GEAS-Reform: EU tritt Menschenrechte in die Tonne

15.04.2024, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Elaine Toszka

Inmitten globaler Krisen, Genozid und Vertreibung, angesichts dessen Millionen von Flüchtenden auf Unterstützung und internationale Solidarität angewiesen sind, beschloss das EU-Parlament das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) zu reformieren und das Asylrecht faktisch abzuschaffen.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) behauptet gerne, „geregelte Migration“ würde das Sterben im Mittelmeer beenden. Das ist nicht nur Populismus. Vielmehr ist genau das Gegenteil der Fall: Es bedeutet eine noch größer werdende humanitäre Krise an den EU-Außengrenzen, noch mehr widerrechtliche Pushbacks und noch mehr Tote. 

In der neuen, von der EU ausgehandelten Reform wird festgesetzt, Asylverfahren an den Außengrenzen mit der Senkung rechtsstaatlicher Standards zu beschleunigen. So werden schnellere Asylverfahren an der Grenze den Zugang zu Schutz in Europa erschweren und das Konzept „sicherer Drittstaaten“ so weit ausgeweitet werden, dass es EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, sich faktisch zurückzuziehen, indem Nachbarländer oder Staaten entlang der populären Fluchtrouten als „sicher“ eingestuft werden, um Abschiebungen zu erleichtern. Nachdem wir dann plötzlich viele „sichere Drittstaaten“ haben, wird außerdem nicht mehr individuell geprüft, aus welchen Gründen ein Mensch flieht, sondern nur, dass er in der EU nicht willkommen ist und ohne inhaltliche Prüfung des Asylantrags abgeschoben werden kann – selbst wenn diese Staaten Menschenrechte nicht einhalten. 

Humanitäre Katastrophe an den Grenzen

Als wäre das nicht schon genug, wird dieses Vorgehen für große Teile der Schutzsuchenden in Schnellverfahren in geschlossenen Lagern an den EU-Außengrenzen abgewickelt, wo sie faktisch eingesperrt werden und isoliert in abgelegenen Lagern unter extrem schlechten Bedingungen leben müssen. Schon in Deutschland sind Geflüchtetenlager zunehmend Orte ohne Wahrung von Grund- und Menschenrechten. In den direkten Grenzregionen ist die Lage jedoch noch drastischer. Hinauslaufen wird dies insbesondere auf die Zunahme von Inhaftierungen von Asylsuchenden, für welche zunächst 30.000 Plätze und nach vier Jahren 120.000 Haftplätze in Haftlagern geschaffen werden sollen. Darunter fallen auch Kinder und besonders Schutzbedürftige. Die Kinderrechte werden dabei durch Inhaftierungen, langwierige Familienzusammenführungsprozesse und fehlende Mechanismen für den Schutz der Kinder massiv verletzt.

Abschottung statt Solidarität

Es ist eine immer höher werdende Mauer um Europa, eine immer stärker werdende Abschottungspolitik und ein von der EU beschlossener systematischer Abbau von Menschenrechten. Durch die Reform verändert sich ebenso wenig im Verteilungsmechanismus: Staaten ohne die notwendige Solidarität können sich so auch durch Zahlungen an externe Akteure zur Abwehr von Geflüchteten oder zum Aufbau von Grenzschutzmaßnahmen aus einem wirklichen Schutzsystem freikaufen. Für jene Staaten erscheint diese Möglichkeit meist als kostensparende Alternative gegenüber einem guten Leben für alle Menschen. Gleichzeitig rufen sie nach qualifizierten Fachkräften. Schutzsuchende sollen hierzulande für 80 Cent pro Stunde arbeiten, um bessere Aussichten auf Asyl zu erlangen. 

Den euphemistischen Begriff der „gemeinnützigen Arbeit“ sollte man hier jedoch als das benennen, was es wirklich ist: Zwangsarbeit für Geflüchtete als billige Arbeitskräfte für das Kapital der Reichen. Denn wenn migrantische Menschen nicht komplett vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, werden sie unter dem Deckmantel der „Integration und sozialen Teilhabe“ als Arbeitskräfte in den Niedriglohnsektor gepusht und ausgebeutet. Dies erlaubt zudem auch die Diskussion über den wirtschaftlichen Nutzen geflüchteter Menschen und die Einbeziehung, wer kapitalistisch verwertbar ist und es „verdient“ hat, in der EU Asyl zu bekommen, und wer der EU keinen „Gewinn bringt“ und abgeschoben wird. 

Schutzsuchende sind keine Verbrecher

Ebenso wird der Schein erweckt, dass diese Reform die Kriminalität in der EU senken soll. In Bezug auf die kürzlich veröffentlichte Kriminalstatistik wird dabei vor allem auf das Bild der „aggressiven migrantischen Männer“ zurückgegriffen. Dieses kann man durch Fakten wie Racial Profiling und viele andere Argumente leicht widerlegen, es zieht allerdings trotzdem direkte realpolitische Effekte mit sich: über rassistische Ausländerbehörden, zu immer zunehmender Polizeigewalt gegenüber migrantisch markierten Menschen und rechtsmotivierte Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte, sowie viele mehr. Eine genaue Definition, wie genau die Unterscheidung von kriminellen und nicht-kriminellen Geflüchteten aussehen soll, ist in der Reform zudem nicht festgelegt worden. 

Verrat der bürgerlichen Parteien

Dabei sind es nicht nur Parteien von rechts außen, die die menschenverachtende Reform befeuern, sondern auch jene aus der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ und selbsternannte humanitäre Parteien wie die Grünen, deren Zustimmung maßgeblich dazu beitrug, die Verschärfung noch vor der kommenden EU-Wahl im Juni abzuschließen. Doch wer sich selbst als fortschrittlich darstellt, sollte nicht die menschenfeindliche Politik von Rechten umsetzen. 

Europas rassistische Abschottungspolitik kriminalisiert Geflüchtete und trägt zum Massensterben im Mittelmeer und an den Grenzen bei, während sie Waffen in Kriegsgebiete liefert und Menschen überhaupt erst zur Flucht zwingt. Doch auch die Reform und die Kriminalisierung von Geflüchteten wird Migration nicht aufhalten. Kein Grenzsystem hat seit Jahrtausenden Migration gestoppt. Stattdessen wird es Menschen dazu zwingen, immer gefährlichere und teurere Routen zu wählen, die zu noch mehr Leid und Tod als bisher führen.

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