Gaza: Israelisches Leitmedium warnt vor „ethnischer Säuberung“

02.11.2024, Lesezeit 3 Min.
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Hierher wird Gazas Bevölkerung vertrieben: Zeltstadt in Chan Yunis im Süden. Bild: Anas-Mohammed / shutterstock.com

Die israelische Tageszeitung Haaretz klagt in einem aktuellen Leitartikel über die Belagerung von Nord-Gaza Israels Abrutschen in die ethnische Säuberung an.

Das brutale Vorgehen Israels in Gaza ist seit dem Beginn des Angriffs vor über einem Jahr vielfach kritisiert worden. Umstritten ist seitdem, ob Begriffe wie „Genozid“ oder „ethnische Säuberung“ eine angemesse Beschreibung dafür sind. Während die deutsche Staatsräson vorsieht, dass diejenigen, die aus gutem Grund solche Begriffe verwenden, antisemitisch seien, spricht sogar die wichtigste israelische Zeitung von einer ethnischen Säuberung in Gaza. Am vergangenen Dienstag erschien in der englischsprachigen Online-Ausgabe von Haaretz ein Leitartikel mit dem Titel „Wenn es nach einer ethnischen Säuberung aussieht, ist es das wahrscheinlich auch„. Der Artikel war nicht mit dem Namen eines einzelnen Redaktionsmitglieds unterzeichnet, kann also als Positionierung des Kollektivs verstanden werden. 

Der Artikel gibt eine knappe Bestandsaufnahme der katastrophalen Lage für die Menschen in Gaza. Er beklagt, dass Israel während seiner mehr als drei Wochen anhaltenden Belagerung Nord-Gaza von fast jeder humanitären Hilfe abgeschnitten habe. Die zivilen Verluste seien immens, medizinische Einrichtungen weitgehend zusammengebrochen. Hunderttausenden drohe nun Hunger. Israel behaupte, man habe die Bevölkerung aufgefordert, sich nach Süden zu bewegen. 

Der Artikel fährt fort: 

Daher ist es nicht verwunderlich, dass der schwerwiegende Verdacht aufgekommen ist, dass Israel im nördlichen Gazastreifen eine ethnische Säuberung durchführt und mit dieser Operation das Gebiet dauerhaft von Palästinensern säubern will.

Diese Vermutung passe zu den Prinzipien des sogenannten „Plans der Generäle“, der vom ehemaligen Generalmajor der israelischen Armee, Giora Eiland, vorangetrieben werde, sowie den Forderungen radikaler Partei in der israelischen Regierung. Diese verfolgten laut Haaretz eine Politik der Massenvertreibung und der jüdischen Wiederbesiedlung im Norden Gazas. Man könne nun die Ergebnisse der Aufrufe sehen, „Gaza auszulöschen“ und eine „zweite Nakba“ zu begehen: „Israel rutscht in eine ethnische Säuberung“. 

Der Artikel endet mit einer Warnung: 

Wenn dieser Prozess nicht sofort aufgehalten wird, werden Hunderttausende Menschen zu Flüchtlingen, ganze Gemeinschaften werden zerstört und der moralische und rechtliche Schandfleck dieses Verbrechens wird an jedem Israeli haften und ihn verfolgen.

Haaretz gilt in Israel als säkulares, regierungskritisches Leitmedium. Obwohl die Auflage anderer Tageszeitungen höher liegt, gilt es als besonders einflussreiche Publikation. Einen bedeutenden Teil der Leser:innenschaft macht jedoch das internationale Publikum aus. 

Mit der Warnung vor einer ethnischen Säuberung ist Haaretz nicht allein. Auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, warnte unlängst, Israel könne eine ethnische Säuberung vollziehen, wenn die internationale Gemeinschaft nicht eingreife, wie der britische Guardian berichtete. Allerdings gibt nur wenig Anlass zu glauben, die sogenannte internationale Gemeinschaft würde einen entscheidenden Einfluss auf Israel geltend machen. Die USA und Deutschland liefern trotz vorsichtiger Kritik unvermindert Rüstungsgüter an Israel und leisten damit ihren Teil zu ethnischer Säuberung und Genozid. 

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