Gegen Kürzungspolitik und Schwarze Null: Bundesweite Streiks im Gesundheitssystem!

05.08.2020, Lesezeit 15 Min.
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Der "Corona-Bonus" der Bundesregierung ist angesichts der Lage der Krankenhausbeschäftigten nur ein schlechter Witz. Verbesserungen sind nicht in Sicht, während die Regierung mit neuen Kürzungen droht. Durch Verhandlungen und Appelle wird sich nichts ändern – wir brauchen Streiks!

Bild: © Ingo Müller / ver.di

Über die Situation im Gesundheitssystem wird seit dem Beginn der Corona-Pandemie viel diskutiert. Die Folgen der Kürzungspolitik der Regierung im öffentlichen Dienst und besonders im Gesundheitssektor treten verstärkt an die Oberfläche. Die Schwarze-Null-Politik der Bundesregierung zeigt ihr eigentliches Ziel während der Wirtschaftskrise deutlicher denn je: Möglichst viel bei den Leistungen und Löhnen der Arbeiter*innen kürzen, um Milliarden-Hilfen für die Unternehmer*innen und Kapitalist*innen zu finanzieren.

Gleichzeitig werden Steuern für Unternehmen gesenkt, unbegrenzte Kredite zur Verfügung gestellt oder durch die Kurzarbeiter-Regelung Löhne gespart, weil diese aus Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeiter*innen finanziert werden, was geschenktes Geld für die Unternehmer*innen und große Einbußen für die Beschäftigten bedeutet. Wir haben nicht vergessen, dass besonders große Industrieunternehmen in den letzten Jahren Millionen- oder sogar Milliardengewinne gemacht haben.

Dass selbst Pfleger*innen während der Krise davon berichteten, dass sie in ihren Krankenhäusern trotz ohnehin schon herrschendem Personalmangel in Kurzarbeit geschickt wurden, zeigt zusätzlich, welche absurden Züge ein gewinnorientiertes Gesundheitssystem annehmen kann. Gleich im März wurden darüber hinaus 600 Milliarden Euro Hilfen für die Wirtschaft beschlossen, während nur drei Milliarden in den Gesundheitssektor fließen sollten.

Die SPD spielt in der Regierung eine besonders verräterische Rolle. Bereits zu Beginn der Pandemie in Deutschland hat sie im Eilverfahren die Arbeitszeitregelung für Beschäftigte in wichtigen Sektoren, wie den Krankenhäusern oder dem Einzelhandel, für drei Monate gelockert. Beschäftigte sollen bis zu zwölf Stunden arbeiten und gleichzeitig weniger Ruhezeiten bekommen. Diese Verordnung gilt zwar nicht mehr. Das Arbeitszeitgesetz wurde jedoch in dem Sinn geändert, dass solche Maßnahmen immer wieder eingeführt werden können.

Und da macht die unternehmensfreundliche Politik natürlich nicht halt. Bis 2024 rechnet das Bundesfinanzministerium unter Olaf Scholz (SPD) mit 300 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen und will dieses Problem durch ein Festhalten an der Schwarzen Null lösen. Das bedeutet, dass die Arbeiter*innenklasse eine erneute Kürzungswelle im öffentlichen Dienst erwartet, um diese Unternehmenshilfen nachzufinanzieren.

Dass sich unter anderem die IG-Metall-Führung jetzt dafür einsetzt, die maximale Kurzarbeit-Bezugsdauer auf 24 Monate auszudehnen, oder dass die ver.di-Führung ursprünglich vorgeschlagen hatte, die Tarifrunde im öffentlichen Dienst (TVöD 2020) auf nächstes Jahr zu verschieben, ist nur ein weiteres Indiz, dass die Gewerkschaftsbürokratie lieber die Regierung stützt, als die Interessen der Kolleg*innen zu verteidigen.

Sowohl die reformistischen Parteien, wie die SPD oder die Linkspartei als auch die Gewerkschaftsführungen, stehen hinter der Politik der Regierung im Interesse der Unternehmen und werfen kein alternatives unabhängiges Programm im Interesse der Arbeiter*innen auf.

Gegen den Ausverkauf unserer Interessen und weitere Angriffe auf uns, durch Kürzungen, Kurzarbeit, Schließungen und Entlassungen, sowohl im öffentlichen Dienst als auch im privaten Sektor, müssen wir Widerstand organisieren.

