GDL-Streik: Stark, aber noch nicht stark genug

16.11.2014, Lesezeit 10 Min.
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„Das ganz große Tarif-Theater“ titelte Der Spiegel, nachdem GDL-Chef Claus Weselsky am Freitag die Aussetzung des ursprünglich bis Montag, den 10. November, angesetzten Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer ankündigte. Der längste Streik in der Geschichte der Deutschen Bahn hätte sonst für einen weiteren Eklat gesorgt: Die Feierlichkeiten, mit denen die herrschende Klasse Deutschlands die kapitalistische Restauration in Ostdeutschland feiern wollte, wären in doppelter Hinsicht in Frage gestellt worden. Auf der einen Seite hätten viele TouristInnen nicht nach Berlin einreisen können.

Auf der anderen – viel wichtigeren – Seite hätten die Streikenden eindrucksvoll auf die massive Verschlechterung der Lebensbedingungen von wesentlichen Teilen der Lohnabhängigen in Deutschland seit der Wiedervereinigung hingewiesen. Denn „blühende Landschaften“ gibt es seitdem nur für GroßinvestorInnen, ExporteurInnen, Konzerne. Für die Beschäftigten brachte die Einheit hingegen kaum etwas außer Verelendung in Form von Hartz IV, Minijobs, Leiharbeit, Werkverträge, usw. usf.

Heute versucht die Bourgeoisie, ihre Angriffe auf die Lohnabhängigen in Deutschland zu vertiefen. Für die Bourgeoisie und ihre Parteien geht es darum, Schlüsselsektoren der kapitalistischen Wirtschaft so zu gestalten, dass die Gefahr der Opposition seitens der Beschäftigten auf ein Minimum reduziert, ja beinahe unmöglich gemacht wird. Angesichts der sich verschärfenden politischen und ökonomischen Unsicherheit im Nahem Osten, Nordafrika und der Ukraine neben den strukturellen Problemen in Südeuropa muss das deutsche Kapital Schritte unternehmen, um seine Handlungsfähigkeit zu garantieren und seine ökonomische Führungsrolle in Europa und weltweit, zu festigen und zu vertiefen. Dafür braucht die herrschende Klasse hierzulande aber eine nachhaltige Wachstumsstrategie, eine grundsätzliche Modernisierung und Kräftigung von Schlüsselsektoren, und vor allem Ruhe an der inneren Front.

Die Führungen der deutschen Gewerkschaften setzen derweil auf die Zusammenarbeit mit dem kapitalistischem Staat, sie passen sich ihm an, sie sind letztendlich Teil von ihm. Dem Kapital wollen die Gewerkschaftsbürokratien immer zeigen, wie verlässlich sie sind, wie verantwortungsvoll sie mit den Interessen der Nation umgehen können. Die Tatsache, dass die Deutsche Bahn in mehr als 400 Tochterunternehmen aufgesplittet wurde, ist auch deshalb erfolgreich vonstatten gegangen, weil die Gewerkschaften des DGB dieser Politik nichts entgegenstellten, weil sie oft sogar aktiv daran mitgewirkt haben. Und nun, angesichts der „Gefahr“, die aus den Spartengewerkschaften kommt, macht sich die herrschende Klasse Sorgen um die „chaotischen“ Zustände bei den Verhandlungen zwischen Arbeit und Kapital. Auch deshalb trommelt Arbeitsministerin Andrea Nahles für eine erzwungene Rückkehr zur alten Tarifeinheit. . „Eine Zersplitterung der Tariflandschaft nutzt am Ende niemandem“, behauptet Nahles. Dabei verschweigt sie bewusst, dass es die Bahn selbst war, die das Unternehmen zergliederte.

Angesichts der kämpferischen Stimmung im Betrieb wird nun eifrig an einem neuen Gesetz gebastelt, das auf die Spartengewerkschaften zugeschnitten ist. So soll der Einfluss kleinerer Berufsgewerkschaften – etwa von PilotInnen oder LokführerInnen – verringert werden. Dies ist im Endeffekt nichts anderes als ein frontaler Angriff auf das Streik- und Koalitionsrecht aller Beschäftigten. Beim GDL-Streik geht es also um nichts weniger als um die Aufstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen für alle zukünftigen Arbeitskämpfe.

Beim von der GDL angeführten Streik handelt es sich deshalb nicht einfach um einen weiteren ritualisierten Arbeitskampf. Er hat längst den ökonomischen Horizont überschritten. Es ist ein politischer Kampf geworden, der die Frage aufwirft, ob sich Beschäftigte den Vorstellungen der Bosse und der Regierungsparteien unterwerfen müssen oder nicht. Das was die GDL-Mitglieder tun, ist lediglich ihre verfassungsmäßig garantierten Rechte zur Durchsetzung ihrer gewerkschaftlichen Interessen auszuüben. Sie wollen FürsprecherInnen aller Beschäftigten der Bahn werden und die Lockerung des Tarif- und Arbeitsrechtes, die immer wieder vom DGB hingenommen wurden, beenden.

