Gewerkschaftsdemo am 1. Mai in Berlin: Kämpferische Arbeiter*innen stören sozialdemokratische Folklore
Bier, Bratwurst, schlechte Musik: Gewerkschaftsdemos am 1. Mai in Deutschland sind in der Regel langweilig. Doch in Berlin war es dieses Jahr zumindest ein bisschen anders.
In der ersten Reihe der Demonstration läuft der Berliner Bürgermeister Michael Müller, neben ihm die Bildungssenatorin Sandra Scheeres, beide von der SPD. Müller war auch einer der Hauptredner*innen auf der Abschlusskundgebung. Was macht der Sozialdemokrat da? Schließlich trägt er die Verantwortung dafür, dass Berlin die „Hauptstadt der Prekarisierung“ ist. Viele Arbeiter*innen in öffentlichen Betrieben wie Krankenhäusern oder dem Botanischen Garten arbeiten mit befristeten Verträgen, für Niedriglöhne, außerhalb der Tarifverträge. Dessen ungeachtet nutzt die Gewerkschaftsbürokratie jedes Jahr den internationalen Kampftag der Arbeiter*innen, um Werbung für die Hartz-Partei zu machen.
Doch direkt hinter Müller liefen die „Harten vom Garten“, jene Beschäftigte vom Botanischen Garten, die seit Monaten wir die Löwen gegen Tarifflucht und Entlassungen kämpfen. „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ forderten sie, und störten damit das „perfekte Wochenende“ des Bürgermeisters, der am Vortag auf dem SPD-Parteitag zum Landeschef und Kandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im September gewählt wurde. Während seiner ganzen Rede wurde eine Sprechblase hinter seinem Kopf gehalten: „Sei prekär, sei unterbezahlt, sei Berlin“. Die Bürokratie hatten einen riesigen Sicherheitsbereich um die Bühne aufgebaut. Sie wollten verhindern, dass kritische Mitglieder irgendwie zu Wort kommen, so wie die junge GEW vor zwei Jahren die brutale polizeiliche Räumung von Geflüchteten aus dem DGB-Haus auf offener Bühne anprangerte. Aber sie musste trotzdem die prekär Beschäftigten des Landes Berlin auf die Bühne lassen.
Insgesamt war die DGB-Demonstration mit rund 5.000 Teilnehmer*innen deutlich größer als in früheren Jahren. In den letzten Wochen fanden viele Tarifauseinandersetzungen, Streiks und Mobilisierungen statt, etwa im öffentlichen Dienst oder in der Metallindustrie, weshalb viele Beschäftigte mehr Kontakt zu ihren Gewerkschaften haben als gewöhnlich. In der Menge gab es auch kritische Kolleg*innen. So forderte die Basisgruppe „ver.di aktiv“ bei der BVG, entgegen der leeren Versprechen des Bürgermeisters, das sofortige Ende aller Befristungen und eine aktive Gewerkschaftsbasis.
Hinten lief ein klassenkämpferischer Block, der den Kampf von Migrant*innen, Geflüchteten und prekär Beschäftigten in den Mittelpunkt stellte. Hieran beteiligten sich auch die Trotzkist*innen von RIO und der RKJ. Dabei waren auch Brasilianer*innen, die gegen den rechten Putsch in Brasilien protestierten.
Um 18 Uhr startet die revolutionäre Demonstration am Oranienplatz – trotz eines polizeilichen Verbots. Zu erwarten ist, dass diese Demo – wie in früheren Jahren – die Teilnehmer*innenzahl der Gewerkschaftsdemo deutlich übertrifft. Aber auch hier müssen kämpferische Arbeiter*innen ihre Forderungen hörbar machen, damit es nicht bei einem folklorischen Aufzug bleibt.