Wie geht es weiter mit dem Streik im öffentlichen Dienst?
Ein gewerkschaftlicher Diskussionsvorschlag zum Kampf um den Tarifvertrag der Länder, Streikdemokratie, die Einheit des öffentlichen Dienstes und die Perspektive des Frauenstreiks.
Für bundesweit eine Million Beschäftigte im öffentlichen Dienst gilt der Tarifvertrag der Länder, übertragen werden soll er auf 2,3 Million Beschäftigte (außer Hessen, das eigene Verhandlungen führt). Es ist damit einer der wichtigsten Tarifkämpfe in diesem Jahr, in dem es mit Pflege, Erziehung und Sozialem auch darum geht, wie unsere Gesellschaft aussieht. Im öffentlichen Dienst geht es darum, wie Reproduktion organisiert sein soll und in welcher Situation sich Millionen arbeitende Frauen befinden. Deshalb geht es auch um zentrale Themen des Frauenstreiks.
Worum geht es in den aktuell laufenden Verhandlungen? Um sechs Prozent mehr Lohn, mindestens aber 200 Euro drauf und 100 Euro für Auszubildende, die Anhebung der Pflegetabelle um 300 Euro und eine Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten. Das alles ist es wert, dafür zu kämpfen und dabei für weitere Auseinandersetzungen wie gegen Personalnot Kraft zu sammeln, damit von den Staatsüberschüssen unten etwas ankommt – wie es bei der Streikdemonstration in Berlin von ver.di-Vertreter*innen gefordert wurde.
Zugleich jedoch beruht der TV-L auf einer riesigen Spaltung, ist er doch getrennt vom Tarifvertrag von Bund und Kommunen, dem TV-ÖD, und weiteren Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes. Deshalb muss es bei den öffentlichen Runden auch immer um Schritte zur Einheit der Lohnabhängigen gegen das allgegenwärtige Kaputtsparen gehen. Wenn der Streik also wirklich erfolgreich sein soll, müssen unsere Kampfmethoden zur umfassenden Einheit beitragen. Wir sehen die Verbindung mit einer Perspektive des Frauenstreiks als eine solche Möglichkeit, für die Einheit der Arbeiter*innenklasse insgesamt zu kämpfen. Außerdem sehen wir die Notwendigkeit, über die Fortsetzung des Streiks im Fall des Scheiterns Verhandlungen selbst zu entscheiden. Für diese Debatte möchten wir Vorschläge einbringen.
Für öffentliche Verhandlungen!
Zum zweiten bundesweiten Warnstreiktag am 26. Februar gingen Zehntausende auf die Straßen, allein in Bayern waren es zum Beispiel 7.000, in Berlin über 10.000. Darunter Erzieher*innen und Lehrer*innen, Arbeiter*innen im Straßenbau und Pfleger*innen oder Hebammen. Am 27. Februar waren es in Berlin sogar 16.000 Streikende aus allen Bereichen des öffentlichen Dienstes: Lehrer*innen, Erzieher*innen, Senatsverwaltungen, Bezirksämter, Universitäten, Bibliotheken, etc.. Aufgerufen waren auch die studentischen Beschäftigten, die im vergangenen Jahr einen neuen TVStud-Tarifvertrag erstreikt haben. Besonderes Highlight waren die Kolleg*innen der CPPZ, der outgesourcten Therapeut*innen der Charité, die sich schon seit dem 13. Februar im unbefristeten Streik befinden und gestern solidarisch beim Streik dabei waren.
Das alles zeigt: Der Leidensdruck ist groß und es mangelt nicht an Kampfbereitschaft. Der Streik ist auch der Moment, in dem sich viele überhaupt erst organisieren und somit eine Einheit herstellen, die die Kräfteverhältnis nach Jahrzehnten neoliberalen Kahlschlags in Frage stellen kann – wenn der Streik nicht kampflos abgebrochen wird.
