Greta Thunberg: Vom Liebling der liberalen Medien zum Staatsfeind Nr. 1

18.10.2024, Lesezeit 7 Min.
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Greta Thunberg bei einer Demonstration in Stockholm im April 2024. Foto: Liv Oeian / Shutterstock.com

Die 21-jährige Klimaaktivistin mobilisiert Menschen gegen den Genozid in Gaza. Jetzt greifen sie nicht nur die extrem Rechte an – auch das liberale Establishment hat sich der Verleumdung angeschlossen.

Deutsche Politiker:innen forderten Einreisesperren für Greta Thunberg. Als die 21-jährige schwedische Klimaaktivistin ankündigte, dass sie auf dem Dortmunder Universitäts-Protestcamp sprechen wird, hat die Polizei die gesamte Veranstaltung verboten. Das Camp bestand seit vier Monaten, aber Polizist:innen gab an, sie mussten es beenden, da Thunberg – eine Kandidatin für den Friedensnobelpreis! – „potentiell gewalttätig“ sei.

Innerhalb weniger Jahre hat sich Thunberg vom Liebling des liberalen Establishments zum Staatsfeind Nr. 1 entwickelt. Die Zeitung Spiegel beispielsweise ernannte sie 2019 noch zur „Person des Jahres“. Nur vier Jahre später wird sie als „Antisemitin“ in einer Titelgeschichte angeprangert. 

Die Erklärung dafür ist deprimierend einfach: Wie viele junge Menschen auf der Welt protestierte auch Thunberg gegen den Völkermord in Gaza; dabei schloss sie sich Demonstrationen in Leipzig, Berlin und anderen deutschen Städten an. 

Hasskampagnen gegen die Klimaaktivistin gingen von ultrarechten Medien aus, wurden aber inzwischen aufgegriffen von vermeintlich liberale Publikationen, die bizarre Verschwörungstheorien über Thunberg verbreiteten. Sie solle ihre Stofftiere verwenden, um verschlüsselte antisemitische Botschaften zu senden. In Wirklichkeit sind Oktopus-Stofftiere verbreitet für Menschen mit Autismus.

Wie der Großteil der internationalen Klimabewegung macht Thunberg auf die Zusammenhänge zwischen Imperialismus und der fortschreitenden Klimakatastrophe aufmerksam. Israels Kriege in Gaza und Libanon, unterstützt von den USA und Deutschland, bedeuten nicht nur Mord an zehntausenden Zivilist:innen – sie verursachen auch „immense“ Kohlenstoffemissionen, die in nicht allzu ferner Zukunft die Leben von Milliarden mehr Menschen gefährden werden. 

Als Thunberg nach Beginn ihres Klimastreiks am 20. August 2018 weltweite Bekanntheit erlangte, schien sie eine von vielen aufrichtigen jungen Aktivist:innen zu sein, die früher oder später in die korrupten Bürokratien der liberalen Bourgeoisie hineingezogen werden. Sie traf sich mit Barack Obama, wurde von Trevor Noah interviewt und nahm das Angebot eines dummen Aristokraten an, mit einem Segelboot über den Atlantik zu fahren, um an einer UN-Konferenz in New York teilzunehmen.

Doch wie ich damals anmerkte, zeigte Thunberg, als sie nach Davos eingeladen wurde, dem Gipfeltreffen der globalen Eliten, eine ungewöhnliche Abneigung, sich einem Publikum anzubiedern, das nur darauf wartet, leere Phrasen eines kleinen Mädchens zu applaudieren. Im Gegensatz zu gut bezahlten Pseudo-NGO-Aktivist:innen nannte Thunberg Namen:

Manche sagen, dass die Klimakrise etwas ist, das wir selbst verursacht haben, aber das stimmt nicht, denn wenn jeder schuldig ist, dann ist niemand schuld. Und jemand ist schuld. Einige Menschen, einige Unternehmen, insbesondere einige Entscheidungsträger, haben genau gewusst, welche unschätzbaren Werte sie opfern, um weiterhin unvorstellbare Geldsummen zu verdienen. Und ich denke, viele von Ihnen, die heute hier sind, gehören zu dieser Gruppe von Menschen.

(Ich vermute, dass ihr Autismus sie etwas direkter macht als eine neurotypische Person, aber das ist nur Spekulation.)

Als sie noch ein Teenager war, appellierte Thunberg an Politiker:innen, aber jetzt sagt sie viel deutlicher, dass der Kapitalismus für den Klimawandel verantwortlich ist. Und das ist noch nicht alles: Letztes Wochenende besuchte Thunberg während einer Klimademonstration in Italien die besetzte GKN-Fabrik in Florenz. Das ehemalige Autoteilewerk wird seit drei Jahren von seinen Mitarbeiter:innen besetzt gehalten. Wo sie früher Autoteile produzierten, planen die Arbeiter:innen nun den Bau von Solarmodulen und Lastenrädern.

