Game of Thrones im israelischen Parlament

31.05.2016, Lesezeit 4 Min.
Gastbeitrag

Der Rechtsextreme Avigdor Lieberman ist zum israelischen Verteidigungsminister berufen worden. Deutet das auf ein Kurswechsel hin? Was bedeutet es für die Palästinenser*innen? Ein Gastbeitrag von Dror Dayan.

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Es war eine ereignisreiche Woche im Knesset, dem israelischen Parlament. Seit einem Jahr regiert Premierminister Benjamin Netanjahu mit einer knappen Mehrheit von 61 der 120 Abgeordneten. Mit jeder kleinen politischen Krise – und davon gibt es viele im Knesset – könnte er die Mehrheit verlieren. Nun hat er ein politisches Erdbeben ausgelöst, als er die Fraktion Israel Beitenu (Unser Zuhause Israel) und ihren Anführer Avigdor Lieberman in die Regierung einlud.

Das ganze Manöver erfolgte im besten Netanjahu-Manier: Erst hat er den Oppositionsführer Jitzchak Herzog mit Scheinverhandlungen lächerlich gemacht, bevor er ihn wieder auf die Straße warf, um Platz für Lieberman zu schaffen. Herzog hat erst vor ein Paar Wochen noch verzweifelt versucht, die Wähler*innenschaft davon zu überzeugen, dass seine Partei „Araber*innen nicht liebt“. Als ausgesprochener Rassist war er jedoch weniger erfolgreich als seine Knesset-Kolleg*innen.

Die Berufung Liebermans ist ein wichtiges politisches Ereignis – aber deutet es auf einen Kurswechsel hin? In den letzten Jahren rückt die israelische Wähler*innenschaft schnell und kontinuierlich nach rechts. Hätte Netanjahu Herzog statt Lieberman in die Koalition geholt, hätte er ohne Zweifel einen viel effizienteren Kämpfer gegen die globale Boykott-Kampagne haben können – Herzog würde der Apartheidpolitik ein liberales Gesicht geben. Das hätte aber die Wähler*innenschaft von Netanjahus Likud-Partei, die stark nach rechts neigt, in die Arme von Lieberman und Naftali Bennett getrieben.

Es ist schwer zu sagen, welche Folgen diese Berufung für die palästinensische Bevölkerung haben wird. Im israelischen Regime kann der Verteidigungsminister nicht viel auf eigener Faust machen. Wenn man an vergangene Äußerungen Liebermans denkt – er forderte die Enthauptung „illoyaler“ Palästinenser*innen und wollte Gaza wie Japan im zweiten Weltkrieg behandeln – ist das irgendwie ein Glück. Aber die Berufung Liebermans sendet ein ganz klares Signal. Es ist als Ergebnis der „Affäre des schießenden Soldaten“ zu sehen. Was war diese Affäre?

Am 24. März hat der israelische Soldat Eleor Azarya dem Palästinenser Abed Al-Fatah Al-sharif in den Kopf geschossen, als letzterer in der palästinensischen Stadt Hebron nach einem vermeintlichen Messerangriff gegen Soldat*innen verwundet auf dem Boden lag. Der Fall hat die israelische Gesellschaft stark gespalten – jedoch nicht über die Frage, ob es eine kaltblütige Hinrichtung war. Gestritten wird darüber, ob der Soldat ein Volksheld sei. Bei mehreren Solidaritätsdemos für den Soldaten lief Lieberman in der ersten Reihe.

Kritik an dem Soldaten kam überraschenderweise von Generälen, die die Moral bei gewissen Maßnahmen im Westjordanland hinterfragt haben. Darauf hin ernannte Netanjahu einen Verteidigungsminister, der praktische Erfahrung als Türsteher, jedoch nicht als Soldat hat, und 2015 eine intensive Kampagne für die Todesstrafe für Palästinenser*innen führte. Das ist eine klare Positionierung Netanjahus zu der Frage, wie mit dem palästinensischen Widerstand umzugehen ist. Es ist auch ein Ausdruck der Machtkämpfe zwischen Netanjahu und seiner Militärführung.

Die jüngsten Entwicklungen sind nicht als eine Übernahme der israelischen Politik durch Extremist*innen zu sehen, sondern als eine natürliche Entwicklung der ganzen bisherigen Staatspolitik. Wir in der globalen Solidaritätsbewegung mit Palästina müssen die Ereignisse so einrahmen, um weitere Unterstützung für die Solidaritätsarbeit und die Boykottkampagne zu gewinnen. Es wird jetzt viel einfacher sein, der Welt zu erklären, warum die israelische Regierung null Interesse an jeglichem vermeintlichen „Frieden“ hat. Für die palästinensische Gesellschaft, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Grenzen von 1948, bedeutet es sicherlich mehr Unterdrückung, Gewalt und Tod. Deswegen müssen wir noch aktiver werden, anstatt unsere Zeit mit Diffamierungskampagnen von deutschen Zionist*innen zu vergeuden.

Auf der diplomatischen Ebene könnte das Ganze ein Nachspiel haben – selbst für die EU und Deutschland wird es jetzt schwieriger, die aggressive Besatzungspolitik des israelischen Staates zu ignorieren. Die Widersprüche des Zionismus – vor allem die Behauptung, ein Land könne gleichzeitig eine Ethnokratie und eine Demokratie sein, ohne in Faschismus und Militarismus zu verfallen – entlarven sich immer mehr. Die Berufung Liebermans zum Verteidigungsminister ist nur der neuste Schritt auf diesem Weg.

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