Gibt es linke Kandidat:innen in Friedrichshain-Kreuzberg?
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Der einst rebellische Bezirk wurde lange Zeit vom legendären Hans-Christian Ströbele vertreten. Er starb 2022, seine Nachfolgerin geht in den Ruhestand. Wen können linke Kreuzberger und Friedrichshainer wählen?
Kreuzberg und Friedrichshain passen überhaupt nicht zusammen, aber beide Bezirke haben eine lange Geschichte des Widerstands. In Kreuzberg begannen die Menschen in den späten 1970er Jahren, Häuser zu besetzen. Friedrichshain wiederum wurde in den 1990er Jahren mit zahlreichen eigenen Hausbesetzungen zum Zentrum der Berliner Gegenkultur. Die beiden Bezirke, auf gegenüberliegenden Seiten der Spree, gingen 2001 eine unharmonische Ehe ein. 15 Jahre lang, von 2002 bis 2017, war Fhain-Xberg durch den silberhaarigen, ruhigen Rebellen Christian Ströbele im Bundestag vertreten.
Ströbele erlangte seinen legendären Status 1969, als er das Sozialistische Anwaltskollektiv gründete, um linke Aktivist:innen, darunter Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF), zu verteidigen. In den späten 1970er Jahren unterstützte er die Gründung der alternativen Tageszeitung taz und der West-Berliner Alternativen Liste, die schließlich in die Grünen aufging. Bis vor wenigen Jahren war Ströbele mit seinem charakteristischen roten Fahrrad auf fast jeder Demonstration zu sehen.
Im Laufe der Jahrzehnte kamen die Grünen immer mehr an die Macht und gaben all ihre Prinzipien auf. Innerhalb einer Generation gingen sie vom Protest gegen NATO-Raketen zur NATO-freundlichsten Partei in Deutschland über. Ende der 1990er Jahre begannen die Grünen den ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945 und führten das größte Sozialabbauprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik durch.
Tausende früherer Grüne-Mitglieder kehrten der Partei den Rücken. Ströbele blieb dabei, obwohl er konsequent gegen seine Partei stimmte. Er zog sich 2017 aus dem Bundestag zurück und starb 2022. Seine Nachfolgerin Canan Bayram war zwei Legislaturperioden lang Abgeordnete der Grünen für Friedrichshain-Kreuzberg. Letztes Jahr erklärte Bayram jedoch, dass sie „kein Feigenblatt“ für eine so rechte Partei sein wolle – diesmal macht sie nicht einmal Wahlkampf für die Grünen.
Wen können Linke in Kreuzberg und Friedrichshain also wählen?
Katrin Schmidberger (Grüne)
Die Person, die die Grünen für die Nachfolge von Ströbele und Bayram ausgewählt haben, ist nicht wirklich für etwas bekannt. Laut Wikipedia war Katrin Schmidberger einst parlamentarische Mitarbeiterin von Ströbele und ist seit 2011 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Persönlich habe ich noch niemanden getroffen, der ihren Namen kennt oder weiß, wofür sie steht. Geht sie auf Demonstrationen? Schwer zu sagen. Ihr Hauptthema – eigentlich ihr einziges Thema – scheint die Wohnungspolitik zu sein.
Fairerweise muss man sagen, dass sie bezüglich Wohnungspolitik keinen schlechten Job macht. Im Gegensatz zu ihrer Partei, die Spenden von Immobilienspekulant:innen erhält, unterstützte Schmidberger das Volksbegehren zur Enteignung der Berliner Wohnungsgesellschaften Deutsche Wohnen und Co., das 2021 von 59 Prozent der Wähler:innen angenommen wurde. Gleichzeitig war sie aber Teil der Regierungskoalition von Franziska Giffey, die diese demokratische Entscheidung aktiv sabotiert hat.
Ein Blick auf ihre parlamentarischen Reden und Beiträge in den sozialen Medien zeigt, dass Schmidberger über eine beeindruckende Disziplin verfügt: Sie spricht über Wohnungspolitik und nichts anderes. Sie will mehr öffentlichen Wohnungsbau, und jede:r Linke würde ihr zustimmen. Aber was hält sie davon, dass ihre Partei stattdessen 100 Milliarden Euro mehr für das Militär ausgibt? Was denkt sie über Annalena Baerbocks Unterstützung für Israels Völkermord in Gaza? Was denkt sie über Robert Habecks Plan, die Zahl der Abschiebungen radikal zu erhöhen?
Verglichen mit dem antimilitaristischen Ströbele scheint es fast so, als hätte Schmidberger noch nie etwas von den vielen Kriegen gehört, die vom deutschen Imperialismus und seinen grünen Verwalter:innen aktiv unterstützt werden. Aber Friedrichshain und Kreuzberg haben sich durch die Gentrifizierung verändert, vielleicht ist das genau die Art von Grüne, die die neuen Bewohner:innen wollen.