Wie kann aus diesen Kämpfen heraus ein politischer und gesamtgesellschaftlicher Widerstand der Arbeiter*innenklasse gegen die Angriffen der Regierung und Kapitalist*innen entstehen? Wie kann ein Ausweg aus der Krise im Interesse der Beschäftigten aussehen? Was für eine Rolle können da die Krankenhausbeschäftigten spielen, die besonders in der Corona-Pandemie eine essenzielle Rolle für die Gesellschaft spielen?

Die Situation in den Krankenhäusern und eine Kampfperspektive gegen die Regierung

Im Zuge der Neoliberalisierung des Gesundheitssystems wurden in den Krankenhäusern Sparmaßnahmen und massive Personalkürzungen durchgezogen, durch das DRG-System ein marktwirtschaftliches Modell im Interesse der Versicherungs- und Medizinkapitals implementiert, Kern- und Teilbereiche ausgelagert oder ganze Einrichtungen privatisiert. Es ist schlicht im Interesse der Kapitalist*innen und ihrer Regierung, sämtliche Aspekte der Gesellschaft der Profitlogik zu unterwerfen. Um die Löhne an privaten Einrichtungen so weit wie möglich zu drücken, darf es auch an öffentlichen Krankenhäusern keine allzu hohen Löhne geben.

Vor allem Frauen sind es, die in sozialen und Pflegeberufen an vorderster Front gegen die Pandemie kämpfen. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit sind fast drei Viertel der Beschäftigten in diesen Berufen weiblich. Gleichzeitig werden sie besonders schlecht bezahlt. Diese Ungleichheit hat sich in der Krise noch einmal verstärkt. Einerseits, weil Lohnkürzungen Menschen mit geringem Einkommen deutlich härter treffen. Andererseits wurden aber auch die Schließungen von Kitas und Schulen zu einer besonderen Doppelbelastung für viele Frauen. Denn Hausarbeit und Kindererziehung werden immer noch in überwältigendem Maß von ihnen erledigt.

Die neoliberale Kürzungspolitik ist nicht nur die Folge der Regierungen, die offen die Interessen des Kapitals vertreten wie die CDU oder FDP, sondern findet ebenfalls maßgeblich unter vermeintlichen linken Regierungen aus SPD, Linkspartei und Grünen statt, die wie in Berlin eine drastische Kürzungspolitik in Krankenhäusern durchgesetzt haben. Und das, obwohl diese Parteien im Wahlkampf für Verbesserungen im Pflegesektor und für die Arbeiter*innen agitieren. Jedoch sind sie in ihrer Rolle als regierende Parteien dazu gezwungen (oder haben selber das Interesse, um an der Regierung zu bleiben), die Interessen der Investor*innen, von Aktionären und Unternehmen durchzusetzen.

Das heißt, dass wir als Beschäftigte nicht auf Regierungsprojekte oder angeblich wohlwollende Appelle der Parteien vertrauen können, sondern für unsere Interessen gegen die Regierung und ihre Politik mit Streiks kämpfen müssen. Seit mehreren Jahren kämpfen die Krankenhausbeschäftigten in unterschiedlichen Bündnissen und Streikbewegungen gegen die miserablen Bedingungen an Krankenhäusern, wie aktuell in Berliner Krankenhäusern für einen Corona-Pakt.

Der Kampf für einen Corona-Pakt in Berlin

An den Berliner Krankenhäusern gibt es seit Jahren eine Bewegung gegen Personalmangel, Outsourcing und Niedriglöhne. Trotz der Politik der Gewerkschaftsbürokratie in den vergangenen Jahren, diese Kämpfe voneinander getrennt zu halten, gibt es eine gemeinsame Organisierung für einen sogenannten „Corona-Pakt“ in Berlin.

In den aktuellen Verhandlungen werden die Beschäftigten der beiden größten Berliner Krankenhäuser Charité und Vivantes samt ihrer Tochterunternehmen gleichermaßen beteiligt. Während in den vergangen Jahren oft Streiks und Verhandlungen seitens der Gewerkschaftsführung getrennt voneinander geführt wurden.

Allgemein fordern sie eine ausreichende Finanzierung der Krankenhäuser, sowie Schutzmaßnahmen, um Arbeiter*innen und Patient*innen besser vor Ansteckungen zu schützen.

