Gewalt an Frauen ist eine Klassenfrage

25.11.2020, Lesezeit 8 Min.
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Miguel Bruna on Unsplash

Zum heutigen 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, wird überall sichtbar, wie verbreitet und tödlich Gewalt an Frauen in Deutschland ist. Was viele jedoch nicht sagen: Gewalt an Frauen ist eine Klassenfrage, die sich während der Pandemie nur noch verschärft.

Vor wenigen Wochen stellte das Bundeskriminalamt (BKA) die Statistik der Fälle von „Partnerschaftsgewalt“ im Jahr 2019 vor: Insgesamt wurden 142.000 Fälle registriert, über 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Im schlimmsten Fall enden diese Fälle im Femizid, also dem Mord an Frauen. 2019 wurden mindestens 117 Frauen hierzulande durch ihren Partner oder Ex-Partner ermordet, 184 weitere überlebten den Versuch. Das heißt: In Deutschland wird fast jeden Tag versucht eine Frau umzubringen, nur weil sie eine Frau ist und alle drei Tage geschieht ein Femizid.

Diese erschreckenden Zahlen sind seit Jahren konstant. In der Coronavirus-Pandemie sind sie jedoch angestiegen und könnten es weiterhin tun. Das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ verzeichnet seit dem Beginn der Pandemie jede Woche 1.000 bis 1.100 Beratungen, wobei besonders die Beratungen im Bereich häusliche Gewalt angestiegen sind. Es ist jedoch davon auszugehen, dass besonders für die Zeit des Lockdowns eine sehr hohe Dunkelziffer existiert: „Sogar ein Telefonat sei für viele Frauen im Lockdown schwieriger, weil sich oft jemand im Nebenzimmer aufhalte, erklärte die Leiterin des Frauenhauses im fränkischen Schwabach, Andrea Hopperdietzel“.

Während an Tagen wie heute die drastische Situation ein großes Medienecho findet, werden die Ursachen häufig im Privaten verortet. Davon zeugt nicht nur der Name der BKA-Statistik, sondern auch Schlagzeilen, die von „Beziehungstaten“ oder „Familientragödien“ sprechen. Dabei zeigt eine Studie der TU München und des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, die von Prof. Dr. Janina Steinert und Dr. Cara Ebert durchgeführt wurde, deutlich: Gewalt gegen Frauen (und Kinder) steigt mit finanziellen Sorgen, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit, Depression und Angstzuständen. Ein besonders großer Anstieg ist im Falle der Heimquarantäne von Frauen zu verzeichnen. In der Studie wurden 3.800 Frauen im Alter von 18 bis 65 Jahren repräsentativ befragt. Um einige Beispiele hervorzuheben:

Durch die Quarantäne stieg der Anteil der Frauen, die physische Gewalt erfahren, von 2,18 auf 7,46 Prozent; der all jener, die vom Partner gezwungen wurden, das Haus nicht zu verlassen, von 1,3 auf 6,24 Prozent und derjenigen, deren soziale Kontakte durch ihren Partner kontrolliert wurden, sogar von 3,35 auf 10,5 Prozent.

Gab es große Sorgen um die finanzielle Situation, stieg der Anteil derjenigen Frauen, die unter physischer Gewalt leiden von 1,77 auf 8,39 Prozent an und statt 2,39 bestätigten nun 9,57 Prozent aller Befragten, die dieses Kriterium erfüllen, Angst vor ihrem Partner zu haben. Bei direkter Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit ließ sich eine Verdopplung von Fällen körperlicher Gewalt verzeichnen, über die nicht mehr 2,39, sondern nun 4,64 Prozent klagten.

Wir Arbeiterinnen werden den Kapitalismus stürzen

Die Zahlen zeigen klar, was sozialistische Feminist:innen schon immer sagen: Gewalt an Frauen ist keine Privatsache. Gewalt an Frauen ist auch keine individuelle Frage, die sich durch die Aggressivität einzelner, nun einmal sexistischer Männer erklären lässt. Gewalt an Frauen ist direkt mit gesellschaftlichen Strukturen und besonders mit gesellschaftlichen Krisensituationen verbunden. Patriarchale Gewalt ist tief in das kapitalistische System eingeschrieben und die Auswirkungen kapitalistischer Krisen wie Massenarbeitslosigkeit, Existenzängste und Depressionen sind direkte Ursachen für patriarchale Gewalt.

