Jugend, der Arbeiter:innen und der Unterdrückten, kann auch in Griechenland nur eine Partei bieten, die die Einheit der Arbeiter:innen untereinander stärkt und sich aktiv an der Verteidigung der demokratischen Rechte, der queeren Bevölkerung, sowie im Kampf gegen rassistische und sexistische Unterdrückung beteiligt.