Glyphosat: Wird das Herbizid zum GroKo-Killer?
Mit dem Blick auf 2018 erschwert die CSU Angela Merkel die Bildung einer GroKo 2.0. Schulz und Nahles werden der Union in den anstehenden Gespräche den Alleingang des bayrischen Agrarministers teuer zu stehen kommen lassen. Ist die Grundlage für Koalitionsverhandlungen schon jetzt vergiftet?
Glyphosat, dieses umstrittene Gift, das in der Landwirtschaft gegen Unkraut jeglicher Art zur Ertragssteigerung genutzt wird, hat mit seinen zerstörerischen Effekten die deutsche Innenpolitik erreicht. Mit seinem Abstimmungsverhalten hat sich der bisher eher unscheinbar auftretende Agrarminister Christian Schmidt (CSU) ins Gravitationszentrum der Berliner Politik gedrängt. Von CSU gelobt, von CDU gerügt und von SPD beschimpft – seine Entscheidung wird große Auswirkungen auf die anstehenden Sondierungsgespräche zwischen Union und Sozialdemokratie haben.
Doch worum ging es bei der Entscheidung überhaupt? Glyphosat ist als Unkrautvernichter höchst umstritten und die WHO stuft es als „wahrscheinlich krebserregend“ für den Menschen ein. Nichtsdestotrotz findet es sich fast überall: ob in Kartoffeln, Soja oder selbst im Bier hinterlässt das Totalherbizid seine Spuren. Von den Landwirtschaftskonzernen wird es bevorzugt, da es Unkräuter an der Wurzel zerstört. Umweltorganisationen wie Greenpeace kritisieren die negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur.
Deshalb hatte sich in der EU eine Verlängerung der Zulassung des Herbizids, die am 15. Dezember ausläuft, hingezogen. Die EU-Kommission wollte nicht die alleinige Verantwortung übernehmen, weshalb es zu einer Abstimmung kam. Doch viele Mitgliederländer wie Frankreich und Italien lehnen die weitere Nutzung von Glyphosat in der EU ab, andere Länder wie Deutschland hatten sich bis Montag aufgrund unterschiedlicher Meinungen in der Regierung enthalten, weshalb es keine qualifizierte Mehrheit für die Weiterführung gab. Schmidts Votum änderte diese Situation und nun müssen europäische Konsument*innen und die Umwelt weitere fünf Jahre mit den unbekannten und potentiell hohen Risiken leben.
Märtyrer Schmidt?
Horst Seehofer drückte die Position seiner Partei bezüglich Schmidts Entscheidung wie folgt aus: „Die CSU spricht Christian Schmidt ihre Rückendeckung aus.“ Auch andere Köpfe der Christsozialen lobten die Abstimmung von Schmidt mit Blick auf die Parteiposition und die vieler großer bayrischer Landwirtschaftsbetriebe. Schmidt hat sich schon in zahlreichen anderen Debatten als guter Vertreter der Agrar-Bosse herausgestellt: So verhinderte er sowohl Einschränkungen bei Massentierhaltung als auch bei der Verwendung von Gülle.
Damit hat der Agrarminister einer Stamm-Klientel der CSU einen großen Gefallen getan, die sonst vor ernsthaften Schwierigkeiten gestanden hätten. Die bestätigten Absprachen mit der CSU-Zentrale und Seehofer höchstselbst legen nahe, dass das „Ja“ zum Glyphosat mit Weitsicht getätigt wurde. Denn im Herbst 2018 stehen die Landtagswahlen in Bayern an und die CSU befindet sich seit dem katastrophalen Ergebnis bei den Bundestagswahlen in einem heftigen Streit um die Ausrichtung bis zum nächsten Jahr, vorne dabei Horst Seehofer und Markus Söder.
Sozialdemokratische Wunschliste wird länger
Was der CSU bei den Regionalwahlen hilft, muss ihre Position in Berlin nicht in gleicher Weise verbessern. Angela Merkel (CDU) wurde durch den Alleingang in eine schwierige Lage versetzt wurde, eine erneute Regierungsmehrheit mit der SPD zu erreichen – richtete sich der Affront doch direkt gegen die Position der Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Diese sprach auch sofort nach dem Bekanntwerden der Entscheidung in Gleichklang mit dem SPD-Vorsitzenden Schulz und der Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles von einem „Vertrauensbruch“ und forderte „vertrauensbildende Maßnahmen“. Das heißt konkret, SPD-Forderungen sollen in einem künftigen Koalitionsvertrag weit oben stehen.