Am Ende des Tages geht es also wie so oft darum, dass die Forderungen auch bis zum Ende aufrecht erhalten bleiben und die Verhandlungsführer*innen in Potsdam, wo sich die Tarifkommissionen der Gewerkschaften unter Ausschluss der Öffentlichkeit (und damit auch unter Ausschluss der kämpfenden Belegschaften) mit den Arbeitgeber*innen treffen, nicht vor der Gegenseite einknicken. Die Belegschaften sind streikbereit, auch für einen Erzwingungsstreik, das haben sie am Dienstag und Mittwoch bewiesen. Um sicherzustellen, dass in den Verhandlungen nicht wichtige Positionen des Streiks geopfert werden, möchten wir einen Vorschlag diskutieren: Lasst die Verhandlungen in aller Öffentlichkeit und mit Teilnahme der Mitglieder stattfinden.
Dieser Vorschlag wurde schon auf der 4. Streikkonferenz in Braunschweig vor einem Monat diskutiert. Davon berichtet hatte Jane McAlevey aus den USA, bei den Teilnehmer*innen kam dieser Vorschlag sehr gut an, die Verhandlungen transparent zu machen. Am Ende des Tages sollten Streikende selbst über die Fortsetzung ihres Streiks entscheiden können. Wir möchten vorschlagen, dass im öffentlichen Dienst die Verhandlungen für Streikende öffentlich gemacht werden, denn wir sind der Meinung, dass Arbeitende sehr gut in der Lage sind, ihre eigene Situation selbst zu beurteilen – wenn die Verhandler*innen im Sinne der Streikenden und Mitglieder verhandeln, sollten sie diesen Vorschlag begrüßen.
Ein Tarifvertrag für alle im öffentlichen Dienst!
Schließlich ist es auch das Bestehen verschiedener Tarifverträge des Öffentlichen Dienstes selbst, was uns spaltet. Wir sind für eine Zusammenführung in einen allgemeinen öffentlichen Tarifvertrag, für den alle gemeinsam streiken können und in dem die untersten Lohngruppen ersatzlos gestrichen werden. Das heißt: Wiedervereinigung von TVÖD, TVL, Nahverkehrs- und Versorgungstarifverträgen, und Rückführung aller privatisierten Tochterunternehmen in die Muttergesellschaften des Öffentlichen Dienstes.
Denn der öffentliche Dienst gehört zusammen und niemand verdient es, mit Dumpinglöhnen bezahlt zu werden. Die Kampfkraft für kommende Auseinandersetzungen wie um mehr Personal würde enorm gestärkt, könnte der ganze öffentliche Dienst gemeinsam für einen Tarifvertrag streiken, und das Auseinanderklaffen der Tarifverträge wäre damit auch Geschichte.
Alle wissen, dass verschiedene Verträge ein Übel sind, aber wir brauchen endlich Mittel, um sie zu überwinden. Ein erster notwendiger Schritt ist, dass die Tarifverträge gleichzeitig enden. Weiterhin schlagen wir vor, dass in den Gewerkschaften Versammlungen zum Zusammenlegen von TV-ÖD, TV-L und weiteren Tarifverträgen stattfinden und ein Kampfplan zur Erfüllung dieses Ziels erarbeitet wird.
Für einen Frauenstreik!
Die Durchsetzung der Forderung und die Herstellung der Einheit schließlich führt zu unserem letzten Punkt: Lasst uns eine Verbindung zur Perspektive eines gewerkschaftlichen Frauenstreiks in den Gewerkschaften diskutieren.
Beim Streik im öffentlichen Dienst geht es einmal um unsere Forderungen, die einfach dringend nötig sind, um würdig leben zu können. Wie eine Rednerin von ver.di auf der Abschlusskundgebung in Städten wie München sagte: „Die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes rühmen sich damit, so familienfreundlich zu sein. Aber Familie muss man sich erstmal leisten können.“ Viele können das nicht, und haben durch die Erziehungs- und Hausarbeit eine zusätzliche Belastung. Das betrifft besonders Frauen, die sowohl die öffentliche als auch die private Daseinsvorsorge zu einem großen Teil stemmen müssen.
Der Streik bleibt aber nicht nur in den notwendigen Abwehrkämpfen gegen die alltäglichen Zumutungen des Neoliberalismus stecken. Es ist auch ein Moment, in dem wir uns zusammentun und organisieren, in dem wir uns auf der Straße und vor den Betrieben selbst vertreten. Das machen wir, damit wir eben nicht ewig diese Abwehrkämpfe führen müssen, sondern irgendwann mal ein gutes Leben haben. Ein Leben, in dem zum Beispiel die Anforderungen der Familie zur Reproduktion nicht die Privatsache einer übergroßen Mehrheit von Frauen und einigen Männern sind, sondern sich niemand materielle Sorgen um Erziehung, Haushalt, Pflege machen muss und Beziehungen auf freier Basis stattfinden können.
