Gegen die AfD wählen? Gegen die AfD kämpfen!
Die Berliner Abgeordnetenhauswahl hat die Grenzen der Strategie aufgezeigt, gegen die AfD zu wählen. Auch in der liberalen Hauptstadt konnte sie ein zweistelliges Ergebnis nahe der 15 Prozent erreichen. Um die AfD zu stoppen, müssen wir gegen sie kämpfen!
Der Aufstieg der Alternative für Deutschland scheint unaufhaltbar. Nach Sachsen-Anhalt war Mecklenburg-Vorpommern das zweite Bundesland, in dem sie einer der beiden „Volksparteien“ als zweite Kraft den Rang ablaufen konnte. Und auch in der Weltmetropole Berlin konnte sie auf Anhieb ein zweistelliges Resultat erzielen.
Damit profitiert die Alternative für Deutschland von der Ablehnung der Großen Koalition und der rechten Polarisierung und treibt sie gleichzeitig voran. Die gewalttätigen Angriffe des rassistischen Mobs auf Geflüchtete in Bauzen waren der jüngste Ausdruck dieser reaktionären Stimmung. Auch auf Bundesebene befindet sie sich mit 14 Prozent auf dem Jahreshöhepunkt.
Deshalb machen sich nicht nur Arbeiter*innen, Jugendliche und Migrant*innen darüber Gedanken, wie die AfD aufzuhalten ist, sondern auch das politische Establishment. Ein Teil ihrer „Entzauberungsformel“ ist die AfD-isierung der deutschen Politik: CSU, CDU und SPD nehmen die Forderungen der Rechten nacheinander auf. Nicht umsonst schwenkt auch Merkel vom „Wir schaffen das“ zu „Deutschland wird Deutschland bleiben“ um. Damit schieben sie die politische Debatte nach rechts und schüren rassistische Ressentiments („Ängste und Sorgen“), mit denen die AfD ihren rassistischen Diskurs legitimiert.
Der zweite Teil dieser Formel ist die Abgrenzung zwischen den etablierten „demokratischen“ Parteien und der „undemokratischen“ AfD. Vor den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin unterzeichneten alle Parlamentsparteien einen gemeinsamen „Berliner Konsens gegen Rechts“.
Doch die AfD gewinnt gerade dadurch immer mehr Stimmen, dass sie sich als „Alternative“ zur politischen Kaste profiliert. Obwohl ein Großteil ihrer eigenen Führungsposition selbst aus bürgerlichen Parteien stammen und ihre Forderungen nicht die Interessen der arbeitenden Bevölkerung widerspiegeln, können sie sich trotzdem als einzig wahre Opposition zu „denen da oben“ generieren.
Selbst Sektoren der Linken haben es sich zur Aufgabe gesetzt, eine „breite demokratische Front“ gegen die AfD aufzubauen. Eine solche Politik wird von dem Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ durchgeführt, das von Teilen der radikalen Linken bis hin zu Grünen und SPD unterstützt wird. Sie hatten am 3. September eine Demonstration in Berlin unter dem Motto „Deine Stimme gegen die AfD“ organisiert.
Gruppen wie die Interventionistische Linke setzten ihre Hoffnung darin, durch die Unterstützung von Regierungs- und bürgerlichen Parteien wie der SPD und den Grünen eine breite Mobilisierung auf die Beine stellen zu können. Doch diese rührten keinen Finger und verwandelten die ganze Aktion in eine Wahlveranstaltung. Im Ergebnis konnte die Demonstration mit etwa 6.000 Menschen weder massenhaft mobilisieren (wie es die zweifelsohne fragwürdigen Anti-TTIP/CETA-Demonstrationen vermögen), noch konnte sie die Schuld aller etablierten Parteien am Aufstieg der AfD aufzeigen.
