Gewerkschaften müssen wieder kämpfen

11.12.2023, Lesezeit 7 Min.
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Bild: Baki / Klasse Gegen Klasse

Der aktuelle Abschluss beim Tarifvertrag der Länder sorgt für viel Unmut unter Kolleg:innen. Wir wollen deshalb für Gewerkschaften kämpfen, die demokratisch von Beschäftigten geführt werden und nicht von den Funktionär:innen.

Am Wochenende hat die Bundestarifkommission der Länder das Verhandlungsergebnis in der TV-L-Runde verkündet. Die Bilanz fällt dabei mehr als ernüchternd aus. Zwar hat die ver.di-Führung eine digitale Mitgliederbefragung angekündigt, verbindlich ist die jedoch nicht. Das ist aber kein Unfall der Geschichte, sondern bittere, undemokratische Realität in unseren Gewerkschaften. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Schon Anfang des Jahres hat die ver.di-Führung bei der Post die überwältigende Zustimmung der Kolleg:innen für eine unbefristeten Streik ignoriert und trotzdem einen Tarifabschluss ausgehandelt. In Berlin streiken zudem die Lehrer:innen seit über zwei Jahren für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz (TV-G), um Überlastung und unerträgliche Arbeitsbedingungen zu beenden. Die junge GEW Berlin forderte bereits in der Vergangenheit einen Erzwingungsstreik, um den TV-G durchzusetzen. Jedoch hat sich die GEW-Führung mehrfach über das Votum von Streikversammlungen hinweggesetzt. Frustration unter Kolleg:innen und zahlreiche Austritte aus den Gewerkschaften sind immer wieder die Folge. Wir wollen uns damit nicht abfinden.

Gewerkschaften müssen politisch kämpfen

Zu der aktuellen Krise kommen geplante Milliardenkürzungen im Bund und in den Ländern, und zwar insbesondere in den Bereichen Soziales, Bildung, Gesundheit und Klima, während der Bundeswehr-Etat nicht angetastet wird. Steigende Preise in den Supermärkten, steigende Mieten und Energiekosten fressen unsere Löhne systematisch auf. Die drohenden Kürzungen beim Bürgergeld und der Kindergrundsicherung werden die Lage für Millionen Menschen, insbesondere alleinerziehende Frauen, drastisch verschärfen.

Deshalb ist das Verhandlungsergebnis im TV-L nicht nur zu wenig, weil es einen Reallohnverlust festschreibt. Sondern auch die Chance wurde verpasst, die TV-L-Streiks zu einem Kampf gegen die Kürzungspläne in Bund und Ländern auszuweiten und mit den Streikbewegungen im Handel, bei der Bahn und anderen Branchen zu verbinden.

Die Gewerkschaftsführungen müssen deshalb auch gegen diese Kürzungen mobilisieren und weitergehende Forderungen wie die Einführung hoher Vermögenssteuern, die entschädigungslose Enteignung großer Immobilien- und Energiekonzerne unter der Kontrolle von Beschäftigten oder für eine gleitende Lohnskala erkämpfen, damit nicht die Armen, sondern die Reichen diese Krise bezahlen.

Gegen Krieg und Sozialabbau

Der Krieg in der Ukraine und insbesondere der Krieg in Gaza haben den Rechtsruck der letzten Jahre zusätzlich verschärft. Das zeigt nicht nur der Aufschwung der AfD oder der Union, sondern auch zahlreiche Umfragen, in denen Leute steigende Migration als größtes Problem der Bundesrepublik identifizieren und Einsparungen beim Bürgergeld fordern. Die Interessen von Geflüchteten werden dabei gegen die Interessen von uns Beschäftigten ausgespielt, weil sie angeblich zu viel Geld kosten würden. Dabei zeigen nicht zuletzt die 100 Milliarden Euro, die die Bundesregierung in die Aufrüstung steckt, dass Geld vorhanden ist. Die Bundesregierung nutzt es aber lieber zur Stärkung des deutschen Militarismus in der Welt, als notwendige Investitionen zu tätigen. Gewerkschaften müssen sich gegen die rassistische Spaltung und die Militarisierung stellen. Zwar sprechen sich unsere Gewerkschaftsführungen immer wieder symbolisch gegen Rassismus aus, praktisch passiert aber oft nicht viel. Wir brauchen gemeinsame Mobilisierungen und Streiks mit unseren migrantischen Kolleg:innen, die sich explizit für die Anerkennung aller Abschlüsse, sowie gegen Abschiebungen, Lohndumping und rechten Terror richten. Denn unter zunehmenden Kriegen und Krisen leiden letztlich Beschäftigte und Arme in aller Welt, während Banken und Konzerne aus ihnen Profite schlagen. Wir fordern deshalb, dass unsere Gewerkschaften auch internationale Solidarität praktizieren. Kolleg:innen in Großbritannien, Italien und Frankreich haben es bereits vorgemacht: Sie haben Waffenexporte in die Ukraine, nach Russland, Israel oder Saudi-Arabien blockiert. Doch das allein reicht uns nicht.

