Gegen die SiKo oder gegen den Imperialismus?

04.02.2012, Lesezeit 10 Min.
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// Flugblatt zur Demonstration gegen die „Sicherheitskonferenz“ in München //

Jedes Jahr findet Anfang Februar in München die sogenannte „Sicherheitskonferenz“ statt. Dort treffen sich hauptsächlich AußenministerInnen und sonstige PolitikerInnen der NATO-Staaten mit wirtschaftlichen VertreterInnen der Militärindustrie. Gleichzeitig finden auf den Straßen Münchens spätestens seit dem Jahre 2002, als ein komplettes Versammlungsverbot für die Innenstadt ausgerufen wurde und es zu 900 Verhaftungen kam, in routinierter, doch zahlenmäßig immer weiter abgeschwächter Form Proteste gegen die Kriegskonferenz statt.

An dieser Stelle soll es nicht so sehr darum gehen, was dort alles Schlimmes geplant und im „Geheimen“ ausgeheckt wird, sondern eher darum, wie effektiver Widerstand gegen Kriege und NATO-Einsätze heute aussehen muss und warum sie mit dieser Art von Demonstrationen alleine nicht zu verhindern sein werden.

Krieg und Imperialismus

Unser Ausgangspunkt ist die Analyse, dass Krieg ein integraler Bestandteil des Imperialismus als höchstem Stadium des Kapitalismus ist. Insbesondere in Zeiten der Krise ist Krieg ein unverzichtbares Mittel zur Sicherung von Ressourcen, Marktanteilen und geopolitischem Einfluss. Während kriegerische Mittel in der aktuellen Situation noch vornehmlich von den imperialistischen Zentren gegen halbkoloniale Länder eingesetzt werden, deuten sich gleichzeitig auch zwischen den imperialistischen Ländern verstärkte Spannungen an (einer der prägnantesten Ausdrücke dessen war kürzlich die NATO-Intervention in Libyen, die starke Konflikte zwischen Frankreich, Italien, Deutschland und den USA ausgelöst hat), die bei einer verschärften Krisensituation auch zu inter-imperialistischen Konfrontationen führen könnten.

Es sind insbesondere die Lohnabhängigen und die verarmten Massen der unterdrückten Länder, die unter den Folgen imperialistischer Kriege zu leiden haben. Jedoch wird bei inter-imperialistischen Konflikten die ArbeiterInnenklasse der zentralen Länder die Kriegsfolgen massiver zu spüren bekommen. Solange die Konfrontation aber noch nicht auf dieser Ebene angekommen ist, können bestimmte Sektoren der ArbeiterInnenklasse der imperialistischen Zentren begrenzte materielle Vorteile aus einem Krieg ziehen – und zwar auf Kosten der ArbeiterInnen und der armen Massen der Peripherie. Diese sozialchauvinistische Politik, derer sich nicht nur die bürgerlichen Sektoren, sondern auch die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsbürokratien mit ihrer „Standortlogik“ schuldig machen, müssen wir konsequent bekämpfen – im Sinne einer internationalistischen, anti-kapitalistischen Perspektive.

Denn auch wenn die ArbeiterInnenklasse den verschiedenen bürgerlich-nationalistischen Ideologien durchaus erliegen kann, bleibt sie doch die einzige Klasse, die Kriege verhindern und eine Revolution, die neue imperialistische Kriege ausschließt und der Herrschaft des Menschen über den Menschen allgemein ein Ende bereitet, durchführen kann. Dies gilt auch, obwohl diese ArbeiterInnenklasse sich momentan nicht im bewussten Zustand ihrer potentiellen Macht befindet, denn aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess – und in diesem Zusammenhang gilt das insbesondere für die Rüstungs- und Transportindustrie – ist sie dennoch derjenige Sektor der Gesellschaft, der die Kriegsmaschinerie effektiv lahmlegen könnte. In diesem Sinne ist es umso tragischer, dass die Lohnabhängigen als Klasse durch die alljährlichen Demonstrationen in München weder erreicht, geschweige denn in die Proteste integriert werden.

Gleichzeitig kann es uns nicht darum gehen, die ArbeiterInnen in den imperialistischen Ländern nur auf der Grundlage ihrer unmittelbaren materiellen Interessen zu mobilisieren – denn das kurzfristige Interesse von ArbeiterInnen in der Rüstungsindustrie ist zunächst, dass möglichst viele Waffen produziert werden. Vielmehr müssen wir aufzeigen, dass sie ihre längerfristigen Interessen nur im Kampf gegen den eigenen Imperialismus durchsetzen können. Denn die ArbeiterInnenklasse kann nur vereint siegen – wohingegen imperialistische Interessen ihre Reihen spalten und die Ungleichheiten zwischen Peripherie und Zentrum stärken.

