Generalstreik in Frankreich: Der Stolz unserer Klasse
#KGKinParis: Der Streiktag am 12. September war weit mehr als eine Machdemonstration der französischen Arbeiter*innenklasse im ganzen Land. Der gestrige Tag zeigte einmal mehr, welches Potenzial die Mobilisierung der Ausgebeuteten und Unterdrückten aufzeigen kann, um nach Rosa Luxemburg ein Leben zu führen, in der wir „sozial gleich, menschlich verschieden und vollständig frei” sein werden.
Die Straßen leer, die Läden geschlossen, der Himmel über uns dunkel. An Tagen wie diesen liegt die Spannung in der Luft, die Atmosphäre ist aufgeladen, besonders wenn es wie gestern der erste Mobilisierungstag inmitten eines langanhaltenden und erbarmungslosen Klassenkrieges ist. Ein Teil der Spannung liegt sicherlich darin, dass wir nicht wissen, wie viele Menschen zu den Streiks und Demonstrationen kommen werden. Wie wird unsere Klasse antworten auf die Angriffe einer Regierung, die sie als „faul, zynisch und extrem” bezeichnet und einen entschlossenen Eindruck davon gibt, die sozialen Errungenschaften im Arbeitsgesetz zu zerstören? Werden die Streiks ein Erfolg werden? Werden sich so viele Kolleg*innen wie möglich von der FO, der Gewerkschaft, dessen Führung nicht zu den Streiks aufgerufen hatte, beteiligen?
In den menschenleeren Straßen von Saint-Denis machen wir uns auf den Weg zur Vollversammlung der Studierenden der Universität Paris 8. Auch hier sind die Gedanken ähnlich: Wieviele Studierende werden kommen? Es ist die letzte Woche der vorlesungsfreien Zeit, erst nächste Woche werden alle Studierenden an der Uni sein. Trotzdem gibt es schon am Morgen direkt am Eingang einen Stand, der für die VV werben und informieren soll. Die Organisation wird hauptsächlich von der Jugendorganisation der PCF getragen, der Jeune Communiste (JC). Auch ein Gewerkschafter von der CGT ist da, um über den Streik zu informieren und auf die spätere Vollversammlung am Abend in der Bourse du Travail von Saint-Denis aufmerksam zu machen.
Trotz der widrigen Umstände werden rund 70 Studierende an der VV teilnehmen, die insgesamt einen taktischen Charakter haben wird. Auch an den Universitäten Paris 1, 6 und 7 wird es zu Vollversammlungen kommen, wobei an Paris 6 mit rund 100 Leuten die größte VV stattfinden wird. Ein kleiner Achtungserfolg, der bereits signalisiert, dass auch die Jugend den Kampf aufnehmen will — nachdem Macron auch ihnen das Wohngeld um fünf Euro gekürzt hatte während des Sommers.
Der Enthusiasmus der Jugend
Es ist üblich, dass nach den Vollversammlungen eine gemeinsame Anfahrt zur Demo gemacht wird. Die Stimmung unter uns ist euphorisch, am Mittag haben wir schon mitgekriegt, dass in der Streikhauptstadt Le Havre an der Atlantik-Küste mehr als 10.000 Protestierende versammelt waren. Ja, auf Le Havre ist immer Verlass! Nicht zu Unrecht haben sie sich den Titel der Streikhauptstadt durch die immer wiederkehrenden Hafenblockaden erworben. Le Havre ist aber auch das Synonym der Verschmelzung des Kampfes der Arbeiter*innen und der Jugend.
Die gemeinsame Anfahrt dient nicht nur zur gegenseitigen Sicherheit, sondern auch zur Motivation untereinander: Schon in der Metro werden Parolen gerufen, je näher wir zur Place de la Bastille kommen, wo die Demo starten soll, desto besser wird die Stimmung, die sowieso schon aufgeladen ist. Es ist beeindruckend, wie die gemeinsame Anfahrt zu einem politischen Happening wird, das signalisiert, dass heute unser Tag ist, unser Tag der Antwort, wo wir Macron und der Bourgeoisie zeigen, dass wir alles andere als gewillt sind, die Diktate des Kapitals einfach so hinzunehmen.
Ja, dieser Tag gehört allein den Arbeiter*innen und der Jugend! Auch als wir in Saint-Paul aussteigen, weil die Station Bastille gesperrt ist, kommt es zu einer Demonstration auf dem Weg zum Platz mit der bekannten Julisäule. Doch nicht nur wir, etliche weitere Menschen, besonders Arbeiter*innen der CGT, bewegen sich nur in Richtung Place de la Bastille. Auf dem Platz angekommen, sehen wir schon die verschiedenen Blöcke der Gewerkschaftssektionen aufgestellt: Eine endlose Reihe, die durch die bekannten Ballons auf den Autos der CGT gezeichnet ist.
Zu diesem Zeitpunkt wird uns klar: Die Mobilisierung wird ein Erfolg werden.
Und die Straße gehört uns!
Um die Spitze der Demo zu sehen, machen wir uns zunächst auf dem Weg nach vorne … und es wird ewig dauern, bis wir ankommen, weil die Demo ein riesiger Zug von Arbeiter*innen ist! Überall sind die Arbeiter*innen der CGT zu finden; es ist gleichzeitig eine Machtdemonstration dieser Gewerkschaft, welche die Führung im Kampf gegen das Loi Travail XXL beansprucht. Etwa 100.000 Menschen werden an diesem Tag die Straßen säumen und die Antwort der Arbeiter*innenklasse auf die „neoliberale Revolution” von Macron geben.
Um eine Vorstellung von der Größe der Demo zu geben: Am Auftaktort an der Place de la Bastille waren die letzten Blöcke noch gar nicht losgelaufen, als der Frontblock in der Nähe vom Place d’Italie, dem Ort der Abschlusskundgebung, war. Insgesamt also eine Demo von rund zwei Kilometern! Die Blöcke waren jeweils unterteilt nach den Branchen innerhalb der Gewerkschaften; der Jugendblock befand sich relativ weit hinten, was jedoch nichts daran änderte, dass er einer der kämpferischsten der gesamten Demo war.
Zu wissen, dass wir Teil von rund 400.000 Menschen waren, die an diesem Tage im ganzen Land auf die Straße gingen, bedeutet einen Schub an Selbstbewusstsein zu bekommen. Zum Vergleich: Zu Beginn des Kampfes gegen das Loi El Khomri im Frühling letzten Jahres waren es etwa 450.000 bis 500.000 Menschen. Nicht umsonst hieß es gerade am Ende der Demo: „Dies war nur der Beginn, setzen wir den Kampf fort!” Eine berühmte Anspielung an die 68er-Bewegung, die diesen Slogan populär machte.
Und der Kampf wird fortgesetzt werden! Nach dem Streiktag kann das französische Proletariat mit großer Zuversicht bereits die nächsten Streiks am 21. September organisieren.