Von FreundInnen und FeindInnen

Die von Berufsgewerkschaften initiierten Auseinandersetzungen sind somit auch Ausdruck eines tiefen Unmutes gegenüber der versöhnlichen Haltung der DGB-Führungen, die schnell hinter dem Rücken der Beschäftigten faule Kompromisse absegnen und die immer wieder aufkeimenden Radikalisierungstendenzen im Keim ersticken.

Auch deshalb billigt heute die größte, mächtigste Gewerkschaft des DGB, die IG Metall, das Gesetzesvorhaben von Nahles: „Wir begrüßen den aktuellen Referentenentwurf zur Regelung der Tarifeinheit in seinen Grundzügen. Er stärkt eine Tarifpolitik, die nicht einzelne Arbeitnehmergruppen, sondern die gesamte Belegschaft in den Vordergrund stellt“, sagte ein führendes Mitglied der IG Metall. Auch ver.di-Chef Bsirske stellt sich auf die Seite der Deutschen Bahn und der Regierung. Sie zeigen wieder einmal, wie verantwortungsvoll sie sein können, wenn es um die Interessen des Standort Deutschland geht.

Die kämpferische Haltung der GDL „kann am Ende der gesamten Gewerkschaftsbewegung schaden“, behauptet Bsirske – er meint aber die Gewerkschaftsbürokratie, und dabei hat er nicht ganz Unrecht.

Der Streik der GDL offenbart, wie unterwürfig die Gewerkschaftsführungen in Deutschland normalerweise gegenüber dem Kapital sind, indem er zeigt, dass es auch kämpferischer geht und dass die Beschäftigten nicht immer Verzicht üben oder sich mit mickrigen Lohnerhöhungen zufrieden geben müssen.

So gesehen dienen solche scharfen Auseinandersetzungen stets als Beispiel, wie man kämpft, welche Forderungen man aufstellen kann, etc. Je länger jene Streiks andauern, die von Spartengewerkschaften ausgehen, trotz ihrer bürokratischen Führung und ihrem rein ökonomischen Horizont, desto mehr stärken sie das Selbstvertrauen der ArbeiterInnen, führen zu einer Steigerung des Organisationsgrades und zu einer Politisierung der ArbeiterInnen.

Starker Streik, trotz Schwächen

LokführerInnen sind ein Paradebeispiel für das Potential der organisierten ArbeiterInnenklasse: Wenige tausend KollegInnen können dem Kapital mit ein paar Tagen Streik Millionenverluste bescheren. Ginge es um ein rein ökonomisches Kräftemessen, hätte sich die GDL mit ihrem vergleichsweise harten Kurs wohl schon durchsetzen können – zumal die KollegInnen selbst sich auch motiviert und kampfbereit zeigen. Allerdings: Die staatliche Finanzierung des DB-Konzerns und das politische Interesse der Regierung an einem Scheitern des Streiks, machen einen rein ökonomischen Sieg fast unmöglich. Dies ist einer der Hauptgründe, warum sich der Streik nicht einfach auf den lukrativen Güterverkehr beschränken kann, um damit die Auswirkungen für die breite Bevölkerung gering zu halten. Es braucht die öffentliche Diskussion, um echten Druck auf die Bahn auszuüben. Dementsprechend wäre aber auch ein breites Werben um die Solidarität und Unterstützung der Bevölkerung notwendig. Gerade darin offenbarten sich aber gleich mehrere Schwächen der GDL in diesem Kampf: Es wurde nicht ausreichend klar gemacht, dass der Streik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung ist – und nicht einfach ein Machtspiel auf deren Kosten. Stattdessen wurde es den Medien leicht gemacht, sich auf den Vorsitzenden Weselsky einzuschießen.