Um Gewalt an Frauen also tatsächlich wirksam zu bekämpfen und das Thema nicht nach jedem Fall letztendlich doch wieder in die Sphäre des Privaten zu verbannen, ist es zum Einen notwendig, dass Frauen finanziell und strukturell unabhängig von ihren Partnern sind, um im Falle von Gewalt nicht an ihn gefesselt zu sein. Zum anderen müssen wir gegen die gesellschaftlichen Ursachen, die sich in patriarchaler Gewalt entladen – wie Prekarisierung, Arbeitslosigkeit, die Individualisierung psychischer Krankheiten, die Individualisierung von Kindererziehung, Reproduktionsarbeit u.v.m. – kämpfen.

Diesen Kampf führen heute überall auf der Welt Frauen an: In den USA haben wir im vergangenen Sommer Nacht für Nacht die Polizei(gewalt) konfrontiert, im mehr als je zuvor unverzichtbaren Gesundheitssektor waren wir die Gesichter des TVöD-Streiks und in Argentinien sind wir die Protagonistinnen des Kampfes um Wohnraum.

Doch braucht es eine Verbindung unseres Kampfes um Befreiung mit dem der Arbeiter:innenklasse, die keinesfalls nur aus weißen Männern im Blaumann besteht, sondern noch nie zuvor so feminisiert und so rassifiziert war wie heutzutage. Trotz einer Unzahl an prekären und outgesourcten, oft migrantischen Frauen in ihren Reihen, steht sowohl Ausbeutung als auch Unterdrückung der Interessen der gesamten Klasse diametral entgegen. Deswegen und weil wir unserer Unterdrückung nur gemeinsam mit unseren männlichen Kollegen und Genossen ihre ökonomische Grundlage entziehen können, gilt es, Seite an Seite zu kämpfen. Feminismus ist keine Frauensache, sondern einer der wichtigsten Kämpfe, die uns dabei helfen, die materielle Kraft aufzubauen, die den Kapitalismus stürzen und damit unsere Unterdrückung an ihrer Wurzel angreifen kann.

Um diese Kraft aufzubauen schlagen wir folgende, unmittelbare Forderungen zur Bekämpfung patriarchaler Gewalt vor:

  • Mehr Hotlines, auch/besonders für geflüchtete, migrantische, queere und behinderte Menschen, damit sie sich in Situationen von patriarchaler und sexualisierter Gewalt an diese wenden können. Das bedeutet eine Finanzierung für professionelle Dolmetschdienste und durchgehende telefonische Erreichbarkeit.
  • Mehr Frauenhäuser und kostenloser und ausreichender Wohnraum, in dem Betroffene gefahrlos in Quarantäne können. Hierzu fordern wir die Enteignung von ohnehin aktuell nicht benötigten Hotels, um den Bedarf an Wohnraum für Betroffene von Gewalt, Geflüchtete, wohnungslose Menschen und alle, die Bedarf haben, zu decken.
  • Die Gründung von demokratischen, selbstorganisierten Frauenkomitees in Betrieben und in der Nachbarschaft, um eine kollektive Verantwortung zu übernehmen, funktionierenden Selbstschutz aufzubauen und Forderungen durchzusetzen. Der Staat und das Justizsystem bieten für Betroffene von Gewalt keine Lösung.
  • Angemessene Arbeitsmaßnahmen in Zeiten der Corona-Krise und darüber hinaus: Während der Zeit der Coronakrise ein komplettes Kündigungsverbot, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und bezahlte Freistellung bei Gewalterfahrung! Die Abwertung von als weiblich gelesener Arbeit schafft Abhängigkeitsstrukturen, deshalb braucht es Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich!
    Ein staatliches Pflege- und Erziehungsprogramm mit ausreichend Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen für die dort Arbeitenden.
  • Vergesellschaftung von Haus- und Sorgearbeit, also Unterbringung und Betreuung für Kinder und zu pflegende Angehörige, Versorgung mit Lebensmitteln, Waschsalons, die offen gehalten werden, … und zwar nicht als bezahlte Dienstleistung, sondern kostenlos für alle.

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