Generalstreik in Brasilien: Gewerkschaften rufen zur größten Protestaktion gegen die Regierung auf
Kurz vor dem 1. Mai demonstriert die brasilianische Arbeiter*innenklasse ihre Stärke: Der von den Mehrheitsgewerkschaften aufgerufene Generalstreik könnte zum größten Streik der letzten Jahre in Brasilien werden. Linke Organisationen fordern die Gewerkschaften dazu auf, einen Kampfplan bis zum Sturz der Regierung aufzustellen.
Bild: Streiks der brasilianischen Bildungsgewerkschaften am 15. März, Quelle: GEW
Michel Temer ist nicht zu beneiden. Der brasilianische Präsident musste seit dem Beginn seiner Präsidentschaft mit massiven Protesten gegen ihn klar kommen. Große Demonstrationen griffen den institutionellen Staatsstreich an, mit dem sich Temer ohne Wahlen an die Macht putschte. Dazu kamen Schüler*innen, Student*innen und Lehrer*innen, die gegen eine Bildungsreform und die Schließung von Schulen demonstrierten.
Auch in den darauffolgenden Monaten wuchs seine Beliebtheit nicht. Das liegt vor allem an zwei Dingen.
Zum einen wurde Temer, Vorsitzender der Mitte-Rechtspartei PMDB, mit der Unterstützung der neoliberalen Rechten an die Macht geputscht, um das Land im Interesse des nationalen und imperialistischen Kapitals aus der tiefsten Krise seit den 30er-Jahren zu holen. Temers Programm ist ein einziger großer Angriff auf die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung: Seine Rentenreform sieht die Anhebung des Renteneintrittsalters vor, mit der Arbeitsmarktreform will er die Löhne senken und die Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden anheben. Beide „Reformen“ werden in Umfragen von 80 Prozent der Bevölkerung abgelehnt. Schon im letzten Jahr beschloss Temer, die Haushaltsausgaben für Bildung und Gesundheit für 30 Jahre einzufrieren. Und vor zwei Wochen legalisierte er das Outsourcing in allen Wirtschaftsbereichen.
Zum anderen gelingt es der neuen Regierung nicht, den Schlängen des Korruptionsskandals um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras zu entkommen. Eben jener Skandal hatte schon die Vorgängerregierung der sozialdemokratischen Arbeiter*innenpartei (PT) zum Fall gebracht. Doch auch im aktuellen Kabinett befinden sich acht Minister*innen, die wegen Korruptionsverdacht untersucht werden – obwohl schon zuvor mehrere korrupte Minister*innen gehen mussten. Erst kürzlich wurde eine Liste von 98 Abgeordneten veröffentlicht, die in den Geständnissen eines Vorsitzenden des ebenfalls im Korruptionsskandal verwickelten Baukonzerns Odebrecht genannt wurden. Auch Temer selbst steht unter Korruptionsverdacht, doch verbietet ein Gesetz, Präsident*innen für vor ihrer Präsidentschaft begangene Straftaten zu verfolgen.
Temer wurde von der Bourgeoisie an die Macht gebracht, um eben die brutalen Angriffe durchzuführen, die die PT zwar begonnen hatte, jedoch aufgrund der großen Unbeliebtheit nicht weiter führen konnte. Jetzt ist Temer selbst genauso unbeliebt wie seine Vorgängerin Dilma Rouseff, mit nur zehn Prozent Unterstützung für ihn. Kein Wunder, dass der Widerstand und die Wut unter den Arbeiter*innen und Jugendlichen steigt.
So gab es schon am 15. März einen Generalstreik der größten Gewerkschaften PT und CTB und Força Sindical. Dieser konnte in weiten Teilen die Wirtschaft des Landes lahmlegen und in Demonstrationen Zehntausende Arbeiter*innen auf die Straße bringen. Die Schulen und Universitäten blieben geschlossen und auch in der Industrie und im Verkehrsbereich erreichte der Streik eine enorme Geschlossenheit. Neben dem Streik war besonders die aktive und passive Unterstützung der Bevölkerung für die Kampfaktion gegen die Regierung ein klares Zeichen für die Schwäche der Regierung und die Möglichkeit, mit Massenkämpfen die Angriffe von Temer zurückzuschlagen.
Doch die Gewerkschaftsführungen verkündeten nach dem erfolgreichen Generalstreik eine Ruhepause und verschob die angekündigte Folgeaktion auf den 28. April. Anstatt die Kampfkraft und die gelungene Mobilisierung dafür zu nutzen, mit darauffolgenden Protesten die Regierung zur Zurücknahme der Renten- und Arbeitsmarktreform zu zwingen, wollten sie „Verhandlungsbereitschaft“ zeigen und verschafften so der Regierung eine Atempause.
Das hat verschiedene Gründe: CUT und CTB, die den reformistischen Parteien PT und der Kommunistischen Partei Brasiliens (PCdoB) nahestehen, wollen den Unmut der Bevölkerung auf die Wahlen 2018 und die Rückkehr der PT unter dem beliebten Anführer und Ex-Präsidenten Lula kanalisieren. Die Força Sindical setzt darauf, mit punktuellem Druck Einfluss auf die Reformen zu nehmen und sie „ertragbarer“ für die Massen zu machen.
Antikapitalistische Organisationen wie die Bewegung Revolutionärer Arbeiter*innen (MRT) mit Verankerung unter Schüler*innen, Studierenden und Arbeiter*innen verschiedener Sektoren fordern die Gewerkschaftsführungen zu einem unbefristeten Generalstreik auf, um die Angriffe von Temer zurückzuschlagen. Nur mit einem von der Gewerkschaftsbasis diskutierten Kampfplan und nicht mit Verhandlungen und Vertrauen in die Regierung kann dies gelingen. Der Generalstreik heute könnte ein wichtiger Ausgangspunkt für einen solchen Kampf werden.