In einem Beitrag auf Twitter betonte Thunberg zu Recht, dass Klimagerechtigkeit und Arbeiter:innenrechte Hand in Hand gehen: „Der Kampf, bis zum Ende des Monats zu kommen, ist derselbe Kampf gegen das Ende der Welt.“

Das Beispiel der GKN-Arbeiter:innen zeigt die unaufhaltsame Macht der Arbeiter:innenklasse angesichts der Klimakrise. Es sind die armen Menschen der Arbeiter:innenklasse in den halbkolonialen Ländern, die bereits unter den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels leiden. Es sind auch die Arbeiter:innen, die die Autos produzieren und die Ölraffinerien betreiben, die den Planeten zerstören. Das bedeutet, dass es die Arbeiter:innen sind, die die Produktion radikal verändern können – etwas, wozu die Kapitalisten völlig unfähig sind, da ihre Profite von einer ständigen Ausweitung der Produktion abhängen.

Die Arbeiter:innenklasse besteht aus Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt. Wie Thunberg in Davos erklärte, wird der Klimawandel von einer Handvoll kapitalistischer Parasiten verursacht, die von unserer Arbeit profitieren. Wenn wir organisiert wären, könnten wir noch heute eine sofortige wirtschaftliche Transformation einleiten.

Dies ist nicht nur eine theoretische Möglichkeit. Auf diesen Seiten haben wir Ölraffineriearbeiter in Grandpuits in Frankreich interviewt, die für die Rettung ihrer Arbeitsplätze kämpften, aber nicht länger dem fossilen Kapital dienen wollten und stattdessen einen ökologischen Wandel forderten. Wir haben über Arbeiter:innen bei Zanon berichtet, einer Keramikfabrik in Argentinien, die ihre Fabrik 2002 übernahmen, um die Bedürfnisse der Menschen zu decken, anstatt Profite für Kapitalisten zu erwirtschaften. Wir haben die Geschichten von Arbeiter:innen in einer großen Druckerei in Buenos Aires erzählt, die ihren Arbeitsplatz besetzten, um der Gemeinschaft zu dienen. All diese Aktionen wurden von revolutionären Aktivist:innen in den Betrieben angeführt.

Obwohl Greta sich revolutionären sozialistischen Positionen nähert, fehlt ihr eines: Organisation. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel ist die Sunrise-Bewegung nur ein Lobby-Arm der Demokratischen Partei, der sich zynischerweise als Aktivist:innengruppe ausgibt. Die von Thunberg inspirierte Fridays-for-Future-Bewegung (FFF) umfasst viele engagierte Aktivist:innen, aber auch viele Karrierist:innen, die auf bequeme Jobs in grünen Parteien oder in NGOs abzielen. Insbesondere in Deutschland lehnt die Spitze von FFF Thunbergs Radikalismus entschieden ab und hat sich dem deutschen Imperialismus und seiner Solidarität mit Israel angeschlossen.

Um gegen den Kapitalismus zu kämpfen, braucht Thunberg eine Organisation, die sich ihren radikalen Ideen verpflichtet fühlt: internationale Solidarität, Antiimperialismus und Arbeiter:innenkontrolle über die Produktion. Das kann nur eine revolutionäre Partei sein, die auf der Arbeiter:innenklasse und der Jugend basiert und ein Programm hat, das alle Kämpfe gegen Unterdrückung und Ausbeutung zu einem koordinierten Angriff auf das kapitalistische System vereint.

Vor fünf Jahren, als viele Radikale glaubten, Thunberg würde eine weitere langweilige Liberale werden, hatte ich das Gefühl, dass sie sich sozialistischen Ideen zuwenden würde. Jetzt sagt mir mein Bauchgefühl, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie sich mit den Ideen von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Luxemburg und anderen Revolutionär:innen identifiziert.

Dabei geht es nicht nur um sie als Einzelperson: Thunberg steht für eine Generation, die zusieht, wie das kapitalistische System auf unvorstellbare Gewalt zusteuert, in Form von ethnischen Säuberungen, Atomkrieg und Klimaapokalypse. Sie haben erlebt, wie Politiker:innen schöne Reden halten, sich aber weigern, sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen. Das liegt daran, dass der Kapitalismus grundsätzlich unfähig ist, mit seinen eigenen Grenzen umzugehen. Da die Eliten sie nicht korrumpieren konnten, diffamieren sie sie nun. Sie ist ein großartiges Beispiel dafür, wie Klimaaktivist:innen der Vereinnahmung widerstehen und sich organisieren können, um das System zu stürzen.

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