Gewalt gegen Frauen und faschistische Symbole: Ist die EM eine Bühne für Rechte?

12.07.2024, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Fanny Schertzer (Creative Commons)

Bei Fußballmeisterschaften kommt es zu erhöhter Gewalt gegen Frauen. Auch für rechte Ideologien bietet die EM eine internationale Bühne. Wieso ist das so und was können wir dagegen tun?

Naziparolen, Hitlergrüße, Bozkurtzeichen: Viele faschistische Symbole und Zeichen haben im und neben dem Stadion Platz gefunden bei der diesjährigen Europameisterschaft. Der Wolfsgruß von Merih Demiral, dem türkischen Nationalspieler, „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“-Gesänge auf Fanmeilen oder Hitlergrüße vor dem Eingang des Stadions. An sich nichts Neues: Zu jeder Meisterschaft, ob im internationalen Wettkampf oder in den nationalen Ligen, gibt es solche Aktionen. Dieses Jahr kamen diese Eskalationen vermehrt vor. Sie scheinen aber auch medienwirksamer zu sein, weil sie in einer Zeit von AfD-Skandalen passieren und selbst unpolitische Menschen das Thema Rechtsruck deutlicher auf dem Schirm haben als bei den Meisterschaften zuvor. 

Gleichzeitig zeigt sich erneut eine bereits erwiesene Studie: Die Gewalt gegen Frauen, vor allem die häusliche Gewalt, steigt. 25 Prozent der Befragten einer weiteren Studie geben an, mindestens einmal sexuelle Übergriffe im Stadion erlebt zu haben. Eine der bekanntesten Studien zeigte sich in England: Beim Sieg oder Unentschieden der Nationalmannschaft stieg die Gewalt nach dem Spiel um 26 Prozent – bei einer Niederlage sogar um 38 Prozent. Diese Zahlen sind nicht einfach darauf zurückzuführen, dass Fußballfans gewalttätiger als andere seien oder dass Alkohol der Grund für „Eskalation von Emotionen“ ist. Das Problem liegt viel tiefer im System – doch eine EM oder WM und auch andere Events wie beispielsweise Karneval und Oktoberfest in Deutschland erhöhen die Gewalt drastisch.

Wer ist schuld?

Eigentlich sollte für uns alle klar sein: Gewalttäter, Sexisten und Nationalisten haben nichts im Stadion verloren. Dass die UEFA hierzu keinerlei Lösungen bieten kann, liegt einzig und allein daran, dass es sie nicht interessiert. Das Einzige, was die UEFA bisher getan hat, waren symbolische Aktionen wie eine kurze Sperre des türkischen Nationalspielers, als er das faschistische Wolfszeichen zum Jubeln im Stadion nutzte. Oder als sich der Präsident der FIFA, Gianni Infantino, bei der WM 2022 in Katar hinstellte und in seiner sagenumwobenen Ansprache der Welt erklärte: „Heute fühle ich mich Qatari, arabisch, afrikanisch, schwul, behindert, ein migrantischer Arbeiter.“

Weder die UEFA in Europa, noch die FIFA weltweit sind großartig interessiert daran, was in Stadien passiert, solange die Kassen klingeln. Nein, viel eher nutzen sie alle Mittel der kapitalistischen Unterdrückung selbst. Bei der WM 2014 in Rio de Janeiro hat die FIFA den Bau von neuen Stadien genehmigt – und dafür das Zerstören von etlichen Favelas gebilligt. Menschen wurden dabei verletzt, getötet und aus ihren Häusern vertrieben, welche wiederum mit Bulldozern platt gefahren wurden, damit neue Stadien errichtet werden können. Deutlich tödlicher ist die FIFA mit migrantischen Arbeiter:innen bei der WM 2022 in Katar umgegangen. Katar hat gerade einmal knapp 600.000 katarische Einwohner – die anderen 2,3 Millionen Einwohner Katars sind migrantische Arbeiter:innen aus anderen Ländern wie Indonesien, Nepal, etc. Hunderttausende von ihnen mussten für die WM in Katar, für neue Stadien und Freizeitangebote, teilweise über 16 Stunden am Tag arbeiten und gleichzeitig in Zelten leben. Die Zahl der bei den Bauarbeiten an Hunger, Unterernährung, fehlender medizinischer Versorgung und Arbeitsunfällen getöteten Opfern liegt bei über 15.000 Migrant:innen.