Die Situation von Hebammen und schwangeren Frauen illustriert den direkten Zusammenhang zwischen Frauenstreik und öffentlichem Dienst. Nicht nur ist die Personalsituation von Hebammen furchtbar, das Geld zu wenig, besonders in der Ausbildung. Sondern es sind Frauen, die den Sparkurs im öffentlichen Dienst am Ende zu spüren bekommen, sowohl in der Schwangerschaft als auch in der Arbeit. Unterdessen gibt es weder freien und kostenlosen Zugang zu Verhütung, was zum Beispiel für arbeitslose Frauen ein echtes Problem ist, noch zur Erziehung, wenn man in München überhaupt einen Platz bekommt. Und Schwangerschaftsabbrüche sind nach wie vor nicht legal, und die Reform von §219a (Informationsverbot zu Schwangerschaftsabbruch für Ärzt*innen) der GroKo in Berlin verbietet nach wie vor eine volle ärztliche Aufklärung. Diese Liste ließe sich fortsetzen, und besonders migrantische und geflüchtete Frauen, die in prekären Sektoren arbeiten oder aufgrund ihres Aufenthalts in Deutschland Arbeitsverbot haben, erleiden all diese Zumutungen doppelt und dreifach.
Die Verbindung zum Frauenstreik ist daher so wichtig für die Kämpfe um besseren öffentlichen Dienst. Es wäre sektiererisch, wenn Gewerkschaftsführungen diese Einheit verweigern. Mit einer Ablehnung des Frauenstreiks stoßen Funktionär*innen nicht nur den Aktivist*innen vor den Kopf, die oft aktive ver.di-Mitglieder sind. Sie schaden auch allen Beschäftigten des Organisierungsbereichs, da der Frauenstreik keineswegs eine private Bespaßung einiger Aktivist*innen ist, sondern eine weltweite Bewegung vor allem lohnabhängiger Frauen für die interessen der ganzen lohnabhängigen Klasse.
Der 8. März ist ein Anfang
In einigen Bundesländern rufen Gewerkschaften wie ver.di und die GEW zumindest zu den Demonstrationen am 8. März auf. Das begrüßen wir. Doch es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn diese Aufrufe nicht auch durch tatsächliche Aufrufe zum Streik untermauert werden, damit wirklich die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung am Internationalen Frauenkampftag teilnehmen kann. Auch in Berlin, wo der 8. März ein Feiertag ist, sollte dieser Tag ein Streiktag sein. Denn gerade die öffentliche Daseinsvorsorge macht vor Feiertagen keinen Halt.
So kann eine Tarifrunde allein nicht genug sein, um bescheidene Forderungen nach guter Arbeit und gutem Leben zu erfüllen. Dafür steht der Frauenstreik, in dem Menschen aller Geschlechter für die Zusammenführung der Kämpfe eintreten. Dazu sind besonders die Gewerkschaften nötig, denn sie können zu echten Streiks aufrufen und damit Macht ausüben, und wir wollen nicht weiter nur bitten, sondern wir fordern, wie die argentinische Feministin Andrea D’Atri in einem Vortrag vor 120 Menschen in München sagte – und die dortige Frauenbewegung macht vor, dass Frauenkämpfe eine Avantgarde der Klassenkämpfe insgesamt sein können und der Verzicht auf den Frauenstreik dem Verzicht auf die Durchsetzung der Interessen aller Arbeiter*innen gleichkommt.
Nur mit Basisdemokratie können wir die Gewerkschaft in der Gesundheit und im öffentlichen Dienst insgesamt stark machen, damit wir bessere Tarife erhalten, aber auch Kämpfe um die öffentliche Daseinsvorsorge insgesamt führen und gewinnen können. Lasst uns zusammen diskutieren, über die Öffnung der Tarifverhandlungen und demokratische Streikbeschlüsse, über die Perspektive der Zusammenführung der Tarifverträge und die des Frauenstreiks als gewerkschaftlichen Kampf.