Schon vor der Entscheidung war klar, dass die SPD-Führung mehr als nur symbolische Projekte durchbringen müsste, um die Parteibasis von einer erneuten Regierungsbeteiligung unter Führung der Union zu überzeugen: War doch der gesamte Wahlkampf von Kanzlerkandidat Schulz darauf ausgerichtet, Merkel abzusetzen, und hatte er sich noch nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen gegen eine Regierungsbeteiligung ausgesprochen.
Das Glyphosat-Votum könnte von Schulz und Co. als starkes Druckmittel verwendet werden, um einige ihrer Wahlversprechen durchzubringen. Einige Projekte wie eine Bürgerrente oder die Möglichkeit, von Teilzeit in Vollzeit zurückkehren zu können, stehen schon im Raum. Es bleibt abzuwarten, wie groß der Druck des „staatstragenden“ Flügels um Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Noch-Außenminister Sigmar Gabriel sein wird, um jeden Preis eine Neuauflage der GroKo anzunehmen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass dies ohne größere Zugeständnisse von Seiten der Union geschehen wird. Ob das wiederum den fortschreitenden Verfall der Sozialdemokratie aufhält, steht auf einem anderen Blatt.
Merkel verliert Kohäsionskraft
Wenn der Weg zu Koalitionsverhandlungen schon vor der Glyphosat-Entscheidung steinig war, kamen am Montag noch einige schwere Brocken hinzu. Doch trotz dieser schwierigen Situation, in die Schmidt Merkel gebracht hat, kam sie in ihrem Statement nicht über eine „Rüge“ und einen Verweis auf die Geschäftsordnung der Bundesregierung hinaus. Denn Merkel braucht für eine funktionierende Regierung nicht nur die SPD, sondern auch die CSU, die schon vor den Wahlen ihre Obergrenze für Geflüchtete durchsetzen konnte und nun mit einer großen AfD-Bundestagsfraktion und den anstehenden Landtagswahlen ein größeren Profilierungsbedarf verspürt.
Carsten Schneider von der SPD sah in dieser Geste einen „Autoritätsverlust der Bundeskanzlerin“. Damit will er ihr Schwäche unterstellen und ein härteres Vorgehen gegen die bayrische Schwesterpartei erzwingen. Doch auch Thomas Kreutzmann vom Hessischen Rundfunk sprach in einem Tagesschau-Kommentar ohne diesen parteipolitischen Hintergrund von der „Erosion der Macht von Angela Merkel“.
Ich glaube aber, dass Merkel inzwischen zu schwach ist, stark gegen Schmidt vorzugehen und gegen die CSU, die ihn nicht gestoppt hat. Sie braucht Seehofer und die CSU an ihrer Seite. Sie ist angeschlagen – durch ein schlechtes Wahlergebnis und durch die gescheiterten Jamaika-Sondierungen. Wenn sich jetzt schon ihr Landwirtschaftsminister so viel herausnehmen darf, werden andere bald seinem Beispiel folgen.
Hat Schmidt mit seiner Entscheidung einer GroKo 2.0 das Totengrab geschaufelt? Nein, aber er hat das Gesprächsklima zwischen Union und SPD zumindest vergiftet und die Hürden für eine Regierungsbildung auf allen Seiten höher geschraubt. Nach einem herben Wahlverlust der ehemaligen (und zukünftigen?) Regierungsparteien und dem Scheitern der monatelangen Jamaika-Sondierungsgespräche drückt sich die politische Krise nun in dem Alleingang des in normalen Zeiten eher zweitrangigen Landwirtschaftsministers aus. Dem politischen Establishment wird es immer schwerer fallen, ohne zunehmenden Legitimationsverlust eine funktionierende Regierung zu bilden und die Positionen des deutschen Imperialismus in der EU und weltweit auszuweiten. Die Zeiten bleiben turbulent.