Gegen die Privatisierung des Hamburger Hafens: Hafen unter Kontrolle der Arbeiter:innen!
Graue Wolken ziehen auf am Hamburger Hafen: Die staatliche HHLA will fast 50 Prozent ihrer Anteile an das größte Containerhandelsunternehmen der Welt, die MSC, verkaufen. Dagegen organisiert sich Widerstand. Über 2.500 Menschen demonstrierten dagegen diese Woche in Hamburg. Über die strategische Bedeutung dieser Auseinandersetzung und die Krise des deutschen Imperialismus.
Ein Dienstagabend im Herbst in Hamburg: Mehr als 2.500 Menschen versammeln sich am St. Annen Platz. Sie sind einem Aufruf der Gewerkschaft ver.di gefolgt. Unter den 2.500 Teilnehmer:innen: Viele Beschäftigte der Hamburger Hafen und Logistik Aktiengesellschaft (HHLA), aber auch solidarische Kolleg:innen von der Hochbahn, den Hamburger Bäderbetrieben oder vom Tierpark. Sie protestieren gegen die unvermittelte Ankündigung des Hamburger Senates, dass die Mediterranean Shipping Company (MSC) 49,9 Prozent der Anteile der HHLA erhalten soll.
Die Stimmung ist kämpferisch. Die Parolen: „Unser Hafen, nicht euer Casino“, „Wir sind der Hafen“ und auch „Kein Mensch im Hafen wählt die SPD“. Die Empörung ist groß. Die Beschäftigten haben von dem Deal über die Presse erfahren. Nicht einmal die Bürokratie von ver.di und der Betriebsrat wussten Bescheid. Noch vor einem Monat hatte die Hamburger Senatorin für Wirtschaft und Integration, Melanie Leonhard (SPD), bei einem Treffen mit dem Betriebsrat diesem gegenüber erklärt, dass ein Verkauf der Anteile nicht geplant sei.
Die Wut ist daher enorm: Etwa 500 Teilnehmer:innen der Kundgebung verlassen den St. Annen Platz und laufen in einer Demo etwa einen Kilometer zum Rathausmarkt, wo sich das Gebäude der Hamburgischen Bürgerschaft befindet. Dieser ist mit Gittern gesperrt, diese werden durchbrochen, Bengalos gezündet. Die Polizei muss die Arbeiter:innen gewähren lassen. Diese schickt weitere Einheiten und sichert zunächst das Bürgerschaftsgebäude – die Arbeiter:innen begnügten sich damit, vor der Bürgerschaft zu bleiben. Offenbar kommt es zu kleineren Rangeleien mit der Polizei.
Schon im vergangenen Jahr, als die Arbeiter:innen vom Hamburger Hafen in den Streik für höhere Löhne traten, leisteten sie sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Demo zeigt die Empörung, Wut, aber auch die Angst der Beschäftigten vor der Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen und gar vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze. Die Empörung ist tief, es geht um mehr als nur um den Verkauf von Anteilen. Es geht um die Zukunft eines ganzen Hafens, der Sinnbild der Stadt ist, aber auch Gradmesser der wirtschaftlichen Entwicklung der BRD. Und die zeigt, wie die des Hafens, in eine Richtung: nach unten.
Der mögliche Hafen-Deal: Verkauf an italienischen Multimillionär
Während sich auf den Straßen die Wut Bahn bricht, leisten sich Politik und Wirtschaft ein Wettrennen um den Hafen. Verschiedene Akteur:innen spielen eine Rolle. Es geht um die Anteile der HHLA, die derzeit zu ungefähr 70 Prozent von der Freien und Hansestadt Hamburg gehalten wird, der Rest ist in Streubesitz. Bereits in den 2000er-Jahren hatte die Stadt Hamburg die HHLA in der Rechtsform privatisiert. Während sich das Hafengelände weitestgehend in Hand der Stadt Hamburg befindet, wickelt die Stadt über die HHLA Logistik ab.