Drei der Forderungen stellen die „marktgerechte“ Ausrichtung der Kliniken teilweise in Frage:

1. Es soll dauerhaft mehr Personal eingesetzt werden, um die Arbeitsbelastung zu senken.
2. Die Fallpauschalen des DRG-Systems sollen zumindest zeitweise ausgesetzt werden.
3. Die ausgelagerten Tochterunternehmen (die an Berliner Kliniken viele Tausend Beschäftigte umfassen) sollen an den Tarifvertrag der Muttergesellschaften (TVöD) durch eine Eingliederung angeglichen werden.

Die eine Grenze des Kampfes ist, dass seitens der ver.di-Führung entlang ihrer Entscheidung, mit Beginn der Corona-Epidemie in Deutschland zunächst alle Streikmaßnahmen an Krankenhäusern auszusetzen – wo im März der Streik der Charité-Tochterfirma CFM von einem Tag auf den anderen abgebrochen wurde –, keine großen gemeinsamen Streiks organisiert werden.

Die Gewerkschaftsbürokratie will ohne großen Kampf am Verhandlungstisch minimale Kompromisse mit dem Senat aushandeln, die sie dann als angeblichen Erfolg verkaufen will. Es ist daher notwendig, dass wir Beschäftigte uns gegen diese sozialpartnerschaftliche Ausrichtung stellen, die die Regierung als eine Verbündete sieht, und sie stattdessen als eine Gegnerin betrachten.

Die andere Grenze des Kampfes ist jedoch, dass sie nur auf Berlin beschränkt ist und sich nicht gegen die Bundesregierung und ihre Krisenpolitik im Allgemeinen richtet. Bundesweit haben Millionen Beschäftigte dieselben Forderungen und leiden unter den Folgen der „Schwarzen Null“ der Bundesregierung, die den Interessen der Reichen und Aktionären dient.

Bundesweite Streiks gegen die Schwarze Null und Kürzungen der Regierung!

Alle Beschäftigten im Öffentlichen Dienst haben ein Interesse daran, gegen die Kürzungen zu kämpfen, die zur Finanzierung der Milliarden-Rettungspakete dienen, mit denen die Regierung die Unternehmer*innen und Investor*innen stützt. Wie oben erwähnt wollten die Gewerkschaftsbürokrat*innen von ver.di die Tarifrunde auf nächstes Jahr verschieben.

Die Auseinandersetzung um die Krisenkosten zu scheuen, wäre jedoch falsch. Stattdessen braucht es gemeinsame Streiks der verschiedenen Bereiche im öffentlichen Dienst, um gegen die Kürzungspolitik der „Schwarzen Null“ vorzugehen und stattdessen für eine Vermögenssteuer der Milliardäre und Kapitalist*innen zur Finanzierung des öffentlichen Dienst und insbesondere der Krankenhäuser zu kämpfen.

Dass es nicht schon längst eine solche bundesweite Kampagne gegen die Sparpolitik und für drastisch bessere Arbeitsbedingungen an den Krankenhäusern gibt, liegt auch daran, dass die Führungen der Gewerkschaften eine andere Strategie verfolgen: Mit Ausbruch der Pandemie haben sie auf einen Schulterschluss mit der Regierung gezielt – nicht im Interesse der Beschäftigten, sondern für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Um dagegen eine echte Bewegung zu schaffen, die die Regierung zu Zugeständnissen zwingt, wird es eine aktive Gewerkschaftsbasis brauchen, die auch bereit ist, die sozialpartnerschaftliche Ausrichtung ihrer offiziellen Führung zu konfrontieren. Dazu ist zum einen ein Kampf in den DGB-Gewerkschaften nötig, mit demokratischen Streik- und Betriebsversammlungen, in denen die Arbeiter*innen über ihre Kämpfe entscheiden. Zum anderen ist dafür ein Bündnis mit Arbeiter*innen und Jugendlichen über die Sektoren hinweg nötig, besonders auch mit prekären Arbeiter*innen und rassistisch oder sexistisch Unterdrückten, die kaum gewerkschaftlich organisiert sind, aber umso mehr Gründe zu kämpfen haben, weil die Regierung das Staatsbürgerschaftsrecht einsetzt, um sie und uns alle mehr auszubeuten. Die Aufnahme von Forderungen, wie nach Verallgemeinerung der Staatsbürgerschaftsrechte auf alle, ist für die Arbeiter*innenbewegung notwendig, um ihre Spaltung zu überwinden.

