Gebt die Patente frei: Die Bundesregierung befürwortet Profite statt Gesundheit
Die Bundesregierung blockiert den Vorstoß, die Patente von Impfstoffen auszusetzen. Begründet wird diese Haltung damit, dass der Schutz von geistigem Eigentum die Quelle für die Innovation sei. Um die Profite der Pharmaindustrie zu schützen, nimmt die Bundesregierung weltweit humanitäre Krisen bewusst in Kauf.
Die Impfstoffe gegen die Corona-Pandemie gelten als beste Waffe im Kampf gegen die Pandemie. Gerade die aktuellen Entwicklungen in Indien, in denen sich die rasante Ausbreitung des Corona-Virus in eine humanitäre Katastrophe verwandelt, sind eine Warnung. Ärzte ohne Grenzen, Human Rights Watch, Amnesty International, die UN-Menschenrechtskommission, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Unesco fordern seit langem die Patentfreigabe, um bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie effektive Ergebnisse zu erzielen.
Die Debatte erreichte jedoch eine neue Dimension, als sich Südafrika und Indien an die Welthandelsorganisation (WTO) wandten, um für den Zeitraum der Pandemie den Patentschutz auszusetzen. Obwohl es im Trips-Abkommen (ein Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) vorgesehen ist, gewisse Ausnahmen in Zeiten globaler Gesundheitskrisen zu erlauben, fällt die Umsetzung gar nicht leicht. Denn für eine solche Regelung braucht es die Zustimmung aller 164 Mitgliedsstaaten. Bisher haben beinahe 100 Mitgliedstaaten den Resolutionsentwurf unterstützt.
Ein Block imperialistischer Länder, angeführt von der Europäische Union mit Deutschland an der Spitze, Großbritannien, Japan, Australien, Kanada, Norwegen und die Schweiz, sowie Brasilien, das vom ultrarechten Jair Bolsonaro regiert wird, blockieren den Vorstoß. Die US-Regierung unter Joe Biden hat sich neulich für die Freigabe von Patentrechten der Covid-Impfstoffe ausgesprochen, nachdem ein großer Teil ihrer eigenen Bevölkerung bereits geimpft wurde und die US-Pharmakonzerne Milliarden US-Dollar profitiert haben. Doch die Position von Deutschland fällt sogar hinter diese Linie, während die Bundesregierung den Befürworter:innen vorwirft, Populismus zu betreiben.
Während weiterhin täglich weltweit tausende Menschen an Covid-19 sterben und die Pharmakonzerne wie BioNTech Milliardengewinne machen, stellt sich die Bundesregierung gegen eine so elementare Maßnahme wie die Freigabe der Patente. Sie stellt damit ihre eigene Heuchelei unter Beweis und macht deutlich, dass ihnen die Profite ihrer Konzerne mehr wert sind als die Menschenleben derer, die aufgrund fehlender Impfungen und Schutzmaßnahmen ums Leben kommen.
Ist es anti-wissenschaftlicher Populismus, die Freigabe von Patenten zu fordern?
Özlem Türeci und ihr Ehemann Uğur Şahin, Gründungsmitglieder von BioNTech,, versuchen auf jeder Plattform die Idee zu predigen, die Patentfreigabe käme für die effizienten Bekämpfung des Coronavirus nicht in Frage. Ihr Argument: Impftechnologie-Transfer, Aufbau von Produktionskapazitäten, qualifizierte Arbeitskräfte können nicht kurz- und mittelfristig dadurch gelöst werden. Die wirtschaftlich und infrastrukturell schwache Länder seien außerstande, die Impfstoffproduktion zu stemmen.
Die Bundesregierung verstärkt diese Position, indem sie betont: «Der Schutz von geistigem Eigentum ist Quelle von Innovation und muss es auch in Zukunft bleiben». Sie schüren damit die Angst, bei künftigen Pandemien könnten die großen Pharmakonzerne ohne Versprechen auf hohe Gewinne keine Medikamente und Impfstoffe mehr entwickeln. Andere sogenannte Experten argumentieren, dass durch die Aussetzung von Patentrechten die Verbreitung von gefälschten Vakzinen gefördert und dadurch das Vertrauen in die Impfstoffe abnehmen würde.
Diese oberflächlichen Argumente werden eingebracht, um die oppositionellen Stimmen einzuschüchtern, da sie angeblich gegen die Interessen der Wissenschaft handeln und mit Desinformationen innerhalb der Bevölkerung für Verwirrungen sorgen würden.