Vor allem betreibt sie drei der vier Containerterminals. Neben dem im vergangenen Herbst wegen einer Beteiligung der chinesischen Reederei COSCO bekannten Containerterminals Tellerort sind das die Terminals Altenwerder und Burchardkai. An dem Containerterminal Altenwerder ist zudem die deutsch-chilenische Reederei Hapag-Lloyd zu einem Viertel beteiligt. Die drei Terminals machen gut 80 Prozent des Containerumschlages in Hamburg aus. Das vierte Terminal, Eurogate, betreibt die gleichnamige Gesellschaft.
Während der Verkauf eines geringen Anteils an die chinesische Reederei COSCO noch ein Einschreiten der Bundesregierung hervorrief und ein breiter Aufschrei durch die Presselandschaft ging, der Deal gefährde die Unabhängigkeit der deutschen Wirtschaft, ist nun der viel größere Deal für die deutsche Politik offenbar kein Problem, obwohl auch hier ausländisches Kapital beteiligt ist. MSC ist zwar eine schweizerische Firma, an der Spitze steht jedoch der italienische Bourgeois Gianluigi Aponte, mit fast 30 Milliarden US-Dollar geschätzten Vermögen einer det hundert reichsten Menschen der Welt.
Bei dem angedachten Deal soll MSC zirka 20 Prozent der von der HHLA gehaltenen Anteile erwerben und den Streubesitz von ungefähr 30 Prozent. Ein wenig überrascht es schon, dass die Stadt Hamburg die Anteile nicht an eine deutsche Reederei verkauft hat. So hatte auch der deutsche Bourgeois, Klaus-Michael Kühne, der 30 Prozent der Anteile an der Hapag-Lloyd, der derzeit sechstgrößten Reederei der Welt und der größten deutschen, ein Angebot für die Anteile machen wollen, was der Senat unter Führung des SPD-Politikers Peter Tschentscher offenbar ablehnte.
Es wäre auch ein Deal mit sich selbst gewesen: Über die Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement mbH (HGV) hält die Stadt Hamburg fast 14 Prozent der Anteile an Hapag-Lloyd. Weitere 30 Prozent werden von dem chilenischen Bourgeois Andrónico Luksic über seine Firma CSAV gehalten, der ansonsten vor allem auch Beteiligungen in Kupferminen um Antofagasta hält. Wiederum Interesse aus Deutschland hätte die Firma Eurogate um den Inhaber Thomas H. Eckelmann gehabt. Das Unternehmen ist ein Logistik-Gemeinschaftsunternehmen aus dem hamburgischen Eurokai und der bremischen BLG Logistic Group.
Nachdem Kühne, der sich als Mäzen Hamburgs etablieren will und sich insbesondere als Förderer eines Stadttheaters inszenieren möchte, keinen Zuschlag erhalten hatte, drohte dieser gar damit, Aufträge vom Hamburger Hafen durch sein Unternehmen abzuziehen. Offenbar wird er nun aber nicht mehr mitbieten, der gestiegene Aktienkurs ist ihm wohl zu teuer.
Die Hintergründe des Deals sind schwer zu durchschauen. Dass Eckelmann den Zuschlag nicht erhielt, ist ein Zeichen gegen den Bremer Hafen, ein Konkurrent des Hafens in Hamburg. Kühne wurde der Hamburger Stadtregierung offenbar zu mächtig und aggressiv, er beteiligt sich zu dem schon beim Hamburger Sportverein. Dass nun der Verkauf der Anteile ins Ausland geht, könnte sinnbildlicher nicht sein für den Zustand des deutschen Imperialismus. Jedenfalls bleibt der Verkauf eine Privatisierung – und die macht man normalerweise, um schnell an Geld zu kommen. Ungefähr 2,6 Milliarden Euro könnte der Erlös der Anteile für Hamburg bringen. Es könnte somit auch ein Zeichen sein, dass Hamburg flüssiges Geld benötigt.