Ab dem 1. September beginnen die Verhandlungen zwischen ver.di und anderen Gewerkschaften mit der Bundesregierung im Rahmen der TVöD 2020 – Runde. Wir brauchen bundesweite Streiks der hunderttausenden Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (TVöD) und aller Beschäftigten in Tochterunternehmen für die Abschaffung der Schwarzen Null, für die 30-Stunden-Woche, gegen die Ausweitung der Arbeitszeiten und Kurzarbeits-Regelungen, die ein Geschenk an die Unternehmen darstellen, sowie für eine Vermögenssteuer für die Kapitalist*innen, deren reichste 45 Familien 214 Milliarden Euro Vermögen besitzen, die sie durch Ausbeutung unserer Arbeitskraft und unserer Armut verdient haben.

Ein Ausweg der Arbeiter*innenklasse aus der Krise – Gesundheit vor Profite!

Das ist aber etwas, das nicht dank, sondern nur trotz der Gewerkschaftsbürokratie und Regierungsparteien wie der SPD und der Linkspartei geschehen kann, wenn die Beschäftigten sich dafür organisieren. Ein Kampfplan, dass die Kapitalist*innen die Krise bezahlen, kann ein Ausgangspunkt für andere Sektoren in Deutschland sein, mit denen ein Bündnis notwendig ist. Nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch im Einzelhandel, wo gerade die Kolleg*innen von Karstadt/Kaufhof um ihre Jobs kämpfen, in der Industrie, in der Massenentlassungen in dutzenden Großbetrieben angekündigt wurden und in vielen weiteren Bereichen. So können bundesweite Streiks im öffentlichen Dienst gegen die Kürzungspolitik der Regierung mit übersektoralen Streiks der Betriebe, die heute von Massenentlassungen und Schließungen bedroht sind, verbunden werden.

Wenn wir ver.di durch den Druck der Beschäftigten zwingen können, den Kampf in Berliner Krankenhäusern durch bundesweite Streiks während der TVöD-Runde ernsthaft auszuweiten, könnte eine beachtliche Bewegung entstehen. Wenn die Linken-Chefin Katja Kipping fordert, die Arbeitszeit flächendeckend auf 30 Stunden pro Woche zu reduzieren und die SPD gezwungen ist, einen Gesetzentwurf zum – an sich ineffektiven – Teilverbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie vorzulegen, dann zeigt das, dass der öffentliche Unmut über die Arbeitsbedingungen unter Corona einen großen Druck auf diese Parteien ausübt. Sie werden uns aber nichts schenken – im Gegenteil.

Eine sichtbare Bewegung für Verbesserungen im Gesundheitssystem, die auch Streiks organisiert, kann große Teile der Arbeiter*innenklasse, Unterdrückten und Jugend anführen, die ein gemeinsames Interesse teilen. Die Aufgabe wäre dann, die Regierung zur tatsächlichen Erfüllung der Forderungen zu zwingen und sich nicht mit unzureichenden Maßnahmen abspeisen zu lassen. Bis hin zur Verstaatlichung aller Krankenhäuser unter Kontrolle der Beschäftigten. Denn die Probleme im Gesundheitssystem lassen sich nicht mit den Mitteln der Marktwirtschaft lösen, sondern werden von ihr geschaffen.

Wir brauchen kein Gesundheitssystem, das der Profitmaximierung dient, sondern ein Gesundheitssystem, das Patient*innen gut versorgt und Beschäftigten ein gutes Leben und gute Arbeit ermöglicht. Das wird nur gelingen, wenn die Kontrolle über die Schutzmaßnahmen und Arbeitsbedingungen bei den Beschäftigten selbst liegt.

Wir als die Zeitung Klasse Gegen Klasse gemeinsam mit klassenkämpferischen Beschäftigten im öffentlichen Dienst organisieren uns für eine solche Perspektive und kämpfen dafür, dass die Arbeiter*innen nicht für die Krise zahlen. In den kommenden Wochen und Monaten wollen wir für die anstehende TVöD-Runde Kampagnen machen, die sich gegen die Regierung und gegen die sozialpartnerschaftliche Politik der Gewerkschaftsführungen richten. Wir wollen eine klassenkämpferische und antibürokratische Strömung in Gewerkschaften aufbauen, die für eine alternative revolutionäre Führung in der Arbeiter*innenbewegung und eine sozialistische Gesellschaft kämpft, die nach den Bedürfnissen der Menschen produziert, anstatt für die Profite der Aktionäre und Kapitalist*innen.

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