In diesem Sinne sehen wir als MarxistInnen es als unsere Hauptaufgabe an, diese sozialchauvinistische Politik im Herzen der imperialistischen Bestie zu bekämpfen und für die Solidarität der ArbeiterInnenbewegung weltweit gegen imperialistische Kriege zu werben. Denn der Hauptfeind steht, wie schon Karl Liebknecht sagte, im eigenen Land, und daher sind wir bedingungslos für die Niederlage der eigenen imperialistischen Armee – auch durch antiimperialistische Kräfte, die wir nicht politisch unterstützen.

Widerstand in Deutschland

Gruppen der radikalen Linken rufen im Kontext der Anti-SIKO-Proteste dazu auf, den „Aufstand“ zu beginnen, und umschreiben das mit „Sabotieren! Blockieren! Desertieren!“[1] Auf ihren Veranstaltungen wird davon gesprochen, dass es sinnvoll sei, durch Nacht-und-Nebel-Aktionen einzelner vermummter TäterInnen Panzer der Bundeswehr zu beschädigen. An die arbeitende Klasse, die die Panzer baut, wird sich gar nicht konkret gewandt, sondern auf individuelle, spektakuläre Aktionen Einzelner gesetzt. Dass das nicht funktioniert, zeigen einfache Überlegungen: Einzelne Panzer können schnell ersetzt werden, und die Besitzenden der Kriegsunternehmen freuen sich sogar, wenn sie neue Aufträge von der Bundesregierung bekommen. Mehr noch: Solche Anschläge – egal, wie sehr wir ihre grundlegende Zielsetzung, das kapitalistische Kriegstreiben zu stoppen, auch teilen – vermögen es nicht, die Restgesellschaft „wach zu rütteln“ oder zum Kriegsstopp zu solidarisieren.

Eine revolutionäre Anti-Kriegs-Politik müsste demgegenüber darauf setzen, dass in allen Betrieben die Arbeitenden die Kontrolle übernehmen und selbstverwaltet produzieren. Wollen sie die Kriegsmaschinerie am Laufen halten, die dafür benutzt wird, in fremden Ländern durch militärische Gewalt Absatzmärkte zu erschließen? Falls sie sich dafür entscheiden würden, würden sie damit die Ursache ihrer eigenen Unterdrückung, nämlich den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, am Laufen halten. Deshalb müssen wir dafür kämpfen, dass sie sich für eine andere Variante entscheiden: Eine weltweite, internationalistische und permanente Revolution voranzutreiben, die den Kapitalismus weltweit überwindet. Denn eines ist klar: Ein einzelner selbstverwalteter, besetzter und schließlich verstaatlichter Betrieb unter Kontrolle der Arbeitenden kann zwar intern dafür sorgen, dass demokratisch über die Produktionsbedingungen abgestimmt wird und die Menschen ihren Arbeitsplatz (bei Reduzierung der Arbeitsstunden etc.) behalten, anstatt bei „Rationalisierungen“ des Unternehmens entlassen zu werden, jedoch sind diese Keimzellen der ArbeiterInnen-Selbstverwaltung trotzdem noch umgeben von einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die sie in Konkurrenzzwang zu anderen Unternehmen stellt[2]. Deshalb muss diese Perspektive der Selbstverwaltung ganz klar Teil eines revolutionären Übergangsprogramms sein, das den Rahmen der bestehenden kapitalistischen Ordnung sprengen würde, aber eben im Hier und Jetzt ansetzen müsste.

Nicht nur die (unfreiwillig) Waffen produzierenden Arbeitenden könnten und müssten einen Krieg stoppen. Die Macht dazu haben diejenigen, die an den Hebeln und Schaltern der Produktion von Waren und Dienstleistungen sitzen. Wer kann die Waffenlieferungen stoppen und mit Streiks das ganze Land lahmlegen? Die Arbeitenden in den Häfen und auf den Flugzeuglandebahnen und diejenigen, die die Züge, U-Bahnen und Busse fahren. Wenn die Transporte gar nicht erst rollen, dann müssen auch nicht vereinzelte subjektiv-revolutionäre TäterInnen die HeldInnen spielen und diese Zufahrtswege des Kapitals mit ihren eigenen Körpern blockieren.