Der größte Coup in Sachen Öffentlichkeitsarbeit war dann die „Versöhnungsgeste“ am 7. November: Die Ankündigung, dass der Streik bereits eineinhalb Tage früher als vorgesehen enden würde. Ob dies taktisch klug war, um die DB unter Zugzwang zu setzen oder eher einen schwächenden Rückzieher vor der Kritik der Medien und der Regierung darstellte, wird sich wohl erst in der nachträglichen Betrachtung zeigen. Ein eindeutiges Problem ist dagegen das Zustandekommen der Streikpause: Was die Führung hinter verschlossenen Türen entschieden hatte, erfuhren die KollegInnen selbst erst aus den Medien. Keine Spur von demokratischer Kontrolle über ihren eigenen Streik – das sorgt stellenweise bereits für Unmut an der Basis. Aus Sicht der Bürokratie ist dieses Vorgehen leider folgerichtig: Die Verkürzung des Streiks erschwert eine selbständige Organisierung der Beschäftigten. Große Streikversammlungen wären für die Gewerkschaftsführung kontraproduktiv, da der vergleichsweise kleine Apparat der GDL darüber nur schwer die Kontrolle behalten könnte. In diesem Licht ist auch die schwache Mobilisierung zur bundesweiten Kundgebung am Freitag während des Streiks zu sehen: Statt tausender KollegInnen waren es nur rund 500. Das fatale an dieser Situation ist, dass die Bahn-Beschäftigten ohne gute Vernetzung an der Basis nicht nur in Sachen öffentlicher Wahrnehmung sondern auch bei den weiteren Verhandlungen, den Entscheidungen der Bürokratie ausgeliefert sind. Auch wenn es für die GDL eigentlich um die Existenz geht, ist ein fauler Kompromiss mit der DB-Geschäftsführung dabei nicht ausgeschlossen.

Die Rolle der radikalen Linken

Die nun entbrannte offene Konkurrenz zwischen verschiedenen Gewerkschaftsbürokratien oder auch zwischen verschiedenen Flügeln innerhalb von Gewerkschaften stellt ein wichtiges Moment im Prozess der Politisierung der KollegInnen dar, denn der Streit zwischen BürokratInnen eröffnet die Möglichkeit, ihre besondere Rolle und materiellen Privilegien in Frage zu stellen, sie als Fremdkörper in den ArbeiterInnenreihen zu denunzieren, sie der Spaltung, wie es zur Zeit Bsirske betreibt, anzuklagen. Was mag in den Köpfen der ver.di-Mitglieder vorgehen, wenn sie sehen, dass ver.di den Arbeitskampf der GDL rügt, während Basisgruppen wie bei der BVG die KollegInnen der GDL offen unterstützen?

Der Streik der GDL wirft für die gesamte gewerkschaftliche und radikale Linke große Herausforderungen auf: Allen voran steht die politische Frage, wie der konzertierte Angriff auf das Streikrecht zurückgeschlagen werden kann. Bisher fand bis auf papierne Erklärungen und relativ konsequenzlose Koordinierungstreffen kaum eine Bewegung statt, die der Schwere des Angriffs auch nur annähernd gerecht würde. Demgegenüber hat die Schärfe der Auseinandersetzung um den GDL-Streik unmissverständlich offen gelegt, welche Bedeutung eine gesetzlich zementierte „Tarifeinheit“ auf die Kampfkraft der deutschen ArbeiterInnenbewegung hätte. Denn es handelt sich dabei um einen präventiven Angriff des deutschen Kapitals in Verbindung mit der staatstragenden Gewerkschaftsbürokratie, um den langsam aufkeimenden Kämpfen in Deutschland den Boden zu entziehen, bevor diese der innenpolitischen und wirtschaftlichen Stabilität zu gefährlich werden können. Die gesamte Linke, die sich auf die ArbeiterInnenbewegung orientiert, muss aufhören, den Kampf gegen die Verschärfung des Streikrechts als Nebenschauplatz zu begreifen und endlich gemeinsam mit kämpferischen Belegschaften und Basisgruppen eine massive Kampagne in den Betrieben und darüber hinaus gegen die Pläne der Arbeitsministerin anstoßen.

Der GDL-Streik selbst bietet dabei einen ersten wichtigen Anhaltspunkt. Unbedingte Solidarität mit diesem Streik ist nötig, um die politische Hetzkampagne der herrschenden Klasse gegen die streikenden KollegInnen abzuwehren. Dazu gehört aber auch, die GDL-Führung aufs Schärfste zu kritisieren, die diesen fundamental politischen Kampf immer wieder auf die rein ökonomische Ebene der Auseinandersetzung mit der DB beschränkt. Denn auch für die GDL-Bürokratie gilt, dass sie vor einer mobilisierten Basis zurückschreckt – im Zweifelsfall sogar noch mehr als die DGB-Gewerkschaften, denn aufgrund der geringen Größe ihres Apparats sind sie stärker dem Druck der KollegInnen ausgesetzt. Das heißt aber auch: Der Kampf um Selbstorganisation der Streikenden ist sollte einfacher zu führen sein. Deswegen ist es eine wichtige Aufgabe der radikalen Linken, die Streikenden zur Selbstorganisation anzutreiben und dabei zu helfen, den Streik zu politisieren. Ein derart siegreicher Streik kann dann zur Inspiration breiterer Schichten der ArbeiterInnenbewegung in Deutschland werden.

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