Gewerkschaften und Fridays for Future: Politischer Streik als ungenutztes Machtmittel

19.09.2019, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag

Richtig streiken für die Energiewende – aber nicht, um sie aus eigener Tasche zu zahlen: "Fridays for Future" befeuert Debatte in Gewerkschaften. Ein Veranstaltungsbericht von Claudia Wangerin.

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Seit Anfang August ist klar: Die Gewerkschaft Verdi ruft ihre Mitglieder zur Teilnahme am „Klimastreik“ der Jugendbewegung „Fridays for Future“ am 20. September auf – allerdings nur, wenn sie die Möglichkeit haben, sich dafür freizunehmen. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) scheint auf den ersten Blick den Ernst der Lage zu erkennen und erklärt auf seiner Internetseite: „Klimaschutz geht nur sozial. Der Weg in eine kohlenstoffarme Zukunft ist alternativlos, er muss gerecht gestaltet sein und darf niemanden zurücklassen.“ Dann folgt aber der Verweis auf die deutsche Rechtslage, dass ein Streik „nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen“ zulässig sei – also keine politischen Ziele haben darf, die nicht tariflich geregelt werden können. »“rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich mit den Aktionen von Fridays for Future solidarisieren und an Demonstrationen teilnehmen wollen, sollten das geltende Arbeitsrecht beachten und sich für diese Zeit freinehmen“, so der DGB.

Das sei aber dann gar kein Streik, betonen mehrere hundert Gewerkschafter*innen, darunter Betriebsräte, Vertrauensleute und hauptamtliche Funktionär*innen, die mit einer Unterschriftenaktion seit dem 20. August einen offiziellen Streikaufruf fordern. Auch die Schüler*innen von „Fridays for Future“ hätten wohl nicht soviel Aufmerksamkeit erregt, wenn sie nicht zur Unterrichtszeit, sondern erst samstags demonstrieren würden. „Die Jugendlichen machen das richtig“, sagte Aimo Tügel, der dem Gesamtpersonalrat der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) angehört und am Samstag mit einer gelben Verdi-Weste zum Podiumsgespräch über „Gewerkschaften im Klimastreik“ in der Berliner Humboldt-Universität erschienen war.

Vielleicht sei das Arbeitsrecht einfach nicht für eine Situation gemacht, die selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel als „Menschheitsherausforderung“ bezeichnet habe, so Dominik Kramer von „Fridays for Future“, der mit Tügel auf dem Podium saß. „Generalstreik ist eines der effektivsten friedlichen Mittel für gesellschaftliche Veränderung“, so Kramer. Ohne die Beschäftigten gehe gar nichts: „Sie sind die Mitte und das Rückgrat unserer Gesellschaft.“ Natürlich bräuchten sie sichere Arbeitsplätze – die gebe es aber nicht auf einem toten Planeten. Mehrfach wurde betont, dass im Bereich Solarenergie in den letzten zehn Jahren 60.000 zukunftsfähige Arbeitsplätze vernichtet worden seien – zur Zeit sei aber viel öfter die Rede von etwa 20.000 gefährdeten Jobs in der klimaschädlichen Kohleindustrie. Im Fall des geforderten Kohleausstiegs bis 2030 müssten eben Umschulungen oder bezahlte Freistellungen für ältere Beschäftigte finanziert werden. Die Frage sei nur, von wem.

Mit Tügel und Kramer diskutierten der Historiker Uwe Fuhrmann und der Physiker Hartmut Ehmler – einer der 26.000 Wissenschaftler*innen von „Scientists for Future“, die sich im Frühjahr öffentlich mit der Jugendbewegung solidarisiert hatten, nachdem der FDP-Chef Christian Lindner verlangt hatte, doch lieber auf „Profis“ zu hören.

Fuhrmann ging auf die Geschichte des politischen Streiks in Deutschland ein und hob dabei hervor, wer hierzulande durch Rechtsgutachten und Kommentare solche Arbeitskampfmaßnahmen illegalisiert hatte – nämlich Juristen wie Ernst Forsthoff und Hans Carl Nipperdey, die schon während der Nazizeit Karriere gemacht hatten. Nipperdey hatte sogar das „Arbeitsordnungsgesetz“ von 1934 mitverfasst; später erstellte er ein Gutachten über „Ersatzansprüche für die Schäden, die durch den von den Gewerkschaften gegen das geplante Betriebsverfassungsgesetz geführten Zeitungsstreik vom 27. bis 29. Mai 1952 entstanden sind“. Damit war der Grundstein für die bis heute in der BRD geltende Rechtsauffassung gelegt. Fuhrmann erklärte dazu, das Brechen mit Nazitraditionen sei „eigentlich immer eine gute Idee und so ein kleiner Weltuntergang auch ein guter Anlass“. Es sei eine Frage des Kräfteverhältnisses, ob ein solcher Streik juristische Folgen habe – das hänge auch davon ab, „ob es Kläger gibt, die sich der öffentlichen Meinung stellen wolle“«.

Ehmler hatte zuvor betont, dass es aus wissenschaftlicher Sicht absolut unvertretbar sei, eine Erderwärmung von mehr als zwei Grad durch den Ausstoß von Treibhausgasen zuzulassen – Anstrengungen für eine Begrenzung auf 1,5 Grad seien nötig. Und ein hochentwickeltes Land dürfe sich für die Senkung seiner Emissionen nicht genausoviel Zeit nehmen wie ärmere Länder, sagte Ehmler.

Über die Notwendigkeit des Einsatzes von „Machtmitteln“ der Gewerkschaften für das Gesamtziel einer sozial gerechten Energie- und Verkehrswende gab es hier zumindest mehr Einigkeit als über den Sinn einzelner Forderungen – wie etwa die nach einer CO2-Steuer, die bei „Fridays for Future“ als eine von vielen gestellt wird. Dafür seien Beschäftigte nicht mobilisierbar, eher würden sie dagegen Widerstand leisten, sagte ein älterer IG-Metaller während der Publikumsdiskussion. Auch der Personalrat und U-Bahn-Fahrer Tügel betonte, er sehe nicht ein, warum anstelle der Konzerne die Verbraucher*innen und Beschäftigten zahlen sollten.

Das Recht auf politischen Streik gebe es, sagte Tügel. „Ob es uns zugestanden wird von irgendwem, ist eine andere Frage.“ Es sei eben „ein Recht, das wir uns kollektiv nehmen müssen“. Auf der Berliner Streikdemonstration am 20. September würden Beschäftigte eigene Akzente setzen, kündigte er an. Im Block der Eisenbahngewerkschaft EVG wird es voraussichtlich auch Kritik an den Grünen und ihrer Verkehrssenatorin Regine Günther geben. Deren Überlegungen zur Zerschlagung der Berliner S-Bahn seien nicht im Sinn einer ökologischen Verkehrswende, heißt es.

Dieser Bericht ist zuerst in der jungen Welt veröffentlicht worden.

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