Wir sind die Gewerkschaft 

Wir haben heute keine Möglichkeit, unsere Funktionär:innen oder Mitglieder von Tarifkommissionen einfach abzuwählen. Egal, wie unzufrieden wir mit ihnen sind. Egal, wie viel Mist sie bauen und wie oft sie unsere Interessen ignorieren. Wir fordern deshalb, dass sie demokratisch gewählt werden und jederzeit wieder abwählbar sein müssen. Gleichzeitig braucht es immer wieder Versammlungen von allen Streikenden, auf denen offen diskutiert und für die Tarifkommissionen verbindliche Beschlüsse getroffen werden. Zudem müssen diese Posten regelmäßig rotieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass Mandatsträger:innen sich von unserer Arbeitsrealität nicht völlig entfremden.

Ein Beispiel, wie es heute schon Ansätze in diese Richtung gibt, an die wir anschließen können: An der Freien Universität Berlin gab es im Rahmen der TV-L-Runde eine Streikversammlung mit über 100 Kolleg:innen, darunter Kolleg:innen des Botanischen Gartens, die selbst vor einigen Jahren die vollständige Wiedereingliederung in die Freie Universität erkämpften, und studentisch Beschäftigte. Die Betriebsgruppe hat darüber hinaus die offiziellen Forderungen der Gewerkschaften als unzureichend kritisiert und bereits im August ein Positionspapier veröffentlicht.

Durchschnittlicher Arbeiter:innenlohn

Unsere Gewerkschaften werden aktuell von Funktionär:innen geführt, die teilweise ein Vielfaches von unserem Durchschnittsgehalt verdienen. Der Bundesvorsitzende Frank Werneke geht jeden Monat mit etwa 15.800 Euro brutto nach Hause, die Vorsitzende der IG Metall Christiane Benner sogar mit über 16.600 Euro brutto. Der durchschnittliche Arbeiter:innenlohn liegt bei etwa 4.105 Euro monatlich – also ein Viertel davon.

Warum ist das ein Problem? Diese Menschen vertreten uns in Tarifverhandlungen. Das heißt: Sie sitzen mit den Bossen an einem Tisch, sie entscheiden über die Annahme von Tarifergebnissen und die Beendigung von Streiks. Sie werden dafür bezahlt, zwischen unseren Bossen und uns zu vermitteln, obwohl sie vom Ausgang solcher Vermittlungen selbst gar nicht betroffen sind. Zugespitzt gesagt kann es Werneke ziemlich egal sein, ob fünf oder zehn Prozent Lohnerhöhungen bei Abschlüssen herauskommen.

Aus dieser Rolle ergibt sich immer wieder, dass sie oft eher im Interesse unserer Chefs Kompromisse aushandeln. Wir denken deshalb, dass der Lohn von Funktionär:innen dem entsprechen sollte, was wir beschäftigten Mitglieder im Durchschnitt verdienen. Nur so kann gewährleistet werden, dass sie nichts anderes vertreten als unsere Interessen.

Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft

Wir erleben, dass die sozialpartnerschaftliche Rolle unserer Gewerkschaftsführer:innen immer wieder dafür sorgt, Proteste einzudämmen.

Wir kämpfen deshalb für den Aufbau antibürokratischer und klassenkämpferischer Fraktionen in unseren Gewerkschaften, die sich gegen die Macht der heutigen Führungen stellen und für eine konsequente Perspektive unabhängig von Regierung und Kapital kämpfen. Wir wollen die Gewerkschaften also zurückerobern. Sie sind unsere Organisationen! Um das wirklich zu werden, müssen wir sie zu lebendigen Organen des Kampfes unter demokratischer Führung der Beschäftigten machen.

Das ist für uns Teil einer Perspektive, diese kapitalistische Gesellschaft zu überwinden, die Milliarden Menschen nur Elend, Perspektivlosigkeit und die Zerstörung des Planeten anzubieten hat. Wir kämpfen stattdessen für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung, für eine sozialistische Gesellschaft, in der Privateigentum abgeschafft ist, die Wirtschaft international statt nach den Interessen einzelner Kapitalist:innen nach den Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung geplant wird.

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