Sexismus und Gewalt im Fußball – auch mit Todesfolge

Das Problem ist auch das Wegschauen der UEFA, wenn es um sexualisierte Gewalt geht. Nicht nur, wenn Übergriffe im Stadion passieren, sondern wenn sie von den Spielern selbst ausgeübt werden. Wir erinnern uns an den bislang schlimmsten Fall im deutschen Fußball – den Tod von Kasia Lenhardt. Kasia erhob 2019 Anklage gegen Jérôme Boateng wegen vorsätzlicher Körperverletzung, die 2020 aber vorerst eingestellt wurde. Im Februar 2021 gibt Boateng bekannt, dass er und Kasia nicht mehr zusammen sind – sechs Tage später wird Kasia tot in ihrer Wohnung gefunden. Was genau passiert ist, bleibt spekulativ. Was aber klar ist, ist, dass dieses Problem strukturell nicht ernst genommen wurde, sondern ganz im Gegenteil gesetzlich zur Verschwiegenheit gebracht wurde.

Nicht nur Boateng ist das Problem, mindestens sechs weitere Bundesligisten und Nationalspieler haben öffentlich angeklagte Verfahren wegen häuslicher und sexualisierter Gewalt gegen sich gehabt. Die meisten Fälle kommen aber gar nicht erst zur Anklage. Der Grund: Zu wenig oder keine Beweise. Wieso das aber nie bekannt wird, sind sogenannte Verschwiegenheitsverpflichtungen, wie im Beispiel Boatengs. Die Opfer werden gerichtlich dazu gedrängt, ein Dokument zu unterschreiben, das ihnen eine Veröffentlichung der Fälle verbietet. Im Schatten dieses Gesetzes können die Täter nahezu alles machen, was sie wollen, weshalb beispielsweise das Misstrauen gegen Kasias Suizid nachvollziehbare Hintergründe hat.

Unzählige weitere Fälle weltweit beweisen: Das Problem ist, dass viele dieser Taten in der Dunkelheit, weg von den Augen der Öffentlichkeit passiert. Es gibt keine genauen Zahlen, die uns belegen können, wie viele Fälle von sexualisierter Gewalt nie an die Öffentlichkeit kamen. Es ist schier unmöglich, sie alle zu erfassen. Was wir aber klar und deutlich sagen können ist, dass die UEFA und FIFA die Täter unterstützen und schützen, indem sie selbst zu allen Vorwürfen schweigen. Sie beschäftigen die Täter weiterhin im Profifußball, halten ihnen auf nationalen und internationalen Events eine Bühne offen, damit sie von all ihren Taten ablenken können. Auch der DFB ist in diesem Punkt nicht ansatzweise anders.

Das Problem ist ein System, dass diese Gewalt zulässt und sie selbst ausübt

Wir sehen also: Welt- und Europameisterschaften erhöhen das Risiko für häusliche Gewalt, für rassistische Aktionen und Alkohol- und Drogeneskapaden mit sexistischen, rassistischen Folgen. Doch der Ursprung des Problems sind nicht die Meisterschaften, sondern ein System, dass diese Zustände nicht nur zulässt, sondern sie selbst beflügelt und ausübt. Damit soll keine einzige sexistische oder rassistische Aktion verharmlost werden, sondern im Gegenteil: Wir wollen damit klarmachen, dass das Problem noch viel tiefer ist, als wir mit bloßem Auge sehen können.

Das kapitalistische System, das komplett auf Profit und Lohnarbeit ausgelegt ist, macht diese Situationen erst möglich. Haushalte werden immer noch größtenteils von Frauen geführt, die in einer Abhängigkeit von ihrem Mann leben müssen, weil sie nicht arbeiten können aufgrund von Kindern und Reproduktionsarbeit. Selbst arbeitende Frauen sind oft in Teilzeitberufen beschäftigt, um neben der Lohnarbeit trotzdem noch die Care-Arbeit zu Hause verrichten zu können. Noch dazu sind das oft Berufe, die unterbezahlt sind: Pflege, Kindererziehung, Reinigung, etc. Sie sind oft also finanziell abhängig von ihren Partnern.

Doch auch abseits davon sind Frauen nach einer Trennung oft nicht vollständig befreit aus Ex-Beziehungen. Woran wir das festmachen: die aktuellen Zahlen der Femizide in Deutschland. 155 Frauen wurden letztes Jahr aufgrund ihres Geschlechts getötet – von ihrem (Ex-)Partner oder Angehörigen ihrer Familie. Zahl von getöteten Queers sind hier noch nicht einmal mitgerechnet, auch sie erleben übermäßige Gewalt durch Partner:innen und Familienmitglieder.

Das Problem beginnt schon in der Vorbeugung der Gewalttaten: Staatliche Institutionen wie die Polizei machen nichts, können gesetzlich nichts machen, um diesen Straftaten vorzubeugen. Betroffene sexualisierter Gewalt suchen oft Auswege in polizeilicher und gerichtlicher Hilfe, werden jedoch in den meisten Fällen im Stich gelassen. Erst der Tod wird ernst genommen, aber selbst dieser Tod schafft es oft nur in eine Statistik und nicht in gewaltpräventive Initiativen. Noch dazu sind Polizisten oft selbst Täter in ihren eigenen Haushalten.