Leo Trotzki schrieb in dem Aufsatz „ Die Spanischen Lehren: Eine letzte Warnung“ über diese falsche reformistische Logik:
Die Volksfronttheoretiker gehen im wesentlichen über die Anfangsgründe der Artithmetik, nämlich die Addition, nicht hinaus: die Summe von „Kommunisten“, Sozialisten, Anarchisten und Liberalen ist größer als jeder Teil für sich. Das ist ihre ganze Weisheit. Allein, die Arithmetik reicht in diesem Fall nicht aus. Es bedarf mindestens der Mechanik: das Gesetz des Parallelogramms der Kräfte ist auch in der Politik gültig. Die Resultante pflegt bekanntlich umso kürzer zu sein, je stärker die zusammenwirkenden Kräfte auseinanderstreben. Ziehen die politischen Verbündeten nach entgegengesetzten Richtungen, so kann die Resultante gleich Null sein. Ein Block verschiedener politischer Gruppen der Arbeiterklasse pflegt zur Lösung gemeinsamer praktischer Aufgaben ganz unerläßlich zu sein. Bei gewissen historischen Bedingungen ist ein solcher Block imstande, die unterdrückten kleinbürgerlichen Massen, deren Interessen denen des Proletariats verwandt sind, mitzureißen. Die Gesamtkraft eines derartigen Blocks kann viel größer sein als die Kraft jedes seiner Bestandteile. Hingegen ein politisches Bündnis des Proletariats mit der Bourgeoisie, deren Interessen in der heutigen Epoche in den Grundfragen um 180° auseinanderklaffen, ist in der Regel nur imstande, die revolutionäre Kraft des Proletariats zu paralysieren.
Und tatsächlich ist es von „Deine Stimme gegen die AfD“ nicht mehr weit bis zu einer vollständigen Unterordnung unter die Parteien des Kapitals. So forderte Gregor Gysi schon im März dieses Jahres, über eine Koalition zwischen Linkspartei und CDU nachzudenken, um die AfD zu verhindern: „Alle demokratischen Parteien von der Linken bis zur Union müssen sich überlegen, wie wir die Rechts-Entwicklung in Europa und in Deutschland stoppen“
Tatsächlich konnte sich die Linkspartei bei den Abgeordnetenhauswahlen besonders in West-Berlin (und dort am stärksten in Nordneukölln) als Anti-AfD-Partei profilieren und dadurch die Stimmen vieler junger Wähler*innen bekommen. Dadurch wurde sie drittstärkste Kraft und konnte ein historisches Wahlergebnis in West-Berlin erziehen.
Doch damit konnte sie noch nicht einmal kurzfristig den Aufstieg der AfD stoppen – schließlich speist sich diese aus Nichtwähler*innen und ist in der Jugend eh schwächer als in anderen Altersschichten. Längerfristig wird dieser Erfolg von der Parteispitze dafür genutzt, die Regierungsfähigkeit der geschwächten Sozialdemokratie gemeinsam mit den Grünen aufrechtzuerhalten. Dadurch wird die soziale Ungleichheit weiter zunehmen, die eine Grundlage für das Wachstum der Rechtsextremen ist.
Deswegen können die Arbeiter*innen, Jugendlichen, Frauen und LGBTI, Migrant*innen und Geflüchtete, nicht weiter darauf hoffen, „gegen die AfD zu wählen“. Es braucht ein Programm, dass nicht nur die rassistischen Vorurteile bekämpft, sondern auch deren sozialen Grundlagen angreift, wie prekäre Beschäftigung, Mietsteigerungen, Verdrängung. Guten Wohnraum für alle durch die entschädigungslose Enteignung der Immobilienhaie, „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ und ein Ende der Prekarisierung durch die Verstaatlichung unter Arbeiter*innenkontrolle der ausgelagerten Landesbetriebe. Bleiberecht für alle und offene Grenzen. Der 29. September wird ein wichtiger Tag sein, um in diesem Sinne bundesweit gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, ob von Nazis, Rechtspopulist*innen oder der Regierung, zu protestieren.