Beginnen wir mit dem Argument der Produktionskapazitäten: Der Antrag von Indien und Südafrika zur Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte auf Covid-19-Technologien für den Zeitraum der Pandemie beschränkt sich nicht nur auf die Patentrechte von Covid-Impfstoffen. Medikamente, Diagnosemittel, Schnelltests, Beatmungsgeräte und Schutzkleidung sind weitere Elemente, worauf der Antrag einen Bezug nimmt und für die Notmaßnahmen zur Eindämmung des Virus dringend erforderlich sind. Sowohl Südafrika als auch Indien verfügen über eine entwickelte Pharmaindustrie (dazu gehören noch eine Reihe von Staaten, die heute angesichts der Blockaden nicht produzieren dürfen). Genauer genommen werden über 60% aller aktiven pharmazeutischen Substanzen in Asien hergestellt. Allein die USA beziehen 18% der verkauften Pharmazeutika aus Indien.
Laut Elisabeth Massute von der NGO “Ärzte ohne Grenzen” soll der Technologietransfer möglich und bereits im Gange sein:
Zum Beispiel hat ein Transfer zwischen der Universität in Oxford, dem Hersteller AstraZeneca und dem Serum Institute of India stattgefunden, das ging relativ schnell und ist sehr erfolgreich. Eine Studie aus den USA zeigt, dass der Technologietransfer in der Pandemie durchschnittlich sechs Monate dauert, auch in Bezug auf mRNA-Impfstoffe.
Warum gibt es dann eine ungleiche Verteilung von Impfstoffen? Dazu müssen wir vor Augen führen, dass die imperialistischen Staaten einen besonders skandalösen Umgang mit der Impfplattform Covax haben. Diese Plattform wurde im April 2020 von der WHO gegründet mit dem Ansatz, “eine globale Impfgerechtigkeit zwischen armen und reichen Nationen zu schaffen”. Doch Länder wie Deutschland, USA, Israel haben 80 Prozent der verfügbaren Impfdosen durch Exklusiv-Lieferverträge mit Pharmakonzernen gesichert. In den USA und Israel gibt es sogar Vorräte bis zur vierten Impfung. Die wirtschaftlich schwache Länder hingegen haben bis heute 0,3 Prozent an verfügbaren Impfstoffen erhalten. Die imperialistischen Staaten, die durch Monopolstellungen am Weltmarkt Impfstoff-Nationalismus betreiben, tragen für den Impfstoffmangel die Hauptverantwortung.
Zuletzt beschäftigen wir uns mit dem Argument, der Schutz des Privateigentums sei die Quelle für den Anreiz und die Innovation. Das Argument basiert auf der kapitalistischen Logik, der Motor des gesellschaftlichen Fortschritts sei das Privateigentum. Die Wissenschaft in der Klassengesellschaft ist auch nicht davon ausgeklammert, weil sie nicht im luftleeren Raum über die Klassen steht.
Allein die Monopolisierungsentwicklung der Pharmakonzerne beweist sich als Hemmnis für die effektive Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Hinzu kommt, dass die Forschung an den Corona-Impfstoffen mit öffentlichen Geldern finanziert wurde. Im Jahr 2020 bekam Biontech bis zu 375 Millionen Euro für die Impfstoffentwicklung und einen Kredit von 100 Millionen von der EU. Das deckte die Kosten vollständig. Das Vakzin von AstraZeneca ist sogar an einer öffentlichen Universität (Oxford) mit den Steuergeldern entwickelt worden. Wenn es um die Kosten geht, trägt also die Öffentlichkeit eine Gesamtverantwortung. Und die Gewinne? Sie sind zynischerweise privat. So erwartet BioNTech für das Jahr 2021 einen Umsatz von 12,4 Milliarden Euro mit seinem Covid-19-Impfstoff.
Hinter der Mär von Anreiz und Innovation steht also nichts anderes als ein Schutzprogramm der Profitinteressen der Pharmakonzerne, die durch Lobbyismus bürgerliche Politiker:innen kooptieren und die Bevölkerung ideologisch täuschen. Laut den offiziellen Zahlen sind bisher über drei Millionen Menschen am Coronavirus gestorben. Ohne wenn und aber ist es das mindeste Bedürfnis der Menschheit, einen gleichberechtigten Zugriff auf die Impfstoffe zu haben.
Die aktuelle Impfpolitik, welche den Fokus auf die reichen Industrienationen legt während beispielsweise in Indien das Infektionsgeschehen nicht gebremst wird, beflügelt auch die Bildung von Mutationen, die gegen die Impfstoffe resistent sein könnten. Eine Pandemie lässt sich auch nur global ausrotten. Dafür ist die Einstufung von Corona-Impfstoffen als öffentliches Gut unausweichlich. Die Aufhebung der Patente sowie die entschädigungslose Enteignung der kompletten Impfstoffproduktion sowie die Verstaatlichung der Pharmakonzerne und des gesamten Gesundheitswesens unter Arbeiter:innenkontrolle ist der allererste Schritt, um sich sowohl in der Gegenwart als auch in Zukunft auf die Pandemie-Bekämpfung vorzubereiten.