Spirale der Gewalt: Die Regierung macht mit

Was mit einem sexistischen Witz anfangen mag, kann schnell in einem Femizid enden. Innerhalb der Spirale der Gewalt gibt es etliche Ebenen, die von Diskriminierung in verbaler Form bis hin zu häuslicher Gewalt als Dauerzustand im Alltag reichen kann – und darüber hinaus.

Politiker:innen wie die der CDU, die das Problem eher im Gendern sehen, als in Gewalt und Sexismus, werden diese Zustände nicht verbessern. Politiker:innen wie die der AfD, die das traditionelle Familienbild – Frau macht Haushalt, Kindererziehung, etc. und Mann bringt die Kohle – aufrechterhalten und wieder zur Norm machen wollen, werden noch weniger vor sexualisierter Gewalt schützen. 

Aber auch Politiker:innen wie die der Ampelparteien, die sich mit Regenbogenfarben schmücken und für „woke“ halten, befeuern diese Gewaltspirale enorm, indem sie die materiellen Zustände von Frauen in gewaltvollen Haushalten verschlimmern. Sie schließen Zufluchtsorte wie Frauenhäuser, weil sie sich finanziell nicht rentieren. Sie erhöhen das Kindergeld gerade mal um fünf Euro, während sie sich selbst die monatlichen Diäten um über 600 Euro erhöhen. Sie kriegen jetzt also eine Erhöhung, die mehr als 100 Euro über dem monatlichen Bürgergeld liegt. Auch das verschärft die finanzielle Abhängigkeit von Frauen an ihre Partner. Die Sparpolitik der Bundesregierung wirkt sich maßgeblich darauf aus, wie schnell und hoch die Zahlen von häuslicher Gewalt steigen.

Während für Menschen in gewaltvollen Haushalten also nichts Hilfreiches getan wird, sondern ganz im Gegenteil Einrichtungen zum Schutz vor Gewalt geschlossen und finanzielle Mittel drastisch eingespart werden, wird das ganze Geld, was eigentlich da ist, für andere Dinge ausgegeben. Die Berliner Polizei bekam letztes Jahr 109 Millionen mehr für neue Waffen wie Taser. Die Bundeswehr bekam mittlerweile über 100 Milliarden (!) Euro für ihre Kriegspolitik – genau jene Politik, die gerade Kinder und Frauen weltweit in Massen zum Tode verurteilt.

Keine Hoffnung in die Regierung, sondern Selbstorganisierung!

Der einzige wirkliche Ausweg aus dieser Krise sind wir selbst. Kein Verbot der EM oder anderer Veranstaltungen wird das Problem lösen oder verringern. Nur wir allein können die Gegebenheiten und Umstände unseres Alltags verbessern. Nicht mit dem Gang zur Wahlurne alle vier Jahre, um die nächste Partei zu wählen, die diese Zustände weiterführen und bestenfalls nur mit minimalen Reformen schmücken wird. Sondern mit Selbstorganisierung, indem wir uns zusammentun mit unseren Nachbar:innen, Kolleg:innen und Freund:innen und gegen das System ankämpfen, das unsere Bundesregierung mit allen Mitteln aufrechterhält.

Genug mit finanzieller Abhängigkeit: Wir wollen endlich genug Geld im Monat haben, um uns selbst und unsere Kinder zu versorgen, ohne Doppeljobs zu arbeiten oder Angst vor gewaltvollen Partnern zu haben. Höhere Löhne müssen her, zusammen mit einer gleitenden Lohnskala, um auch vor Inflation und Preiserhöhungen im alltäglichen Leben geschützt zu sein. Es braucht auch die gleichmäßige Verteilung der Arbeit, damit nicht alles auf einer Person lastet, die dadurch in einer finanziellen Abhängigkeit durch den Partner gefangen ist.

Schluss mit der Sparpolitik im sozialen Sektor, aber auch in der Gesundheit und in der Bildung! Während die Zahl der Toten durch Femizide steigt, dürfen nicht weiter Frauen- und Mädchenhäuser geschlossen werden. Auch keine sozialen Einrichtungen unter dem Vorwand der Antisemitismusbekämpfung wie im Falle von FRIEDA Frauen*Zentrum und ihrem Mädchen*Zentrum Phantalisa und Alia. Antisemitismus bekämpft man nicht mit dem Schließen von sozialen Projekten für migrantische Frauen und Kinder.

Lasst uns also protestieren und streiken: Damit es keine Lohnabhängigkeit mehr gibt und Frauen sich leichter aus gewaltvollen Beziehungen trennen können. Damit wir selbstverwaltete Anlaufstellen für Opfer sexualisierter Gewalt organisieren können. Damit niemand mehr Angst vor dem (Ex-)Partner in den eigenen vier Wänden haben muss. Und damit wir jede weitere Kasia Lenhardt beschützen und ihren Tod verhindern können.

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