Auch der Aufruf zum „Desertieren“ macht es sich zu leicht. Ähnlich wie die Frage der Sabotage bleibt Desertion auf die individuelle Ebene beschränkt, was aus mehreren Gründen problematisch ist: Auch wenn die Ablehnung der Militärmaschinerie und ihrer weltweiten Folgen sehr fortschrittlich ist, können vornehmlich diejenigen desertieren, die eine gesicherte Existenz haben. Aber vor allem: Wenn wir alle fortschrittlichen Leute dazu aufrufen würden, zu desertieren, liefen wir Gefahr, die Bundeswehr den reaktionärsten Teilen der Bevölkerung zu überlassen, also denjenigen, die komplett davon überzeugt sind, dass sie dort das Richtige tun, die nationalen Interessen mit Recht vertreten. Demgegenüber muss unsere Perspektive darin bestehen, innerhalb des Militärs revolutionäre Zersetzungsarbeit zu leisten und revolutionäre Zellen in den Regimentern aufzubauen, um einfache SoldatInnen davon zu überzeugen, in revolutionären Situationen die Waffen gegen ihre Vorgesetzten und gegen den Staat zu richten, oder zumindest: die Waffen niederzulegen.

Für revolutionäre Anti-Kriegs-Politik!

Die Demonstration gegen die NATO hat unsere Sympathie und unsere Unterstützung. Als RevolutionärInnen treffen wir dort auf Menschen, die sich gegen Krieg und Ausbeutung, gegen die Ursachen für Elend und Flüchtlingsströme und gegen die Politik der Banken und Konzerne aussprechen wollen. Doch nicht alle der dort Demonstrierenden haben eine klare Perspektive für die sozialistische Revolution. Viele Demonstrierende nehmen an den Protesten oft aus einer pazifistischen Stimmung heraus teil, aus Empörung über Tote durch Krieg, Folter und Hunger. Diese subjektive Empörung muss verbunden werden mit der Einsicht, wer mit welchen Mitteln die Revolution machen kann, um den Kapitalismus als Ursache dieser Probleme zu beseitigen.

Deshalb kann es mit der Demonstration am 4. Februar nicht getan sein. Sie ist ein guter Ausgangspunkt, um den eigenen Protest klar auszudrücken und die Waffen verteilenden, am Krieg gewinnenden und das weltweite Elend verwaltenden AnzugträgerInnen bei ihrem Parkettgang im Bayrischen Hof ein bisschen zu ärgern. Jedoch ist diese Protestkundmachung nur ein Ausgangspunkt und muss genutzt werden, die eigenen Kräfte zu sammeln, Verbündete zu finden und sich von dort aus kontinuierlich zu organisieren.

Insbesondere müssen wir dafür kämpfen, die große Masse der Bevölkerung, nämlich die Lohnabhängigen, für eine konkrete Anti-Kriegs-Politik zu gewinnen. Wir müssen von ArbeiterInnenmassenorganisationen wie den Gewerkschaften fordern, für den Stopp der Kriegsmaschinerie zu kämpfen. Dazu müssen wir in den Gewerkschaften kämpferische Basisbewegungen aufbauen, die die bürokratische und sozialchauvinistische Politik der Gewerkschaftsführungen bekämpfen und für eine klassenkämpferische Alternative gegen den Hauptfeind im eigenen Land eintreten.

Krieg und Imperialismus können nur durch eine soziale Revolution gestoppt werden, die nur die Lohnabhängigen, die Arbeitenden, die Erwerbslosen und unterdrücktesten Schichten der Bevölkerung selbst machen können. Doch dazu bedarf es einer politischen Partei, die die Lehren der Vergangenheit in ihrem Programm aufhebt und die Kämpfe der Unterdrückten zum Sieg führen kann. Wir als Teil der Trotzkistischen Fraktion wollen dabei unseren bescheidenen Anteil leisten, und setzen auf den Wiederaufbau der Vierten Internationale.

Fußnoten

[1]. Aufruf der ALM und SDAJ, München.

[2]. Zu unserer Politik in selbstverwalteten Betrieben, siehe: Zanon gehört den ArbeiterInnen! Broschüre von RIO zur Besetzung der Keramik-Fabrik Zanon in Argentinien.

Dieser Artikel ist Vorabdruck aus der zweiten Ausgabe der Zeitschrift „Klasse Gegen Klasse“.

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