Pascal Meiser (Die Linke)
Für Menschen, die die alten Kreuzberger Grünen vermissen, präsentiert sich Pascal Meiser von Die Linke als Alternative. Auch er ist vor allem auf die Wohnungspolitik fokussiert, ist aber auch außerhalb der parlamentarischen Gremien anzutreffen – man trifft ihn sogar ziemlich oft auf Demonstrationen. Meiser macht eine coole Kampagne, bei der er Plakate an Gebäuden anbringt: „Warum stehen hier Wohnungen leer?“ Mitten in einer Wohnungskrise halten Spekulanten schätzungsweise 40.000 Wohnungen leer. Man sieht ihn auch, wenn die Beschäftigten von öffentlichen Betrieben wie Vivantes und BVG für höhere Löhne streiken.
Aber hier gibt es einen großen Widerspruch. Die Wohnungskrise in Berlin wurde durch die Privatisierung von über hunderttausend Wohnungen Anfang der 2000er Jahre verursacht – eine Politik, die von Meisers Partei Die Linke betrieben wurde. Dieselbe Partei war auch für die drastischen Lohnkürzungen der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mit verantwortlich. Es ist zwar schön, wenn eine „linke“ Partei bei einem Streik Unterstützung zeigt, aber die Arbeiter:innen dürfen nicht vergessen, dass sie gegen gerade diese Partei streiken. Soweit ich weiß, hat Meiser nicht ein einziges Mal gegen die neoliberale Politik seiner Ministerkolleg:innen protestiert. Die Linke hat auch Tausende von Menschen aus Berlin abgeschoben – ohne Widerspruch von Meisers Seite.
Wenn es darum geht, Fragen des Imperialismus zu vermeiden, beweist Meiser die gleiche Disziplin wie Schmidberger. Während 15 Monaten Völkermord war der einzige Hinweis, den ich finden konnte, ein Link zu einer israelischen Propagandaseite. Für die Verhältnisse der Partei Die Linke ist das relativ gut – zumindest unterstützt Meiser nicht aggressiv den Völkermord, wie Dietmar Bartsch, Petra Pau, Gesine Lötzsch und zahlreiche andere „linke“ Politiker:innen. Doch das ist eine furchtbar niedrige Messlatte. Man stelle sich einen „linken“ Politiker irgendwo anders vor, der sich sorgfältig weigert, ein Wort darüber zu verlieren, dass seine eigene Regierung Waffen für einen Völkermord liefert.
Ich habe sein Büro gefragt, ob er für den Beschluss zur Solidarität mit Israel vom 12. Oktober 2023 gestimmt hat, aber keine Antwort erhalten. Bei den folgenden Resolutionen zur Unterstützung des Völkermordes war er nicht mehr im Parlament, aber Die Linke hat sich beide Male enthalten, und Meiser hat überhaupt nichts gesagt.
Inés Heider
Statistisch gesehen ist es ziemlich wahrscheinlich, dass die Grünen den Sitz bekommen werden. Vor vier Jahren gewannen sie 38 Prozent der Stimmen (verglichen mit 18 Prozent für Die Linke). Vor acht Jahren hatten die Grünen dagegen weniger als zwei Punkte Vorsprung vor der Linken. Mit dem Rücktritt von Bayram könnte Meiser eine Chance haben.
Diesmal gibt es eine neue Kandidatin: Die Sozialarbeiterin Inés Heider tritt mit einem antikapitalistischen Programm an. Auch sie ist für eine Enteignung der Wohnungskonzerne, wie Schmidberger und Meiser sie fordern. Entscheidend ist aber, dass Heider für Mobilisierung und Selbstorganisation eintritt. Sie glaubt nicht, dass fortschrittliche Veränderungen dadurch erreicht werden können, dass man ins Parlament gewählt wird und mit der SPD eine Regierung bildet – als Kommunistin fordert sie eine Arbeiter:innenregierung.
Heider ist die einzige Kandidatin, die sich gegen alle Abschiebungen ausspricht –- sie fordert offene Grenzen, während die Grünen mehr abschieben wollen und Die Linke die Zahl der Abschiebungen gerne auf dem derzeitigen Niveau beibehalten möchte. Als Internationalistin und Antiimperialistin fordert Heider, alle Waffenlieferungen an Israel zu stoppen und sowohl Putin als auch die NATO aus der Ukraine zu vertreiben.
Generationen von Arbeiter:innen und Linken in Kreuzberg und Friedrichshain haben schon vor 150 Jahren für radikale Veränderungen gestimmt, anstatt das „geringere Übel“ zu wählen. Man sagte ihnen, sie würden „ihre Stimme vergeuden“ – in Wirklichkeit aber bereiteten sie mit ihrer Unterstützung für unabhängige Kandidaturen der Arbeiter:innenklasse die Zukunft vor. Diesmal können die Friedrichshainer- und Kreuzberger:innen ihren fundamentalen Widerstand gegen ein verrottetes System zum Ausdruck bringen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei The Left Berlin.