Die Krise am Hamburger Hafen ist vor allem eine Krise des deutschen Imperialismus
Doch der geplante Verkauf der Anteile am Hamburger Hafen hat weit Bedeutung über Hamburg hinaus. Der Hamburger Hafen ist nicht irgendein Hafen, fast die Hälfte des Seehafenumschlages Deutschlands entfällt auf diesen Ort. Er ist die wichtigste Ein- und Austrittspforte für Waren aus aller Welt in Deutschland. Er ist damit ein gutes Barometer für den Außenhandel und die wirtschaftliche Entwicklung der BRD. Und die sieht nicht gut aus. Im Jahr 2023 soll die Wirtschaft in Deutschland um 0,4 Prozent schrumpfen. Schwache Zahlen aus China und die Abkopplung von Russland sind dabei die wesentlichen Gründe eben einen insgesamt sich abschwächenden Weltkonjunktur.
Und so spiegeln die Zahlen des Hamburger Hafens fast 1:1 die wirtschaftliche Entwicklung im Außenhandel wider: Der Containerhandel insgesamt ist in der ersten Jahreshälfte 2022 um fast 12 Prozent zurückgegangen. Mit China ist der Containerhandel im Vergleich zum Vorjahr um fast 19 Prozent eingebrochen. Aus Russland kam wirklich kein einziger Container mehr, wobei es letztes Jahr im selben Zeitraum noch fast 80.000 Container waren. Gleichzeitig hat der Handel mit den USA hat stark zugenommen – es gab ein Wachstum von deutlich über 7 Prozent.
Dies ist das Ergebnis der US-Außenpolitik und der Kehrtwende der deutschen Außenpolitik, welche die Abkopplung Deutschlands von Russland bedeutet, aber auch Resultat des teilweise erfolgreichen Wirtschaftskrieges der USA gegen China, das die schlechtesten Wirtschaftszahlen seit über 20 Jahren hat.
Eine Antwort darauf hat der Hamburger Hafen, außer Verkauf – ebenso wenig wie die Bundesregierung – nicht . Dieser ist zudem von zahlreichen Infrastrukturproblemen geplagt, von denen vor allem die Frage um die Elbvertiefung im Vordergrund stehen, die horrenden Kosten und die begrenzte Ladekapazität für Containerschiffe. Die ersten Anzeichen sind gegeben, dass der Hamburger Hafen eine natürliche Grenze erreicht hat, er liegt relativ weit vom Meer entfernt und kann in dem starken Wettbewerb um immer größere Containerschiffe nicht mehr mithalten. Der Verkauf der Anteile an MSC wird hier auch nur kurzfristig Geld in die Kassen der Stadt bringen. Doch MSC ist bekannt für seine arbeiter:innenfeindliche Politik. Zudem wird die Vollautomatisierung des Terminals Altenwerder vorangetrieben werden, was wiederum Stellen am Hafen gefährden könnte.
In diesem Kontext dürfte der von den Hafen-Arbeiter:innen aufgenommene Kampf gegen die Privatisierung der HHLA ein richtungsweisender Kampf sein – auch im Hinblick auf weitere drohende Schließungen, Privatisierungen und Abwehrkämpfe in der nächsten Zeit in Deutschland, für die die vorliegende angestrebte Privatisierung aufgrund der Stellung des Hafens ein starkes Indiz ist.
Die Arbeiter:innen in Hamburg zeigen den Weg: Kein Verkauf des Hamburger Hafens, keine Privatisierung. Aber es muss auch klar sein, dass es nichts bringt, wenn der Hafen nun auch in der Hand von Eurogate wäre oder von Kühne. Dieses Geschacher um den Hafen ist ein übles Spiel der Kapitalist:innen, bei dem die Arbeiter:innen nichts zu gewinnen haben. Sie zeigen damit eindrücklich, dass es ihnen nicht um gute Arbeitsbedingungen, um den Erhalt der Arbeitsplätze geht, sondern um sie selbst, damit sie in der kapitalistischen Konkurrenz für sich gewinnen.
Die Arbeiter:innen sind dabei nur ihre Manövriermasse. Deshalb muss der Kampf gegen die Privatisierung der HHLA die Perspektive des Hafens unter Arbeiter:innenkontrolle eröffnen. Raus mit den Bossen, die niemand braucht! Das Ergebnis des Kampfes gegen die geplante Privatisierung wird für die nächste Zeit entscheidend für die gesamte Arbeiter:innenklasse in Deutschland sein. Umso mehr muss er gewonnen werden. Stellen wir hierfür die Weichen, die Demo diese Woche war erst der Anfang.